Dass die Anleger der AT1-Anleihen der Credit Suisse einen Totalverlust erleiden, während die Aktionäre 3 Milliarden Franken erhalten, sorgt weltweit für Aufsehen. Warum hat die Schweiz diesen Weg gewählt?
Auch am zweiten Tag nach der historischen Übernahme der Credit Suisse (CS) durch die Schweizer Grossbank UBS sorgt die Rettungsfusion für erhitzte Gemüter und hitzige Diskussionen. Wie fast immer bei solchen Riesentransaktionen steckt der Teufel im «Detail».
Im Rahmen der Zwangsehe, bei der die UBS die CS für 3 Milliarden Franken in Aktien übernimmt, werden auf Anordnung der Schweizer Finanzmarktaufsicht (Finma) die Additional-Tier-1-Anleihen (AT1) der CS im Volumen von 16 Milliarden Franken auf null abgeschrieben. Das fusionierte Unternehmen profitiert von diesem Vorgehen, da die risikogewichteten Aktiven reduziert und das Kernkapital gestärkt werden.
Ein Sonderweg der Schweiz
Allerdings werden in der Regel die Obligationenanleger bevorzugt, wogegen die Aktionäre üblicherweise ihr Investment verlieren. Bei der Fusion von UBS und CS weicht die Schweiz von dieser allgemeinen Regel ab - und sorgt damit für Entsetzen bei den Obligationären.
Die sogenannten CoCo-Bonds (Contingent Convertible Bonds) der CS enthielten einen expliziten Passus, der es den Aufsichtsbehörden erlaubte, die Anleihen abzuschreiben, ohne zuerst die Aktionäre zur Kasse zu bitten.
Auch wenn die Investoren zum Zeitpunkt der Zeichnung über die Risiken von CoCo-Anleihen der CS aufgeklärt wurden, ist der Schweizer Weg ungewöhnlich. Bei den meisten anderen Banken in Europa und Grossbritannien sind solche Anleihen besser geschützt als im Fall der Credit Suisse.
Musterfall geschaffen?
Es stellt sich nun die Frage, warum die Schweizer Behörden bei der Vermittlung des Notverkaufs an die UBS diese Option gewählt haben und ob andere Aufsichtsbehörden bei künftigen Bankenzusammenbrüchen ähnlich vorgehen könnten.
Ein Trio europäischer Aufsichtsbehörden - die Europäische Bankenaufsichtsbehörde, die EZB-Aufsichtsbehörde und der Abwicklungsausschuss (Single Resolution Board) - beeilte sich daher noch am Montag, eine gemeinsame Erklärung abzugeben. Sie versicherten den Anlegern, dass im Falle einer Bankenpleite in der Europäischen Union zuerst die Aktionäre leiden würden. Damit wollten sie die Nerven der Anleger nach dem AT1-Entscheid der Schweiz beruhigen.
Haufenweise Anfragen bei der Finma
Bei der Finma glühen nun die Drähte und die elektronischen Briefkästen sind voll. Dass die AT1-Anleger einen Totalverlust erleiden, während die Aktionäre 3 Milliarden Franken erhalten, sorgt weltweit für Aufsehen. Auch finews.ch hat bei der Finma nachgefragt, aber noch keine Antwort erhalten.
Wie aus Zürcher Bankkreisen verlautet, dürfte sich die Finma mit ihrer Antwort Zeit lassen. So rechnen Bankexperten damit, dass sich die Aufseher zuerst mit dem Bundesrat und der Schweizerischen Nationalbank absprechen, bevor sie öffentlich kommunizieren.
Wohl mit Bedacht, denn das Vorgehen der Schweizer Behörden ist umstritten. Der Fall beschäftigt inzwischen die Juristen und möglicherweise in Zukunft auch die Gerichte.
Die internationale Anwaltskanzlei Quinn Emanuel Urquhart & Sullivan hat bereits ein Team von Anwälten aus der Schweiz, den USA und Grossbritannien zusammengestellt, das mit einer Reihe von CS-Anleihegläubigern Gespräche über mögliche rechtliche Schritte nach der vollständigen Abschreibung ihrer AT1-Anleihen führt.
Auch Analysten waren überrascht
Bereits im Analysten-Call der UBS nach der CS-Übernahme sorgten die CoCo-Bonds für Gesprächsstoff und Verwunderung. So fragte die Analystin Flora Bocahut vom Wertpapierhaus Jeffries überrascht, warum dieser Weg gewählt worden sei und ob sich daraus ein Prozessrisiko für die UBS ergeben könnte. UBS-Chef Ralph Hamers antwortete, dass der Entscheid von der Finma gefällt worden sei und sich daraus keine Haftung für die Bank ergebe.
Auch Andrew Lim von der französischen Grossbank Société Générale fand das Vorgehen der Finma, die Aktionäre gegenüber den AT1-Gläubigern zu bevorzugen, befremdlich. Einen tieferen Einblick in die Verhandlungen zwischen den Schweizer Behörden und der UBS gewährte Hamers in der Konferenz allerdings nicht.
GAM womöglich betroffen
Dass die Anleihegläubiger nicht besser geschützt worden seien, trage zur Verunsicherung an den Finanzmärkten bei, heisst es derweil auch aus Schweizer Bankenkreisen. Der Schritt der Finma könnte es nun für andere Kreditgeber schwieriger machen, Kapital über neue AT1-Anleihen aufzunehmen.
Gleichzeitig wird gerätselt, wer in welchem Umfang Verluste erlitten hat. Gemäss «Reuters» gehörten die von Lazard Asset Management, Pimco und GAM Investments verwalteten Fonds Ende Februar zu den Portfolios, die am stärksten in AT1-Anleihen der CS investiert waren, was sie potenziell anfällig für Verluste durch die Abschreibung der Anleihen macht. Die genannten Unternehmen haben keine Stellungnahme abgegeben.