Trotz der zurückliegenden Kurseinbrüche bei Small Caps, halten Experten an Nebenwerten fest. Mehr noch, sie prognostizieren ihnen ein grosses Wachstum. Peter Kraus von Berenberg Wealth und Asset Management geht im Gespräch mit finews.ch auf die Gründe der jüngsten Underperformance ein und erklärt, was für einen bevorstehenden Aufwärtstrend spricht.


Herr Kraus, Nebenwerte haben an den Märkten zuletzt stark gelitten. Worauf ist dies zurückzuführen?

Nebenwerte haben relativ zu Standardwerten in den vergangenen zwei Jahren den stärksten Kurseinbruch seit Jahrzehnten erlebt. Vor allem europäische klein- und mittelkapitalisierte Wachstumswerte wurden durch sehr schnell steigende Zinsen und das rezessive Umfeld hart abgestraft. Es war ein extremes Szenario.

Nach dem Corona-Lockdown, dessen Auswirkungen durch unterbrochene Lieferketten noch lange nachgewirkt haben, dem Inflations- und Zinsschock sowie dem Ausbruch des Ukraine-Krieges, sehen wir die niedrigsten Bewertungen seit zehn Jahren. Im Vergleich zu Large Caps sind Small Caps aktuell günstiger bewertet als am Höhepunkt der Finanzkrise von 2008.

Was spricht aus Marktsicht für ein Comeback der Nebenwerte?

Die Konjunktur hat sich zuletzt wieder von der schwächeren Seite gezeigt. Gleichzeitig sinken seit bereits knapp drei Jahren die Frühindikatoren. Das deutet darauf hin, dass wir uns derzeit wahrscheinlich in einer Bodenbildung befinden, bevor es an den Märkten wieder aufwärts gehen sollte und sich dies dann auch auf die Nebenwerte auswirken könnte. Ebenso sinken die Inflationsraten, und die Notenbanken befinden sich am Anfang eines Zinssenkungs-Zyklus'.

«Das ist die Stunde der Nebenwerte»

Die konjunkturelle Erholung ist in einem frühen Stadium, das ist die Stunde der Nebenwerte. Wir sind überzeugt, dass der langfristige Outperformance-Trend, den wir bei Nebenwerten seit Jahrzehnten gesehen haben, weiter anhalten wird.

Allerdings gibt es einen Unterschied beim Aufholpotenzial: Trotz zuletzt wieder fallender Zinsen ist das Niveau noch deutlich höher als vor einigen Jahren, was für viele Unternehmen mit hoher Nettoverschuldung problematisch ist.

Warum ist die Nettoverschuldung so entscheidend bei Nebenwerten?

Hoch verschuldete Unternehmen, die refinanzieren müssen, haben ein Problem. Bei Berenberg stehen jedoch Qualitätsunternehmen mit hohen Kapitalrenditen und starken Bilanzen im Fokus, die von strukturellen Wachstumstrends profitieren. Solchen Unternehmen dürfte es leichter fallen, die Erträge und den Cashflow pro Aktie stärker zu steigern als der Markt, wenn sich die Anzeichen der Erholung verdichten.

«Die Stars aus der zweiten und dritten Reihe erscheinen kaum auf dem Radar»

Eine weitere strukturelle Besonderheit der Nebenwerte in Europa besteht darin, dass sie von Analysten oft kaum wahrgenommen werden. Im Vergleich zu den USA gibt es in Europa nur eine Handvoll Large und Mega Caps wie Louis Vuitton oder ASML, die mit zweistelligen Wachstumszahlen beeindrucken und die Aufmerksamkeit von Analysten und Investoren auf sich ziehen. Die Stars aus der zweiten und dritten Reihe erscheinen indes kaum auf dem Radar.

Viele dieser Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung bis zu fünf Milliarden Euro haben sich in ihren Nischen als globale Marktführer etabliert. Mit ihrer Innovationskraft profitieren sie von der Digitalisierung, von Veränderungen im Gesundheitswesen oder nachhaltigen Technologien, was nicht selten mit mittelfristigen Wachstumsraten von 20 Prozent oder mehr einhergeht.

«Solche bestens positionierte Innovatoren sind für uns die Unternehmen der Zukunft»

Wir haben uns in den zurückliegenden zwei Jahren von dem schwierigen Marktumfeld nicht beirren lassen und sind unserem langfristigen Investmentansatz treu geblieben. So finden sich beispielsweise nach wie vor keine Banken, Versicherungen oder Immobilienunternehmen im Portfolio.

Dagegen haben wir bei Übertreibungen nach unten selektiv Chancen genutzt, beispielsweise im Halbleiter-, Healthcare- und Softwarebereich sowie im Sektor der diskretionären Konsumgüter und in Teilen der Industrie.

Welche Hidden Champions sind für Sie aktuell besonders interessant?

Aktuell sind europäische Hidden Champions unter anderem im Technologie- und Gesundheitssektor zu finden. Unternehmen wie die schweizerische Inficon oder die deutsche Atoss Software erfüllen unser Anforderungsprofil mit Blick auf eine internationale Vorreiterrolle und starke Margen, die es ihnen ermöglichen, inflationsgetriebene Preissteigerungen abzufedern und signifikant in Forschung und Entwicklung zu investieren. Solche bestens positionierte Innovatoren sind für uns die Unternehmen der Zukunft.

Doch auch in anderen Branchen werden wir fündig, beispielsweise bei Skan, einem Schweizer Hersteller von Isolatoren für die sterile Abfüllung injizierbarer Medikamente. Die unterliegenden Treiber sind aus unserer Sicht robust: 75 Prozent aller neuen Medikamente werden in Zukunft hochpreisige Biologika/Injektionspräparate sein, die Isolatoren für die aseptische Abfüllung benötigen. Das Unternehmen zeigt ein starkes Wachstum in Verbindung mit steigenden Margen, hohen Renditen sowie eine Netto-Cash-Position.

«Das macht Schweden so interessant»

Darüber hinaus werden wir immer wieder in Skandinavien fündig, allem voran in Schweden. Der dortige Markt ist klein, was die Wirtschaft und das Land als Ganzes angeht – Deutschland ist etwa zehnmal grösser. Doch Schweden steht an der Spitze der Innovation im Gesundheitswesen und im Technologie-Sektor.

Neue Investoren haben es im Allgemeinen schwer, Zugang zu dem Land zu bekommen, da es nur eine begrenzte Anzahl von Brokern gibt, womit ich vor allem lokale Broker meine. Das macht das Land so interessant. Schweden macht derzeit 31 Prozent des geografischen «Exposure» des Small-Cap-Fonds und 37 Prozent des Micro-Cap-Fonds aus.


Peter Kraus ist Leiter des Bereich Small-Cap-Aktien bei Berenberg Wealth und Asset Management.