Ein Geldwäschereifall und die Strategieüberprüfung machen das Lateinamerika-Geschäft von Julius Bär verletzlich. Einer will dies gezielt ausnützen, wie Recherchen von finews.ch zeigen.
Boris Collardi hat mit Pictet in Zürich neue Büros in direkter Nachbarschaft zu seinem früheren Arbeitgeber Julius Bär bezogen – und viel Platz für zusätzliches Personal. Der frisch gebackene Pictet-Partner und ehemalige Bär-CEO lässt keine Zeit verstreichen.
Collardi versuche derzeit verstärkt, Lateinamerika-Banker von der Zürcher Privatbank zur Genfer Pictet zu lotsen, sagen Bär-Insider zu finews.ch. Er nütze dabei gezielt die momentane Verletzlichkeit des Lateinamerika-Geschäftes von Julius Bär aus.
Alles wird durchleuchtet
Dort sorgt der schwere Geldwäschereifall des ehemaligen Kundenberaters Matthias Krull und die nun laufende interne Untersuchung durch eine eigens dafür engagierte amerikanische Anwaltskanzlei für erhöhte Nervosität.
Krull soll zwar die rund 1,2 Milliarden Dollar aus venezolanischen Quellen nicht über Bär-Konten gewaschen haben, doch will die Privatbank auf Nummer sicher gehen und alle seine ehemaligen Kundenbeziehungen durchleuchten. Dabei soll es um mehr als 500 Konten gehen.
Unruhe unter Kunden und Beratern
Gleichzeitig läuft bei Julius Bär weiterhin das sogenannte «Projekt Atlas», im Rahmen dessen sämtliche Kundenkonten durchleuchtet und die Herkunft der Gelder bestimmt wird. Ein Enforcement-Verfahren der Bankenaufsicht Finma im Zusammenhang mit möglichen Versäumnissen bei der Sorgfaltspflicht sorgt für weitere Unruhe im Hause Julius Bär.
Hinzu kommt die laufende Überprüfung der Lateinamerika-Strategie durch Beatriz Sanchez, die bereits zu Abgängen diverser Kundenberater geführt hat.
Bedenkenträger waren Panikmacher
Diese Unruhe wolle sich Collardi zunutze machen, heisst es aus Bär-Kreisen. Berater wie Kunden seien zunehmend über den administrativen Kontrollaufwand frustriert. Collardi verspreche ihnen bei Pictet einen Neuanfang.
Der 44-jährige Erfolgsbanker war bei Julius Bär verantwortlich für das hohe Wachstumstempo gewesen – und schlussendlich auch dafür, dass die Compliance darunter gelitten hat. Julius Bär soll in diverse Schmiergeld-Skandale verwickelt sein: Fifa, Petrobras in Brasilien sowie PDVSA in Venezuela. Collardi sei intern immer wieder gewarnt worden, doch habe er dies jeweils als Panikmache abgetan.
Abwerben ist nicht der Stil von Pictet
Mit Gustavo Raitzin, dem Vorgänger von Beatriz Sanchez als Lateinamerika-Chef, verbindet Collardi mehr als eine berufliche Beziehung. Die beiden wohnen nah beieinander in Schindellegi und in Feusisberg und haben oftmals eine Fahrgemeinschaft gebildet.
Collardi weiss also über die derzeitige Verletzlichkeit von Julius Bär genau Bescheid – und er hat bei Pictet den Job als Wachstumsmanager übernommen. Nun ist es zwar nicht der Stil von Pictet, gezielt Mitarbeiter abzuwerben, wie sich jüngst Renaud von Planta, auch er ein Teilhaber der Genfer Privatbank, vernehmen liess.
Collardis Opportunitätsprinzip
Handkehrum stehen auch Pictet nur limitierte Möglichkeiten zur Verfügung, das Wealth Management auszubauen. Ein Pictet-Sprecher sagte, die Bank habe für alle relevanten Märkte Rekrutierungspläne, auch für Lateinamerika.
Collardi bleibt somit seinem Prinzip als Manager treu, sich bietende Opportunitäten schnell zu ergreifen. Hat man seine Personaloffensive für Pictet zunächst in Asien erwartet und bearbeitet er nun seine früheren Lateinamerika-Banker in Zürich, zu Pictet zu wechseln.
Kundenberater sind für Angebote empfänglich
Gemäss Recherchen von finews.ch war Collardi mit seinen Avancen bislang noch nicht erfolgreich. Doch gibt es im Lateinamerika-Geschäft von Julius Bär einiges an personellen Bewegungen. So trennt sich die Bank derzeit von Kundenberatern, die wie es wie Matthias Krull mit der Compliance und der «Know your Customer»-Regelung nicht so genau genommen haben.
Doch auch Senior-Berater und ihre Teams verschliessen sich gegenüber Angeboten der Konkurrenz nicht. Ein fünfköpfiges Team um Fabio Kreplak und Geronimo Escudero wechselte kürzlich zu Mirabaud.
Der derzeitig erhöhten Nervosität zum Trotz bekräftigt Julius Bär, dass sich am Fokus auf die definierten Onshore-Märkte Mexiko, Brasilien und Argentinien nichts ändere. «Julius Bär sieht in Lateinamerika nach wie vor grosses Potential und setzt das Engagement in den ausgewählten Wachstumsmärkten unvermindert fort», sagte die Sprecherin.