Banken und Finanzmärkte werden in den kommenden Monaten noch stärker ein Spielball der Politik sein, erwartet Franz Wenzel, der Chefstratege von Axa Investment Managers.


Herr Wenzel, nach Ihrem Ermessen wird künftig die Politik die Entwicklung an den Finanzmärkten dominieren. Das ist im Prinzip schon seit der Finanzkrise der Fall. Werden die kommenden Monate nochmals schwieriger?

Es gibt zwei grosse Themen, die uns momentan Sorgen bereite; erstens die Unsicherheit in der politischen Szene von den USA bis Europa, wo wir nicht nur in den dominierenden Volkswirtschaften Frankreich, Deutschland und Italien einen Rechtsrutsch beobachten. Zudem haben wir die Migrationswelle, die gerade in Deutschland das politische Stimmungsbild unterminiert.

Zweitens ist die Stimmung zwischen den Zugpferden in der Eurozone Deutschland und Frankreich angespannt. Dieses Gemisch und die Verzahnung der Probleme erhöhen unseres Erachtens die Unsicherheit.

Das kann nur bedeuten, dass die Zinsen an den Finanzmärkten ultratief bleiben.

Davon gehen wir aus, ja. Namentlich in Europa ist die Inflation noch kein Thema, und die Konjunktur läuft noch nicht richtig rund. In den USA wird sich der Zinsanstieg am kurzen Ende nicht länger manifestieren. Denn wir haben eine Umkehr der Zins-Gemengelage: Das Zinsgeschehen in Europa dominiert zusehends jenes in den USA.

Der konjunkturelle Nutzen der expansiven Geldpolitik in Europa war bislang beschränkt. Halten Sie ein Festhalten an dieser Politik für richtig?

Sie ist nicht notwendigerweise richtig, aber sie ist notwendig. Denn die Notenbanken müssen nach wie vor gegen deflationäre Tendenzen ankämpfen.

«Deutschland müsste auch den Sparkassen-Sektor konsolidieren»

Würde sich eine Deflation einstellen, wären den Notenbanken die Hände praktisch gebunden. Das weiss man aus der Vergangenheit.

Es gäbe auch ein Rezept, die konjunkturellen Fesseln zu lösen. Nämlich die Reform des Bankensystems in der Eurozone.

Es stimmt, das Bankensystem müsste konsolidiert werden. Namentlich Italien und Deutschland bereiten zurzeit grosse Bauchschmerzen. Wobei in Deutschland nicht nur die grossen Institute Sorgen bereiten. In Deutschland müsste insbesondere auch der Sparkassen-Sektor konsolidiert oder zumindest reformiert werden.

Warum tut sich Europa mit einer Bankenreform so schwer?

Der Bankensektor ist für den Wirtschaftskreislauf wie das Blut in der Ader. Stockt es, droht ein Zusammenbruch. Angesichts des niedrigen Wirtschaftswachstums will darum keine Regierung oder Notenbank das Risiko eingehen, das Bankensystem durch Reformen zu destabilisieren und in eine Rezession abzugleiten. Das will sich angesichts anstehender Wahlen und Abstimmungen in Europa keine Regierung leisten.

Anstatt des Endes mit Schrecken, wählt man den Schrecken ohne Ende?

Ich würde nicht von einem Schrecken ohne Ende sprechen. Sondern von einer Verzögerung der notwendigen Bankenreformen. Die Alternative wäre aber weitaus schwieriger.

Das grosse politische Ereignis in diesem Jahr sind die US-Präsidentschaftswahlen. Dessen ungeachtet wer gewinnen wird – Hillary Clinton oder Donald Trump –, wie werden die Auswirkungen auf die Finanzmärkte sein?

Zunächst werden wir sicherlich eine Zunahme der Volatilität an den Märkten erleben und in den Wechselkursen. Im mexikanischen Peso ist dies bereits der Fall. Sollte Trump gewinnen, ist kurzfristig ein Wirtschaftsboom wahrscheinlich, hat er doch eine massive fiskalische Stimulierung angekündigt.

«Unter Trump droht längerfristig eine Rezession»

Längerfristig dürfte sich dieser «Boom» in einen «Bust» verwandeln, also in einen Wachstumsrückgang oder gar in eine Rezession. Denn bei den US-Unternehmen erwarten wir nur noch ein schwaches Gewinnwachstum und einen Rückgang der Margen.

Die US-Notenbank (Federal Reserve, Fed) wird die Zinsen weiter erhöhen, was den Dollar wohl stärken wird. Was bedeutet dies für den Franken und die Politik der Schweizerischen Nationalbank (SNB)?

Wir erwarten zwei leichte Zinserhöhungen der Fed, eine im kommenden Dezember und eine im Juni 2017. Wir gehen davon aus, dass sich der Franken zusammen mit dem Euro gegenüber dem Dollar möglicherweise leicht abschwächen wird.

Für die Politik der SNB ändert dies nichts: Die Notenbank wird angesichts des Aufwertungsdrucks und der deflationären Tendenzen weiterhin ihre Zinsen im negativen Bereich halten und gegebenenfalls auch an den Devisenmärkten intervenieren. Der SNB bleibt nur die Wahl, ihre Bilanz weiter aufzublähen oder das Risiko einer Deflation oder Rezession in der Schweiz deutlich zu erhöhen.

Die Negativzinsen sind für die Schweizer Banken eine massive Belastung. Wann können diese damit rechnen, dass die SNB die Negativzinsen aufhebt?

Im besten Fall wird dies erst im Jahr 2019 der Fall sein. Solange die Europäische Zentralbank (EZB) ihr «Quantitative Easing» weiter betreibt, bleibt auch der Aufwertungsdruck auf den Franken bestehen. Sollte die EZB wider Erwarten früher Anzeichen für eine Veränderung ihres geldpolitischen Kurses geben, könnte die SNB von ihrer Negativzinspolitik ebenfalls früher abweichen. Doch von einem positiven Zinsumfeld sind wir noch Jahre entfernt.

Die EZB kann ihre Bilanz nicht mehr nach Belieben aufblähen. Die SNB Ihrer Meinung nach schon?

Ja, theoretisch sind ihr da keine Grenzen gesetzt. Die Bilanz steht ja bereits heute bei rund 100 Prozent zum Schweizer Bruttosozialprodukt. Ein weiteres Anwachsen der Bilanz wird zunehmend zu einer politischen Frage. Es geht um einen «Trade-off»: Das Halten des Wechselkurses zum wirtschaftlichen Wohl versus Aufblähung der SNB-Bilanz.

«Den Königsweg gibt es nicht»

Das Problem der SNB stellt sich natürlich darin, dass sie mit einer Freigabe des Wechselkurses massive Währungsverluste erleiden würde. Dagegen hätten die Kantone sicherlich etwas einzuwenden.

Die SNB wie andere Zentralbanken wälzen riesige Vermögenswerte in ihren Bilanzen vor sich her. In der Praxis gibt es keine Beispiele, wie sie diese wieder loswerden können. Wie sieht dies aus akademischer Sicht aus?

Es gibt keinen Königsweg. Auch Akademiker gehen davon aus, dass die Zentralbanken ihre exorbitanten Bilanzen noch über Jahre hinweg vor sich her schieben werden. Das ist insbesondere für die Banken und Kapitalmärkte ein Problem, da die Reinvestitionen der Zentralbanken aus ihren Coupons oder fällig gewordenen Anleihen die Zinsen weiterhin tief halten werden.


Franz Wenzel ist seit 2012 Chefstratege von Axa Investment Managers (Axa IM). Damit ist er Chefökonom und verantwortlich für die Anlagestrategie des französischen Asset Managers, der rund 680 Milliarden Euro verwaltet. Der Deutsche stiess 1997 zu Axa IM in Paris, zunächst als Ökonom, dann als Aktien- und Rohstoffspezialist und schliesslich als Chefstratege. Seine Karriere startete er bei der Commerzbank, später war er als Anlagechef beim Bankhaus Metzler in Frankfurt tätig.