Während viele Banken eigene Kunstsammlungen aufbauen oder im Sponsoring aktiv sind, verfolgt die Schweizer Privatbank Bergos einen unabhängigen Ansatz. Kunst ist für sie keine Investitionsmöglichkeit im eigenen Interesse, sondern ein Service für ihre Kundschaft. Dr. Thomas Kellein, Leiter des Art Consult bei dem Finanzinstitut, erklärt im Gespräch mit finews.art, warum Bergos auf diesen klaren Weg setzt.

Thomas Kellein, Bergos sammelt keine Kunst und betreibt auch kein Sponsoring?

Das ist richtig. Wir haben uns bewusst dagegen entschieden, um Interessenkonflikte zu vermeiden. Wenn wir selbst sammeln würden, könnten unsere Kundinnen und Kunden nie sicher sein, ob wir in ihrem oder unserem Interesse handeln. Unsere Beratung ist deshalb ausschliesslich auf ihre Bedürfnisse ausgerichtet.

Aber ich habe bei Ihnen im Büro ein Werk von Christo gesehen.

Das ist reine Dekoration, keine Kunst im eigentlichen Sinne. Diese Stücke hängen hier seit Jahren, ohne dass sich jemand wirklich darum gekümmert hat.

Ihr beruflicher Weg ist beeindruckend, vor allem Ihre langjährige Erfahrung im Museumsbereich. Wie sind Sie zur Bank gekommen?

Das war eher ein Zufall. 2012 traf ich einen wichtigen Sammler, der von der Berenberg Bank in Hamburg betreut wurde. Diese Bank hatte zwei Jahre später ein innovatives Modell, bei dem die Kunstberatung vollständig intern erfolgte – ohne externe Berater oder Subunternehmen. Es war ein Ansatz, der mich überzeugt hat, und den ich bis heute weiterverfolge. 2017 fragte mich der hiesige CEO von Bergos, Dr. Peter Raskin, ob ich nicht nach Zürich kommen wolle, und so bin ich hier gelandet.

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Dr. Thomas Kellein (links) und Dr. Peter Raskin (Bild: Bergos AG)

Wie sieht Ihre Arbeit im Bereich der Kunstberatung bei Bergos konkret aus?

Wir betreuen sowohl erfahrene Sammler als auch Einsteiger. Viele Kundinnen und Kunden haben mit nur wenigen Werken begonnen, aber wenn der Funke einmal überspringt, bleibt das Interesse. Unsere Beratung umfasst alles: Vom Aushandeln von Rabatten über den Transport bis hin zur Versicherung. Wir bieten auch eine jährliche Bewertung der Sammlungen an, damit unsere Kundinnen und Kunden wissen, wie sich ihre «Kunst-Assets» entwickelt haben und wir übermitteln einen Portfolioauszug.

Wie stellt sich Bergos zur künstlichen Intelligenz in der Kunstbewertung?

Wir haben das ausprobiert, aber die Ergebnisse waren enttäuschend. Die Fehlerquote lag teilweise bei 60 Prozent. Künstliche Intelligenz kann die menschliche Expertise in diesem Bereich noch nicht ersetzen. Wir verlassen uns daher weiterhin auf unser eigenes Wissen und unsere jahrelange Erfahrung.

Warum lohnt sich denn Kunst als Investition?

Ich glaube, niemand ist glücklich damit, etwas zu kaufen, das am nächsten Tag keinen Wert mehr hat, weil man beschwatzt wurde und einen Fehler gemacht hat. Oft kommen Personen zu uns und sagen: «Mein bester Freund ist mein Galerist.» Da sage ich in der Regel: Da ist etwas faul. Galerien müssen verkaufen, und das beeinflusst die Beratung.

«Kunst ist keine Aktie und der Markt kann sehr volatil sein»

Wir hingegen haben keine Werke im Schrank, die wir an unsere Kundschaft bringen müssen. Unsere Beratung beginnt immer bei der Person: Wer bist du? Was macht dich glücklich? Was macht dich unglücklich? Jeder Kunde und jede Kundin hat andere Bedürfnisse, und wir finden gemeinsam einen Weg, der individuell passt.

Wie wichtig ist Kunst als Investition für Ihre Kundinnen und Kunden?

Das Thema kommt natürlich immer wieder auf, aber wir raten davon ab, Kunst nur als Investment zu sehen. Wenn jemand etwas kauft, das ihm nicht gefällt, nur weil es als lukrativ gilt, wird er oder sie selten glücklich. Unser Ziel ist es, dass unsere Kundschaft Werke erwirbt, an denen sie auch nach zehn Jahren noch Freude hat. Kunst ist keine Aktie und der Markt kann sehr volatil sein.

Wie steht Bergos zur digitalen Kunst und NFTs?

Wir haben das Phänomen der NFTs aufmerksam verfolgt. Es gab eine Phase, in der Millionenbeträge für Werke geboten wurden, die aus unserer Sicht wenig künstlerischen Wert hatten. Der Markt hat sich inzwischen deutlich abgekühlt – teilweise haben NFTs bis zu 98 Prozent ihres Wertes verloren. Digitale Kunst wird in der Zukunft sicher eine Rolle spielen, aber im Moment ist sie weit von der Tiefe und Beständigkeit traditioneller Kunst entfernt.

Wohin entwickelt sich der Kunstmarkt aktuell?

Im Vergleich zu früheren Jahrzehnten zeigt sich der Kunstmarkt heute überraschend stabil. Anfang der 90er Jahre führte eine Krise dazu, dass viele Galerien nichts mehr verkaufen konnten – eine Art «Reinigung» des Marktes. Ähnliche Herausforderungen sehen wir auch heute, vor allem durch die enormen Kosten. Auktionshäuser und Galerien tragen hohe Ausgaben, was die Kunstpreise in die Höhe treibt.

«Ich glaube, wir werden in den kommenden Jahren eine deutliche Umorientierung erleben»

Ein weiteres Problem ist die Überbewertung der Ultra-Contemporary Art. Diese Blase beginnt sich gerade zu korrigieren, eine Entwicklung, die durch die Pandemie zunächst beschleunigt wurde. Während Krisen wie der Ukraine-Krieg den Kunstmarkt kaum erschüttert haben, haben wir steigende Zinsen und einen Rückzug Chinas als bedeutenden Marktakteur als tendenzielle Auslöser für den Rückgang erlebt. Auktionshäuser wie Christie's und Sotheby's konzentrieren sich zunehmend auf Luxusgüter, was der Kunst ihre Seele nimmt. Kunst bleibt jedoch eine Glaubenssache – das zeigen die starken Ergebnisse bei Auktionen wie zuletzt bei Kornfeld.

Es gibt derzeit eine Überfokussierung auf das Zeitgenössische, während alte Kunst kaum noch Beachtung findet. Ich glaube, wir werden in den kommenden Jahren eine deutliche Umorientierung erleben.

Was raten Sie jungen Sammlerinnen und Sammlern mit kleinem Budget?

Es ist wichtig, sich auf Werke zu konzentrieren, die einen wirklich berühren. Mit einem kleinen Budget kann man immer noch bedeutende Kunst finden. Ich habe als Student mein erstes Werk von Walter de Maria für 700 Deutsche Mark gekauft und besitze es bis heute. Es geht nicht nur darum, etwas Wertvolles zu kaufen, sondern etwas, das einem langfristig Freude bereitet.


Dr. Thomas Kellein ist seit 2017 Leiter der Art Consult bei der Schweizer Privatbank Bergos. Zuvor war er über 30 Jahre in der Museumswelt tätig, unter anderem als Direktor der Kunsthalle Bielefeld und der Chinati Foundation in Texas. Seine Leidenschaft für Kunst spiegelt sich nicht nur in seiner langjährigen Berufserfahrung wider, sondern auch in seinem persönlichen Ansatz der Beratung.