Muss jemand ganz oben zurücktreten? Nach dem Schuldgeständnis der Credit Suisse bleibt die Frage im Raum – und dreht weiter.

Was war bei Ihnen das Thema beim gestrigen Feierabendbier? Etwa das Für und Wider eines Rücktritts in den Top-Etagen der Credit Suisse? Die Debatte scheint für einmal nicht gleich wieder zu verschwinden im üblichen Hüst und Hott des Polit- und Branchentalks. Sie dreht im privaten Kreis munter weiter, auch in den Medien – was zum Teil auch mit den Produktionsbedingungen zu tun hat.

Unter anderem schaltete John Gapper von der «Financial Times» gestern Abend einen Kommentar auf, in dem er sich  recht erstaunt zeigte zur Nicht-Reaktion am Paradeplatz: Er kritisierte die Vorstellung, dass man im Hause CS nun weiterfahren will als ob wenig geschehen wäre.

Der Titel des Beitrags: «Credit Suisse must offer an honourable resignation» (Paywall). 

«Nennt mich altmodisch, aber das ist eine ausserordentlich unangemessene Antwort», so der FT-Kommentator: «Wenn eine strafrechtliche Verurteilung nicht mehr bedeutet als ein zivilrechtliches Vergehen – man bezahlt eine Busse und schlägt die Seite um –, dann bedeutet sie gar nichts.»

«Ihr CEO hat noch die Chance dazu»

Natürlich gebe es keine Hinweise, dass jemand an der CS-Spitze von einem System wusste, um US-Bürgern bei der Steuerflucht zu helfen. Aber Steuervermeidung sei eine Schweizer Tradition: «Ich erinnere mich an einen Schweizer Banker, der mir vor zwei Jahrzehnten erzählte, dass die Privatbanken ihr Geld nicht mehr mit Beihilfe zur Steuerhinterziehung verdienten – das sei in der Vergangenheit so gewesen. Dies war einsehbar (oder nicht-einsehbar) falsch.»

Mit anderen Worten: Es geht um ein kaum fassbares Delikt. Dieser Umstand wiederum führt die staatliche Seite zum Problem, dass sie irgendwelche abstrakten Objekte bestrafen muss – wozu Gapper gleich einen surrealen Satz aus der Anklage des US-Bundesanwalts zitiert: «Credit Suisse wurde eines Verstosses angeklagt, der mit Gefängnisstrafen von über einem Jahr bestraft werden kann.»

Was die FT dann zum Fazit führt, eine strafrechtliche Verurteilung sei doch ein ernstzunehmendere Angelegenheit: «Credit Suisse hat darin versagt, die Schwere ihres Vergehens anzuerkennen. Aber ihr Chief Executive hat noch die Chance dazu.»

«Sie schrauben herunter»

Weniger klar bleibt das «Dealbook»: Die Finanzmeinungs-Seite der «New York Times» brachte den Rücktritt von Brady Dougan gestern abend zwar auch aufs Tapet, allerdings enthielt sich der Autor selber der Stellungnahme.

Er zitiert indes John McCain, den republikanischen Senator, für den unverständlich ist, dass keine «officers, directors or key executives» persönlich zur Verantwortung gezogen worden seien. «Damit stellt sich die Frage, ob das Verfahren in Zukunft ähnliche Vergehen genügend abschrecken wird.»

Wie bei der «Financial Times», so blitzt auch im «Dealbook» eine Kernfrage auf, welche der Verbleib der CS-Topmanager in der angelsächsischen Debatte darstellt: Nämlich dass die US-Justiz mit dem Schlag gegen die CS zwar formell die Schraube angezogen hat – aber dass sich faktisch doch wenig änderte. «Wenn eine strafrechtliche Verurteilung keine Folgen hat, dann schrauben sie die Bedeutung solch einer Verurteilung herunter», so Rebel A. Cole, ein Finanzrechts-Professor der DePaul University, zur «New York Times».

«Pharaonische Vergütungen»

In der Schweiz rollte die Rücktritts-Debatte ja bereits an, als diverse Politiker in der Sonntagspresse den Abgang von Urs Rohner und Brady Dougan forderten. Am Mittwoch Nachmittag folgte – vielleicht wenig erstaunlich – die Aktionärsgruppe Actares, die verlauten liess: «Die Führung der Credit Suisse bewilligt sich Jahr für Jahr pharaonische Vergütungen. Wozu, wenn nicht zur Übernahme der Verantwortung im Krisenfall? Brady Dougan ist seit sieben Jahren im Amt, Urs Rohner seit drei Jahren, nachdem er zuvor fünf Jahre lang Chefjurist war. Wieso wurde denn nicht früher aufgeräumt?».

Eliten und Scheineliten

Fast identisch wird interessanterweise auf einer ganz anderen Seite argumentiert: Nachdem SVP-Vordenker Christoph Blocher schon am Sonntag gefordert hatte, die CS-Spitze müsse Verantwortung übernehmen, bringt nun auch Roger Köppel in der «Weltwoche» diesen Begriff in Stellung: «Gut möglich, dass ­weder Rohner noch Dougan direkt «schuld» waren an den Verfehlungen ihrer Bank in den USA, aber sie übernehmen jetzt dafür die Verantwortung. Wer die Verantwortung trägt, nimmt die Schuld auf sich. Und sollte entsprechend die Konsequenzen ziehen.»

Rohner Dougan WeWoKöppel geht es nicht um Bankenkritik, sondern um grundsätzliche Regeln der Businesswelt: «Wir geben keine leichtfertigen und wohlfeilen Rücktrittsforderungen ab, aber wir orientieren uns an den Grundprinzipien der Marktwirtschaft: Haftung und Verantwortung.» Wenn der Eindruck entstehe, dass an der Spitze keine Leistung­s­elite herrscht, sondern eine Oligarchie von Leuten, die auch nach Misserfolgen oben bleiben, verfalle die Wirtschaftsordnung. «Eliten ohne Verantwortung sind eben Scheineliten. Früher sprach man von "Ehre"».

Eine Gegenposition findet sich in der «Neuen Zürcher Zeitung», die ebenfalls dranbliebt an der Rücktrittsfrage. Hansueli Schöchli nennt die Abgangsrufe in seinem Donnerstags-Kommentar heuchlerisch – die Vermögensverwaltungs-Praxis der Banken sei ja gesamtgesellschaftlich gedeckt gewesen in der Schweiz. «Es wäre wohl nicht allzu stark übertrieben, zu sagen, dass mit konsequenter Anwendung solcher Rücktrittstandards ein Grossteil der international tätigen Vermögensverwaltungsbranche in der Schweiz angesichts der früher gängigen Betreuung unversteuerter Vermögen ihre Chefs auswechseln müsste.»

«Gibt es Alternativen?»

Und so bringt der NZZ-Kommentar die Frage zurück ins Unternehmen: «Solange keine Belege für persönlich deliktisches Verhalten vorliegen, hängt die Beurteilung der Chefdiskussion bei der Credit Suisse (und anderswo) vor allem von zwei Fragen ab: Wie stark belasten die Chefs die Reputation und die Glaubwürdigkeit des Unternehmens bei Kunden und anderen massgebenden Akteuren? Und: Gibt es bessere Alternativen?»

Wobei der Schlusssatz, ganz diskret, dann doch eine gewisse Entwartungshaltung zu äussern scheint: «Antworten dazu wird man vielleicht in nicht allzu langer Zeit vernehmen.»