Tidjane Thiam, der designierte Konzernchef der Credit Suisse, gilt seit einer Woche als der Heilsbringer der Schweizer Grossbank. Die Erwartungen an ihn sind beängstigend hoch.
Selten ist ein neuer CEO in der Schweiz mit soviel Vorschusslorbeeren bedacht worden wie Tidjane Thiam, der Mitte Jahr die operative Führung der Credit Suisse übernehmen wird. An seinem Leistungsausweis und an seiner Integrität bestehen keine Zweifel.
Dennoch sind die hohen Erwartungen an ihn wenn nicht gefährlich, so doch etwas heikel. Denn am Ende des Tages könnte einiges doch anders herauskommen, als dies die Medien und manche Finanzanalysten zu wissen glauben. Hier sind acht Überlegungen:
1. Asien ist nicht gleich Asien
Tidjane Thiam bringt zwar ein enormes Know-how im asiatischen Markt mit. Allerdings stammt diese Expertise aus dem Versicherungsgeschäft von Prudential, wo der Manager bis jetzt CEO war. Das britische Assekuranzunternehmen konnte er in Asien sozusagen auf der grünen Wiese aufbauen und unter relativ verhaltenen Wettbewerbsbedingungen.
Das ist genau das Gegenteil der Verhältnisse im (Private) Banking, wo gerade in Asien ein knüppelharter Wettbewerb besteht, und die Kosten (für gute Kundenberater und wegen der Regulierung) ungebremst nach oben gehen. Im asiatischen Banking hat Thiam vermutlich wenig Erfahrung.
2. Investmentbanking bleibt wichtig
Erstaunlich schnell waren sich viele Kommentatoren und Finanzanalysten einig, dass der Nicht-(Investment-)Banker Thiam das in den vergangenen Jahren notorisch verteufelte Investmentbanking rigoros abbauen wird. Doch es gibt – gerade im Fall der Credit Suisse – handfeste Gründe, warum dies selbst unter der Ägide von Thiam nicht unbedingt im grossen Stil geschehen könnte.
3. Tradition ist kein Auslaufmodell
Die Credit Suisse sowie die vorangegangene Schweizerische Kreditanstalt (SKA), auf die sich Thiam bei seiner Antrittsrede vor einer Woche sogar bezog, hat eine lange Tradition im amerikanisch geprägten Investmentbanking.
Initiant dessen ist Rainer E. Gut (Bild oben), der es sich am vergangenen Dienstag nicht nehmen liess, den künftigen CEO persönlich zu begrüssen, worauf Thiam seine grosse Bewunderung für den Swiss-Banking-Veteranen mit den Worten: «Ich habe sehr viel von Ihnen gehört» zum Ausdruck brachte. Im Gegensatz zur UBS zählte die CS in den vergangenen dreissig Jahren stets zu den führenden Häusern an der Wall Street. Diese Errungenschaft wird auch ein Thiam nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.
4. Das wollen die Kunden
Gerade in Asien, dem wichtigsten Wachstumsmarkt der Credit Suisse, ist die Schweizer Grossbank aufs Investmentbanking mehr denn je angewiesen. Warum? Weil 70 Prozent der Kunden Unternehmer sind, die komplexe finanzielle Bedürfnisse haben, welche nur eine Investmentbanking erfüllen kann, sowohl im geschäftlichen wie auch im privaten Bereich.
Vor diesem Hintergrund wäre es ein schlechtes Zeichen, wenn Thiam bei seinem Antrittsbesuch in Hongkong, Singapur und Schanghai seinen Top-Kunden sagen müsste: «Sorry, aber wir bauen unser Investmentbanking jetzt radikal ab.»
5. Bloss eine Kopie der UBS?
Klar hat es die UBS vorgemacht und ihr Investmentbanking radikal abgebaut und setzt seither voll auf die private Vermögensverwaltung (Wealth Management). Das kann sie auch mit gutem Gewissen tun, da sie die grösste Vermögensverwalterin der Welt ist – und bleibt. Die CS ist mit ihren Kundenvermögen in dieser Sparte wesentlich kleiner und muss sich mit einigen anderen Finanzgiganten messen.
Wenn die CS jenen Weg einschlägt, den die UBS schon vor zwei Jahren gewählt hat, steht dies nicht gerade für viel Einfallsreichtum – und will die CS nur eine (kleinere) Kopie der UBS sein? Kaum.
6. Schweiz bleibt halt Schweiz
Kein Zweifel, Thiam ist in der Schweiz mit offenen Armen empfangen worden. Das darf allerdings nicht darüber hinweg täuschen, dass er eher wenig vom Geschäft der CS hierzulande weiss. Das kann er ja auch nicht. Und all seine «Buddies», die er angeblich in die Konzernleitung bringen will, wissen vermutlich genauso wenig über das Schweizer Geschäft wie er.
Umso mehr ist Thiam auf gestandene Swiss Banker angewiesen, allen voran auf Hans-Ulrich Meister (Bild oben), derzeit Schweiz- und Co-Chef im Private Banking und Asset Management. Wer also denkt, Meister sei auf dem Abschuss, täuscht sich vermutlich.
7. Wirklich gute Freunde?
Tidjane Thiam und Brady Dougan haben sich am vergangenen Dienstag mehrmals als enge Freunde bezeichnet. Dies lässt auf eine gewisse Übereinstimmung schliessen, wie ein Finanzkonzern aufgestellt respektive geführt werden soll.
Vor diesem Hintergrund liesse sich argumentieren, dass Thiam wohl nicht alles, was Dougan über die Jahre aufgebaut hat, kurzerhand über Bord wirft. C'est à suivre.
8. Die (Gross-)Aktionäre haben das Sagen
Bei der ganzen Aufregung um den neuen Heilsbringer an der operativen Spitze der CS geht allenthalben verloren, dass es letztlich der Verwaltungsrat ist, der die Strategie eines Unternehmens festlegt. Klar, das geschieht in Absprache mit der Konzernleitung. Doch im Aufsichtsgremium der CS sitzen einige wichtige Interessensvertreter (Bild unten), die Thiam nicht unbegrenzt werden schalten und walten lassen.
Diese wichtigen Aktionäre, darunter Jassim bin Hamad J.J. Al-Thani (Bild oben), der den katarischen Staatsfonds vertritt, der wiederum mehr als 20 Prozent an der CS hält, haben ein erklärtes Interesse daran, dass der Konzern auch in Zukunft ein schlagkräftiges Investmentbanking hat. Denn damit kann sich die zweitgrösste Schweizer Bank – selbst wenn die Regulierung hohe Kosten auslöst – ganz besonders profilieren.
Leader der Überraschungen?
Alles in allem dürfte sich die Credit Suisse auf einen spannenden Weg eingelassen haben – mit einem unbestrittenen Leader und Fachmann an der Spitze, der aber genauso für einige Überraschung gut sein könnte, wie es seine Wahl zum CEO war.