Nach den Verstössen gegen Corona-Pflichten wackelt der Stuhl des neuen Präsidenten António Horta-Osório enorm. Doch die Grundprobleme der Credit Suisse reichen tiefer als die Turbulenzen um ihren obersten Chef, wie finews.ch aufzeigt.
1. Unternehmerbank ohne Unternehmertum
Das neuerliche Fehlverhalten von Bankpräsident António Horta-Osório mag von geringer Tragweite sein, will man den lapidaren Worten von David Herro Glauben schenken. Er vertritt den grössten Einzelaktionär der Credit Suisse (CS), den US-Asset-Manager Harris Associates. Allerdings spielt diese Interpretation höchstens noch eine untergeordnete Rolle. Es ist auch unwesentlich, ob zwischen CEO Thomas Gottstein und Präsident Horta-Osório ein Machtkampf im Gange ist.
Viel alarmierender ist, dass viele Unternehmerkunden dem Gebaren der CS-Spitze mit wachsendem Befremden begegnen und sich immer weniger mit diesem Institut identifizieren können, zumal es sich so betont als «Unternehmerbank» ausgibt. Diesem Anspruch wird die CS jedoch nur wieder gerecht, wenn sie sich von Führungskräften distanziert, bei denen der Graben zwischen Gesagtem und Getanem nicht so enorm gross ist wie dies jetzt der Fall ist.
2. Die Credit Suisse besser verstehen
Im Gegensatz zu ihrer direkten Konkurrentin UBS beruft sich die CS viel stärker und häufiger auf ihre grossartige Historie unter der Ägide ihres Gründers Alfred Escher. Die CS trägt auch noch die Bezeichnung «Suisse» in ihrem Markennamen, was zweifelsohne von grossem Wert ist. Allerdings hat es die Bank in den vergangenen Jahren versäumt, diesem Wert auch Sorge zu tragen.
Damit verbundene Tugenden wie Vertrauen, Verlässlichkeit, Glaubwürdigkeit und Sicherheit hat die CS zuletzt arg strapaziert. Der Ausweg aus der Krise wird der Bank nur über mehr Swissness gelingen, die allerdings von Protagonisten vorgelebt werden muss, die auch wirklich verstehen, was damit gemeint ist.
3. Schluss mit den «weissen Westen»
Wie finews.ch am Mittwoch berichtete berichtete, hat die CS unter Federführung der Rechtsabteilung eine interne Untersuchungen zu den Corona-Verstössen des Bankpräsidenten eingeleitet. Das Institut selber äussert sich nicht zu den Ermittlungen. Gegenüber dem Aktionariat ist die Grossbank zur Untersuchung der Fälle verpflichtet, aus denen auch Risiken in der Managerhaftung erwachsen könnten. Die grosse Frage ist nun, ob die vom langjährigen Chefjuristen Romeo Cerutti geführte Aufarbeitung wirklich Zähne zeigt.
In unguter Erinnerung sind die CS-eigenen Untersuchungen im «Spygate» um die Bespitzelung von Mitarbeitenden Ende 2009. Diese waren vom Verwaltungsrat unter dem damaligen Präsidenten Urs Rohner ausgegangen und kamen zum Befund, dass der seinerzeit amtierende CEO Tidjane Thiam von nichts wusste. Das Ergebnis wurde von Beobachtern breit angezweifelt und erinnerte an das Diktum von Rohner zum Steuerstreit mit den USA, persönlich habe die Bankführung eine «weisse Weste».
4. Die Krux mit dem Aktionariat
Die Misere bei der CS ist auch der Kleinteiligkeit im Aktionariat geschuldet. Kein Eigentümer hat wirklich das Sagen, die grössten Einzelbeteiligungen kommen laut dem Aktienregister derzeit auf 5,17 Prozent von Harris Associates und auf knapp über 5 Prozent von der Qatar Holding. Die Grossaktionäre zeichnen sich derweil durch Trägheit aus: Abgesehen von Herro, dem Harris-Anlagechef, haben sich die Grossinvestoren selten oder nie zu den Geschehnissen beim Institut geäussert.
In der Folge ist die Schweizer Bank auf sich allein gestellt – und steht oft im Widerspruch zu den Erwartungen am Heimmarkt, wo Swissness und Tradition der Schlüssel zu ihrem Wertversprechen sind. Ein Teil der Herausforderung für den Verwaltungsrats-Präsidenten besteht auch im «Normalmodus» darin, die beiden sehr unterschiedlichen Welten nahtlos in Einklang zu bringen.
Die Investoren wiederum dürften mit ihrem Engagement bei der CS zumindest teilweise in der Verlustzone liegen. So hatte Harris Associates unlängst bekanntgegeben, dass die Firma bei der CS mit einem Kurs von rund 20 Franken je Titel eingestiegen sei. Dieser Kurswert ergibt einen Verlust von rund 55 Prozent zum aktuellen Aktienwert von 8.86 Franken. Dies, obwohl sich der Investor rühmt, zwischendurch Kasse mit einem Teil seiner CS-Aktien gemacht zu haben, als diese für 60 beziehungsweise 70 Franken pro Titel gehandelt worden waren.
5. Alle Augen auf Severin Schwan
Der Vizepräsident der CS soll dem Vernehmen nach entsetzt gewesen sein über die Quarantäne-Verstösse von Horta-Osório. Was Wunder: Als CEO der Basler Pharma-Multi Roche steht Severin Schwan mit zuvorderst im weltweiten Kampf gegen die Corona-Pandemie. Als zuständiger für die Ernennungen, Governance und Risiken im obersten Gremium der Bank muss er sich vom Amtes wegen in alle Facetten der Vorfälle rund um den Präsidenten vertiefen – und wäre deshalb eine entscheidende Stimme, wenn man beim Institut zum Schluss käme, dass Horta-Osório für die CS nicht mehr tragbar sein sollte.