Die Schlacht mit den USA sei geschlagen, sagt der frühere Botschafter Thomas Borer. Das eröffne Chancen. Doch die Schweiz laufe Gefahr, diese Chancen zu verpassen.
Der frühere Schweizer Botschafter und Task-Force-Leiter Thomas Borer ist bekannt für seine kernigen, nicht selten auch unbequemen Voten, besonders, wenn es um die Schweizer Finanzbranche geht.
Das zeigte sich vergangene Woche wieder an der Generalversammlung des Zürcher Bankenverbands (ZBV) (Bild unten), wo er als Gastredner auftrat. Beiläufig bemerkte er dabei auch, dass er selber einst Bankangestellter gewesen sei, als er von 1985 bis 1987 bei der UBS in Genf gearbeitet habe.
Nachdem die Schweizer Finanzbranche in den vergangenen Jahren in einen absorbierenden Steuerstreit mit den USA verwickelt war und deswegen kaum nach vorn blicken konnte, sei diese Schlacht nun geschlagen, stellte Borer fest. Die Schweiz stehe an einem Wendepunkt, könnte sich neuem zuwenden.
Allerdings fehle dafür eine langfristige Strategie, stellte der ehemalige Botschafter fest. Darum laufe unser Land Gefahr, seine Vorteile im Ausland nicht genügend herauszustellen. In diesem Zusammenhang verwies Borer auch auf jüngste internationale Erhebungen, wonach der Finanzplatz Zürich, was seine Reputation anbelangt, nicht einmal mehr in der Top Ten figuriere.
Wasser auf seine Mühlen
Es ist nicht das erste Mal, dass Borer zu diesem Lamento ansetzt. In seiner heutigen Funktion als Unternehmensberater, namentlich als Senior Advisor für den internationalen Beratungskonzern Oliver Wyman, sind derlei Aussagen Wasser auf seine Mühlen. Doch Unrecht hat er nicht.
Denn seit die Welt nach der Jahrtausendwende zum Kampf gegen Steueroasen und Steuerbetrug aufrief, befindet sich die Schweiz in der Defensive, muss klein beigeben und setzt so einen bedeutenden Wirtschaftszweig der Gefahr aus, zerstört zu werden. Ein Blick auf das Schweizer Bankgeheimnis oder auf das, was davon noch bleibt, faktisch wie auch imagemässig, unterstreichen Borers Feststellungen eindeutig.
Schweiz als Grossmacht
Vor diesem Hintergrund plädiert Borer für eine Strategie, die für die 10 bis 15 wichtigsten Zielmärkte der Schweiz (und deren Finanzplatz) formuliert werden müsste. Argumente für unser Land gebe es genug.
«Eigentlich ist die Schweiz eine Grossmacht», sagte der frühere Botschafter vor den Zürcher Bankmanagern und verwies dabei auf diverse Erhebungen, in denen unser Land, sei es gemessen an der Wettbewerbsfähigkeit, Innovation, Bildung, am Gesundheitswesen oder an der Finanzkraft, stets Spitzenränge einnehme.
Mit der Muttermilch
Auch in Bezug auf die Börsenkapitalisierung zählt die Schweiz zu den internationalen Schwergewichten, und gemessen an der Attraktivität ihrer Marke (Nation Brands Report) liegt unser Land im globalen Vergleich an 14. Stelle, unterstrich Borer, «doch wir scheinen den Glauben, dass wir ein Kleinstaat sind, schon mit der Muttermilch aufgesogen zu haben», sagte er.
Borer ging auch auf die USA ein, wo er in den 1990er-Jahren auf der Botschaft in Washington D.C. tätig war. Man hätte mit den Amerikanern bereits einen umfassenden Vergleich (Settlement) vereinbaren sollen, als es erst um die UBS ging, die eine Busse von 750 Millionen Dollar zahlte, sagte der Ex-Botschafter.
Amerikanische Doppelmoral
«Das wäre möglich gewesen, doch jeder hat nur für sich geschaut», so Borer weiter, der sich bis heute an der Doppelmoral der Amerikaner stört. «Sie bekämpfen weltweit die Steuerkriminalität, bieten gleichzeitig aber in Delaware, Florida oder Nevada die besten Standorte für anonyme Firmengründungen und Geldwäscherei.»
Vor diesem Hintergrund hätte sich die Schweiz schon immer stärker zur Wehr setzen sollen, so Borer. «Es hätte klar sein müssen, dass ein Angriff auf die Schweiz seinen Preis hat», sagte er. An Unterstützung hätte es dabei nicht einmal gemangelt. Denn die USA seien eine grundsätzlich offene politische Gesellschaft, wo die Schweiz Verbündete für ihre Interessen und Anliegen finden würde.
Ohne sich selber politisch festzulegen, unterstrich Borer zudem, dass die Schweizer Banken unter republikanischen US-Präsidenten stets besser gefahren seien.
Brexit als Inbegriff der EU-Krise
Chancen für die Schweiz und ihren Finanzplatz sieht Borer auch in Europa nach dem Brexit, welcher der Inbegriff der Krise innerhalb der EU sei. «Das Brexit-Votum ist eine Kritik an der EU, an deren Zentralismus, Bürokratie, dem Mangel an Demokratie und der Unfähigkeit, Krisen zu Lösen (Finanzkrise, Flüchtlingskrise, Arbeitslosigkeit)», sagte der Redner.
Kurzfristig sei der Brexit ein Schock gewesen, aber sicher nicht der Weltuntergang: «Die Suppe wird nie so heiss gegessen wie sie gekocht wurde.» Borer rief auch in Erinnerung, dass das Vereinigte Königreich eine bedeutende Wirtschaftsmacht ist.
Gute Kunden
«Jedes vierte deutsche Auto wird in Grossbritannien gekauft – und mit guten Kunden geht man nicht so schlecht um», sagte Borer an die Adresse der EU, namentlich an Deutschland. Er schliesst nicht aus, dass es dereinst einen Kern und ein übriges Europa geben wird. «So hätte die Schweiz weniger Mühe, sich einem solchen Kerneuropa anzunähern», sagte er.
Dass Frankfurt als Finanzplatz zur ersten Adresse in Europa aufsteigt, glaubt Borer nicht. Dafür sei London viel zu einflussreich. Chancen attestiert er jedoch der Schweiz, sofern es ihr gelinge, in zunehmend wichtigeren und kaum mit der Börse korrelierenden Geschäftsfeldern wie Private Equity, Hedgefonds, Infrastruktur- und Immobilien-Investments das erforerliche Know-how anzubieten – was bei vielen Banken derzeit aber kaum der Fall sei, wie Borer betonte.
Kein «Uber-Effekt»
Er glaubt auch nicht an den vielzitierten «Uber-Effekt», wonach die Bankbranche aufgebrochen und von branchenfremden Technologiefirmen (Google, Amazon) vereinnahmt werde.
«Es wird auch in Zukunft kompetente Beratung brauchen», sagte Borer. Klar sei aber auch, dass viele administrative Dienste künftig von einer grossen Transaktionsbank erledigt werden könnten. Allerdings müsse diese Infrastruktur nicht zwingend von der SIX Group kommen. Es gebe auch günstigere Unternehmen, etwa in Grossbritannien, hielt Borer fest.