Der digitale Wandel in der Finanzbranche wird durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz ungeahnte Ausmasse annehmen. Ein preisgekrönter Fondsmanager setzt erste Erkenntnisse in die Praxis um.
Künstliche Intelligenz (KI) und superintelligente Computer werden die Welt des Geld Anlegens dermassen verändern, dass am Ende der Mensch aus dem gesamten Prozess verdrängt sein wird.
Diese Prognose ist steil und dennoch nicht neu. Der Begriff künstliche Intelligenz existiert bereits seit Mitte des vorangegangenen Jahrhunderts und mit jedem technologischen Schritt haben sich solche Prognosen wiederholt – ohne wirklich einzutreffen.
Lernfähigkeit steigt rapide
Doch nun bricht eine Revolution an. Dessen ist sich Jürgen Schmidhuber (Bild unten) sicher. Er ist Professor für künstliche Intelligenz an der Universität Lugano und einer der weltweit führenden Forscher auf diesem Gebiet.
«Seit 1941 wird das Rechnen alle fünf Jahre zehn mal billiger. Lernende künstliche neuronale Netzwerke können auf heutigen Computern Menschen auch in der Finanzindustrie unterstützen oder ersetzen», sagt Schmidhuber zu finews.ch.
Das Epizentrum im Appenzell
Zwar ist bekannt, dass IT-Riesen wie Google und Apple bereits mit künstlicher Intelligenz arbeiten und Vermögensverwalter wie Blackrock oder der Hedgefonds Bridgewater von Ray Dallio mit künstlicher Intelligenz experimentieren. Doch Zählbares weisen diese Giganten bislang nicht auf – oder sie halten es geheim.
Das Epizentrum des Einsatzes von künstlicher Intelligenz im Investmentmanagement liegt denn auch nicht in New York oder im Silicon Valley. Es liegt im Kanton Appenzell, hoch über dem Bodensee im Dörfchen Walzenhausen.
Der erste komplett maschinenoptimierte Fonds
Hier hat dwe Fondsmanager Hendrik Leber (Bild), Gründer und Inhaber der Vermögensverwaltung Acatis, in den vergangenen Jahren den Einsatz von künstlicher Intelligenz im Portfoliomanagement zur Marktreife gebracht. Know-how hat ihm dabei ein Team von Professor Schmidhuber geliefert.
Diese Woche lanciert Leber zusammen mit Bayerninvest den ersten komplett maschinenoptimierten Fonds. «Wir entlassen den Computer schrittweise in die Freiheit», sagt Leber im Gespräch mit finews.ch.
Haushoch überlegen
Der Fonds ist nicht bloss ein Meilenstein in der erfolgreichen Karriere Lebers als Value-Investor. Kürzlich erst ist er vom Finanzen Verlag zum Fondsmanager des Jahres gekrönt worden. Der Fonds ist eine Weltneuheit – und in letzter Konsequenz der Beginn einer Revolution, die das Ende des traditionellen Fondsmanagements einläuten wird.
Der Pionierleistung sind mit Hilfe von künstlicher Intelligenz einige Tests und Produkte vorangegangen sind. Die bisherigen Ergebnisse sind nach den Worten Lebers phänomenal: «Ich gestehe gerne, dass mir dieser Computer haushoch überlegen ist.»
Die Outperformance in den letzten fünf Jahren lag bei jeweils 3 bis 5 Prozent, in den Jahren davon bei 10 bis 50 Prozent. Für Leber heisst dies, dass die Märkte in diesem Zeitraum nochmals effizienter geworden sind.
Computer erkennt nichtlineare Zusammenhänge
Nun ist der Einsatz von computerbasierten Research- und Handelsprogrammen nicht neu. Es gibt ein Reihe von Hedgefonds, die damit phänomenale Ergebnisse erzielt haben, aber auch solche, die phänomenal abgestürzt sind.
Der Unterschied jetzt besteht darin, dass der Computer aufgrund seiner Lernfähigkeit in bestimmten Mustern auch nichtlineare Zusammenhänge erkennen kann, wie Leber erklärt. Im Jargon betreiben diese Maschinen «deep learning».
Das Ende des klassischen Fondsmanagements
Die Maschine analysiert Rohdaten, beispielsweise aus Unternehmensbilanzen, sieht Muster, erstellt Regeln, probiert diese aus, verbessert sie und leitet daraus ihr Handeln ab. «Der Computer übt im Prinzip solange, bis das Optimum erreicht ist», sagt der 60-Jährige Fondsmanager, der seine Karriere bei McKinsey und beim Bankhaus Metzler gestartet hat. Von Hand liesse sich dies nicht programmieren.
Nachvollziehbar sei das Handeln des Computers für ihn nur noch teilweise, räumt er ein. Die Maschine entscheide vollkommen autonom. Unbescheiden räumt Leber ein, dass er im Prinzip das Ende des klassischen Fondsmanagements einläute.
Zeitenwende noch weit entfernt?
Für ihn ist es ein rationaler Schritt. Die Computerleistung steige im Gegensatz zu jener eines menschlichen Hirns markant weiter an. «Dass ich von einem Computerprogramm im Fondsmanagement irgendwann geschlagen werde, ist also unausweichlich», sagt Leber.
Damit beschreibt er eine Zeitenwende, die in der Finanzbranche noch weit entfernt scheint. Begriffe wie Computerleistung, Automatisierung und Digitalisierung werden mehrheitlich im Zusammenhang mit Effizienz und Kostensenkungen genannt.
Rapide Entwicklung steht bevor
Robo-Advisor oder digitales Wealth Management werden für niederschwellige Finanzdienstleistungen verwendet. Der Computer ist dem Menschen ein praktisches Hilfsmittel, er soll ihn nicht ersetzen.
Wer aber Schmidhuber zuhört, realisiert, dass dies viel zu kurz gedacht ist. Der Professor, dessen Forschungsergebnisse beispielsweise in Smartphones als Spracherkennung Anwendung finden, ist sich sicher, dass die Computerleistung nun an einem Punkt ist, an welchem sich künstliche Intelligenz rapide entwickeln wird.
Keine Grenzen gesetzt
«Die vom Menschen dominierte Zivilisationsgeschichte wird sich in den nächsten Jahrzehnten dem Ende zuneigen», sagt Schmidhuber. Künstliche Intelligenz werde sich verselbständigen und als Superintelligenz rasch ins Weltall ausdehnen, weil sich dort fast alle Ressourcen befinden.
Menschen seien hier Grenzen gesetzt, nicht aber künstlicher Intelligenz. Diese müsse nur dann mit schwerfälligen Raumschiffen reisen, wenn es am Zielort noch keine Radioempfänger und sonstige Infrastruktur für Roboterbau gibt, normalerweise aber per Radio mit Lichtgeschwindigkeit vom Sender zum Empfänger.
«Sie werden sich in höchst kreativer Weise unglaublich rasant weiterentwickeln, und sich langfristig dabei kaum für Menschen interessieren», so Schmidhuber.
Lesen Sie morgen Dienstag das Interview mit Hendrik Leber.