Schweizer Finanzkonzerne müssen erstmals überhaupt mit ihren Eignern um die Cheflöhne feilschen. Die entstandene Debatte gehorcht einem einzigen, brutalen Prinzip.

Der Sinneswandel kam zur Geisterstunde. Wie auch finews.ch berichtete, gab die Credit Suisse (CS) letzten Karfreitag kurz nach Mitternacht klein bei: Die Grossbank teilte überraschend mit, dass CEO Tidjane Thiam und die übrige Geschäftsleitung freiwillig auf 40 Prozent ihrer variablen Vergütung für das verlustreiche Jahr 2016 verzichten. Der Verwaltungsrat unter der Führung von Urs Rohner entschied zudem, die Gesamtvergütung für das Gremium für 2017 nicht zu erhöhen.

Ein historischer Entscheid, dem allerdings massiver Druck vorangegangen war. Mit den amerikanischen Stimmrechtsvertretern ISS und Glass Lewis sowie der Schweizer Ethos Stiftung hatten sich gleich drei nahmhafte Aktionärsberater gegen den Vergütungsbericht für die CS-Generalversammlung vom 28. April ausgesprochen. Und dies in aller Öffentlichkeit.

Wie Bankpräsident Rohner gegenüber der «NZZ am Sonntag» erklärte, sei der Verzicht nach «intensiven Gesprächen mit den Aktionären» erfolgt. Doch damit ist der Konflikt noch nicht entschärft – vielmehr verspricht die Aktionärsversammlung brutal wie ein Gladiatorenkampf zu werden.

Alexander Friedman knickt ein

Am (gestrigen) Dienstag knickte dann ein weiteres Schweizer Finanzinstitut ein. Nach einem miserablen Jahr beim Zürcher Asset Manager GAM entschied auch dessen Chef Alexander Friedman, sich seinen Bonus für kommendes Jahr in Form von langfristig gesperrten Aktien ausbezahlen zu lassen. Zudem will das Unternehmen, das vom Hedgefonds RBR hart angegriffen wird, seine Vergütungspolitik überprüfen.

Raider RBR kann dabei in wichtigen Belangen auf die Rückendeckung der mächtigen Stimmrechtsvertreter aus den USA zählen. Auch im Fall GAM zeigen sich ISS und Glass Lewis bereit, Front gegen ein Schweizer Finanzunternehmen machen.

Noch kein Frühling

Und wie sich nun offenbart, steigen die Aktionärsberater nicht so schnell aus ihren Gräben. So halten sowohl ISS, Glass Lewis als auch Ethos an ihren Voten gegen den Vergütungsbericht der CS fest. «Zu wenig, zu spät» – so lautete der knappe Kommentar von Glass Lewis vom Angebot von Thiam, Rohner & Co. Das Feilschen um die Cheflöhne wird von den Grossinvestoren offensichtlich nicht goutiert.

Standhafte Anleger, kleinlaute Manager: Wird «say on pay» vier Jahre nach der Volksabstimmung zur Minder-Initiative und drei Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung gegen übermässige Vergütungen (VegüV) in der Schweiz endlich gelebt? Sind die Tage exorbitanter Boni in der Schweiz definitiv gezählt? Es riecht nach Frühling in der für ihre luftig hohen Managerlöhne und ihren dichten Filz bekannten Schweizer Unternehmenslandschaft.

Doch die jüngsten Episoden bei der CS und GAM als Sieg der Aktionärsdemokratie zu werten – das ist verfrüht, findet finews.ch. Um dies zu verstehen, braucht einer nicht weiter zu schauen als bis zur anderen Schweizer Grossbank, zur UBS.

Dreimal mehr als John Cryan

Deren Chef Sergio Ermotti verdiente 2016 insgesamt 13,7 Millionen Franken. Damit löste er zwar weniger als im Jahr zuvor, aber noch immer deutlich mehr als sein CS-Pendant Thiam und mehr als Ana Botin bei der spanischen Santander, mehr als HBSC-Chef Stuart Gulliver sowie mehr als das Dreifache von John Cryan, dem amtierenden CEO der Deutschen Bank.

Das Gehalt von UBS-Präsident Axel Weber nahm 2016 noch zu, von 6,03 auf 6,07 Millionen Franken. Damit zählt der Deutsche Stratege zu den Bestbezahlten seines Fachs.

Derweil schnitt die UBS im vergangenen Geschäftsjahr nicht gerade glänzend ab. Insbesondere in Asien oder im Segment der sehr vermögenden Privatpersonen blieb das Wachstum teilweise unter den Erwartungen. Auch der Neugeldzufluss enttäuschte in einzelnen Marktregionen. Hinzu kommen drohende Rechtsrisiken im Steuerstreit mit Frankreich und wegen Ramschhypotheken in den USA.

Auf der ganzen Linie mit der UBS

Der Aufschrei unter den Eignern der Grossbank blieb jedoch aus. Mehr noch: ISS unterstützt den UBS-Verwaltungsrat an der Generalversammlung vom 4. Mai auf der ganzen Linie. Bedenken wegen des Vergütungsberichts seien zwar angezeigt, finden die Amerikaner in ihrem Positionspapier. Dennoch gebe es «Hinweise», dass die Entlöhnung der Bankspitze der Performance des Unternehmens folge, beruhigt der Aktionärsberater.

Das ISS-Votum, dass finews.ch vorliegt, liefert einen Fingerzeig, warum CS und GAM im Gegensatz zur UBS nun unten durch müssen: Wegen der Performance.

Hohe Löhne lassen Grossinvestoren angehen, schliesslich haben sie die Vergütungspläne in vorangehenden Versammlungen abgesegnet und verdienen als Teil der Finanzbranche oftmals selber stolze Saläre. Was aber aus Sicht von Profianlegern absolut unverzeihlich ist, das sind anhaltende Verluste.

Allseitiger Performancedruck

Institutionelle Investoren stehen mitunter selber unter Performancedruck. Pensionskassen suchen im Tiefzinsumfeld händeringend nach Rendite, um ihre Rentenversprechen einzulösen. Aktive Fondsmanager sehen die Kundengelder zu passiven Produkten abwandern. Erfolglosigkeit kann sich da schlicht keiner mehr leisten.

Eindrücklich zeigte sich dies jüngst ausserhalb der Finanzindustrie: Letzte Woche erteilten die Aktionäre dem Verwaltungsrat des Industriekonzerns ABB eine Ohrfeige. Mehr als 40 Prozent des Stimmen versagten dem Gremium am Gründonnerstag die Entlastung. Ähnlich hoch war die Opposition gegen den Vergütungsbericht. Letzten Februar war bei ABB in Südkorea ein Betrugsfall aufgeflogen; dieser könnte den Gewinn im für den Konzern schwierigen Jahr 2016 mit rund 100 Millionen Dollar belasten. Ein Misserfolg, der die Eigner in Rage brachte.

Wenn sich der Daumen senkt

Möglicherweise wollten die CS-Lenker mit dem Verzicht vom Karfreitag einem Debakel wie bei der ABB entgehen. Denn auch die Grossbank hinkt nach zwei Verlustjahren den Erwartungen der Eigner teils deutlich hinterher – ja, sie segelt in einem «perfekten Sturm», wie finews.ch jüngst urteilte. Und wie die Voten von ISS & Co. nahelegen, ist die Geduld der Investoren zum Zerreissen gespannt.

Reisst der Geduldsfaden, dann folgen die Aktionäre dem brutalen Prinzip der Gladiatorenkämpfe im alten Rom: Wer schon verwundet am Boden liegt, über dem senkt sich meist der Daumen des Publikums.