43 Jahre sind eine lange Zeit im Private Banking. Norbert Biedermann war immer hautnah dran, die letzten sechs Jahre als CEO der LGT Bank in Vaduz.  Ein Rückblick auf eine Zeit mit grossen Umbrüchen.


Herr Biedermann, Sie sind 1974 frisch nach der Lehre bei der LGT in Vaduz als Mitarbeiter in der Kundenbuchhaltung eingestiegen. Wie muss man sich das damalige Liechtensteiner Banking vorstellen?

Das Bankgeschäft war lokal oder maximal regional und insgesamt ziemlich beschaulich: Die Kunden kamen in der Regel an den Schalter und die Arbeitszeiten waren klar geregelt: von 8 bis 12 und von 14 bis 18 Uhr. Die Post wurde zweimal täglich verteilt und die meisten Mitarbeiter hatten nicht einmal ein eigenes Telefon. Der Schwerpunkt des Geschäfts lag auf Krediten an lokale Firmen, der Entgegennahme von Spargeldern, auf der Kontoführung und dem Zahlungsverkehr. Ein Private Banking im heutigen Sinn gab es noch nicht, aber wenn jemand einen Anlagebedarf hatte, dann haben wir ihn natürlich beraten.

Und wie haben Anleger damals ihr Geld investiert?

Es war eine ganz andere Welt. Im Gegensatz zu heute befanden wir uns in einer Hochzinsphase und wenn man von Anlagen sprach, meinte man vor allem festverzinsliche Instrumente. Bereits auf einem normalen Sparheft gab es bis zu 7 Prozent Zinsen und auf Obligationen je nach Währung sogar noch mehr. Auf einem 30-tägigen Time Deposit in Dollars konnte man zeitweise zwischen 18 und 20 Prozent erzielen. Aktien waren für den Normalsparer gar kein Thema und Derivate oder hybride Produkte waren damals unbekannt.

Ab wann kam dann das eigentliche Private Banking auf?

Mitte der 1980er Jahre begann sich die Branche aktiv mit der umfassenden Vermögensverwaltung und einem professionellen Portfoliomanagement zu befassen. Danach ging die Entwicklung sehr schnell voran, vor allem auch auf der Produktseite.

«Wir haben das Bankgeheimnis zu lange verteidigt»

Das Private Banking erlebte in der Folge eine rasante Wachstums- und Internationalisierungsphase. Auch in Liechtenstein erweiterte man die Kundenbasis über Liechtenstein, die Schweiz und das angrenzende Vorarlberg hinaus. Das war gleichzeitig der Zeitpunkt, an dem man sich stärker mit regulatorischen Themen auseinandersetzen musste.

Ein wichtiger Erfolgsfaktor für diesen Aufschwung war das Bankgeheimnis. Dieses mache die Branche «fett und impotent», schrieb 2004 Hans Bär, ein Urgestein des Swiss Private Banking, und brach damit ein Tabu: Wie denken Sie heute darüber?

Sein Buch erschien zu einer Zeit, als das Bankgeheimnis in der Schweiz und in Liechtenstein überhaupt nicht verhandelbar schien. Darüber bestand ein Konsens in einem grossen Teil von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Die damaligen Reaktionen muss man in diesem Kontext sehen. Im Rückblick beziehungsweise aus heutiger Sicht war seine Einschätzung visionär. Meine persönliche Meinung ist: Wir alle haben das Bankgeheimnis zu lange verteidigt. Es war einfach bequemer, diese Strategie beizubehalten – auch wenn man nicht zu 100 Prozent von deren Zukunftsfähigkeit überzeugt war - als sich mit grundsätzlich neuen Strategien zu befassen.

Vier Jahre später, am 14. Februar 2008, stand die LGT im Brennpunkt der Debatte um das Bankgeheimnis als ein Datendiebstahl bei einer Tochtergesellschaft, der damaligen LGT Treuhand, publik wurde. Können Sie sich noch an diesen Tag erinnern?

Ich kann mich noch sehr genau erinnern: Ich war auf Geschäftsreise in Berlin und habe am Morgen im Hotel den Fernseher eingeschaltet. Im Halbschlaf habe ich zunächst gar nicht realisiert, was da los ist. Als ich dann genauere Informationen hatte, wurde mir schnell klar, dass diese Meldung nicht einfach kurz durch den Blätterwald rauschen, sondern sehr einschneidende Folgen haben würde.

War es vielleicht das prägendste Ereignis Ihrer Laufbahn überhaupt?

Ja, ich denke schon und zwar interessanterweise vor allem in positiver Hinsicht.

«Loyalität war für das prägendste Erlebnis»

Für eine Privatbank wie die LGT war ein solcher Datendiebstahl natürlich eine Katastrophe und die Situation war zu Beginn sehr unübersichtlich. Unsere Kunden waren verunsichert, unsere Mitarbeitenden ebenso.

Und wie fanden Sie aus dieser Krise wieder heraus?

Es waren drei Faktoren: Erstens hatten wir ein gutes Krisenmanagement, zweitens waren das Commitment und die Loyalität unserer Mitarbeitenden überwältigend und drittens hatten wir einen grossen Vertrauensvorschuss bei unseren Kunden. Wir waren schon damals kein Institut für Kunden oder Mitarbeitende, die von einer Bank zur anderen ziehen. Man sah und sieht sich als Partner, und unsere Kunden haben verstanden, dass sich ihr Partner in einer schwierigen Situation befindet. Es haben nur einige wenige Mitarbeitenden die LGT verlassen, obwohl viele von der Konkurrenz attraktive Angebote erhielten. Diese Loyalität war für mich das eigentlich prägendste Erlebnis und es illustriert sehr schön die spezielle Kultur der LGT, die stark von unserem Eigentümer, der Fürstlichen Familie, geprägt ist. Insgesamt hat die Krise uns als Unternehmen zusammengeschweisst und wir sind letztlich wesentlich gestärkt herausgekommen.

Wie wichtig war es, in dieser Zeit, auf einen privaten Eigentümer zählen zu können?

Die Eigentümer, in der Person unseres Chairmans Prinz Philipp und unseres CEOs Prinz Max von und zu Liechtenstein, haben in dieser schwierigen Zeit eine vorbildliche Führungsrolle übernommen: Einerseits bei der Krisenbewältigung, dann aber auch, und das war noch wichtiger, im Hinblick auf die Zukunft.

«Die Kleinheit des Landes haben geholfen»

Während das Management und die Mitarbeitenden noch voll im Krisenmodus waren, haben sich unsere Eigentümer bereits mit der Zukunft der Bank nach der Krise beschäftigt. Das hat uns allen gezeigt, dass es Licht am Ende des Tunnels gibt und hat wohl wesentlich dazu beigetragen, dass praktisch keine wichtigen Leute abgesprungen sind. Und wenn man schaut, wie gut die LGT heute wieder dasteht, war das eine völlig richtige Einschätzung.

Nicht nur die LGT, sondern auch der Finanzplatz Liechtenstein hat die Krise sehr schnell und erfolgreich hinter sich gelassen. Welchem Umstand ist dies zu verdanken?

Die Kleinheit des Landes, die relativ grosse Bedeutung des Finanzplatzes und unsere spezielle Regierungsform haben geholfen, die Lage schnell zu analysieren, die verschiedenen Interessen zu bündeln und dann rasch zu entscheiden. Die sogenannte Liechtenstein Erklärung zur Weissgeld-Strategie, die S.D. Erbprinz Alois von und zu Liechtenstein und der damalige Regierungschef Klaus Tschütscher im Jahr 2009 abgegeben hatten, waren der Beginn einer zukunftsorientierten Strategie, die in der Folge sehr kompromisslos umgesetzt wurde – für einige Finanzmarktteilnehmer sicher sogar zu schnell oder zu kompromisslos.

Die konsequente Umsetzung hat aber dazu geführt, dass unsere Bereitschaft zur Veränderung von den massgeblichen Gremien wie der OEDC anerkannt wurde und unser Finanzplatz heute international eine ausgezeichnete Reputation geniesst.


Norbert Biedermann hat nach einer kaufmännischen Ausbildung seine gesamte Berufslaufbahn seit 1974 bei der LGT Bank in Liechtenstein verbracht. Nach diversen Auslandsaufenthalten und Stationen im Rechnungswesen, der internen Revision, im Handel und in der Anlageberatung wurde er 2001 in die Geschäftsleitung berufen und übernahm 2011 deren Vorsitz. Im vergangenen Juni trat Biedermann in den Ruhestand über.