Das Bankgeheimnis abschaffen, nur weil es Leute gibt, die in diesem Kontext Gesetze brechen? Nein, sagt der Banken- und Finanzmarktexperte gegenüber finews.ch.
Herr Heri, die Schweizer Banken, der Schweizer Finanzplatz wird von allen Seiten bedrängt. Mit welcher Strategie den Angriffen begegnet werden soll, da scheiden sich die Geister. Welche Taktik ist empfehlenswert: Im Reduit verharren oder in die Offensive gehen?
Polarisierungen sind nie gut. Wir müssen einen vernünftigen Zwischenweg finden. Auf der einen Seite dürfen und sollten wir mit einem gewissen Selbstvertrauen denjenigen — durchaus auch inländischen Politikern — gegenübertreten, die die Leistungen des Finanzplatzes auf Schwarz- und Potentatengelder zu reduzieren versuchen.
«Auswüchse radikal ausmerzen»
Auf der anderen Seite müssen wir zugestehen, dass wir seit Ende der Neunzigerjahre Auswüchse erlebt haben, die heute radikal ausgemerzt werden müssen. Zu einem relevanten Teil ist dies aber nicht nur ein Problem der Schweiz, sondern ein Problem des globalen Finanzsektors.
Ist das vielzitierte Bankkundengeheimnis bereits klinisch tot und denken Sie, dass über kurz oder lang auch die Steuerbehörden in der Schweiz den Zugriff auf Bankdaten von Bankkunden durchsetzen werden?
In Zusammenhang mit den unendlichen Diskussionen zum Bankkundengeheimnis beelendet es mich, dass man die ganze Angelegenheit praktisch als Konstrukt oder Produkt der Banken sieht, das der Industrie eine hohe Marge sichern soll.
Die Grundlage des Bankkundengeheimnisses geht doch viel weiter. Es ist unter anderem Ausdruck eines spezifischen Staatsverständnisses das in unserem Lande herrscht, sprich: dem Verhältnis zwischen Staat und Individuum.
Was meinen Sie damit konkret?
Unser Staatsverständnis ist völlig anders als dasjenige in den umliegenden Europäischen Ländern. Das hat mit historischen Entwicklungen zu tun, wie sie kürzlich in einem Artikel der NZZ am Sonntag vom 2. Dezember des Historikers Volker Reinhardt herausgearbeitet wurden.
«Unser Staatsverständnis ist völlig anders»
Nach Reinhardt war der Staat in der Geschichte der Schweiz immer ein «minimalistisches Konstrukt». Quasi ein Dienstleistungsunternehmen, dem der Souverän sagte, was er von ihm brauchte und was er dafür zu zahlen bereit sei.
Das Verhältnis der Schweizer zu ihrem Staat sei entsprechend geprägt von einer Mischung aus Vertrauen und Misstrauen und die ungeschriebene Staatsdoktrin der Eidgenossenschaft dürfte darin bestehen, dass « … der Staat dem Einzelnen so viel Vertrauen entgegenzubringen hat, bis er damit an Grenzen stösst».
So betrachtet erscheint manches in einem anderen Licht...
Ja, wenn man das Bankkundengeheimnis aus dieser Warte betrachtet, dann bekommt es einen ganz anderen Anstrich. Ich gebe dem Staat, was des Staates ist, darüber hinaus hat er nicht bei mir rumzuschnüffeln.
Dass es darüber hinaus Leute gibt, die in diesem Kontext Gesetze brechen, ist doch ein ganz anderes Thema. Wir schaffen ja auch nicht die Autobahnen ab, nur weil es Leute gibt, die zu schnell fahren.
Ich behaupte nicht, dass dies die einzige Sicht ist, die man zum Bankgeheimnis haben kann. Aber ich würde mir wünschen, dass diejenigen – insbesondere auch in der Bankindustrie selbst –, die das Bankkundengeheimnis bereits totsagen, sich auch auf dieser Ebene einmal Gedanken machen würden.
Dass die linken Parteien in der Schweiz und darüber hinaus das ganze umliegende Ausland dies anders sehen, hat eben mit deren Staatsverständnis zu tun, das ein völlig anderes ist als das liberale Denkmodell, das in der Schweiz zum Glück immer noch vorherrscht. Das ist keine Wertung, lediglich eine Feststellung.
«Wir bieten den Bankkunden viel mehr als nur Anonymität»
Droht der Schweiz ein signifikanter Geldabfluss, wenn der so genannt gläserne Bankkunde Einzug halten würde?
Wenn der «gläserne Bankkunde» zu einem global akzeptierten und durchgesetzten Modell wird, hätte das für uns keine wesentlichen Konsequenzen. Wir bieten den inländischen und ausländischen Bankkunden viel mehr als nur Anonymität.
Man muss nur die wirtschaftliche und politische Situation in vielen Industrieländern mit der Situation in der Schweiz vergleichen. Es wird dann offensichtlich, dass ein Teil des globalen, «gläsernen» Vermögens auf der Suche nach realer Kaufkrafterhaltung weiterhin in die Schweiz fliessen wird.
«Die Konsolidierung wird auch die unabhängigen Vermögensverwalter erfassen»
Sollten wir aber die gloriose Idee haben, praktisch aus vorauseilendem Gehorsam – wem auch immer gegenüber – als einziger Finanzplatz den «gläsernen Bankkunden» einzuführen, dann schaufeln wir das Grab für einen relevanten Teil unserer Volkswirtschaft – die anderen Finanzplätze würden es uns danken.
In welche Richtung wird sich die Bankenstruktur in der Schweiz in den nächsten Jahren verändern? Kommt es zu einer weiteren Bereinigung und einem massiven Stellenabbau?
Die Konsolidierung wird weitergehen und vermehrt auch die unabhängigen Vermögensverwalter erfassen. Die Regulierungen werden weiter zunehmen und das Businessmodell der Banken weiter beeinflussen.
Im Private Banking werden wir wieder von der Verkäufermentalität wegkommen müssen und uns wieder als Treuhänder der Anlagekundschaft verstehen. Die Investment Banking Mentalität, die in den Private Banking Abteilungen vieler Banken Einzug gehalten hat, nachdem diese von Investment Bankern quasi «übernommen wurden», hat der Bankenindustrie in der Schweiz nicht gut getan.
«Der Bankensektor muss vermehrt industriell denken»
Ob sich die Schweiz des weiteren mit zwei «too-big-to-fail» Bankkolossen exponieren will, nachdem offensichtlich geworden ist, dass diese im Zweifelsfall auch «too-big-to-rescue» und offensichtlich auch «too-big-to-manage» sind, ist eine Frage, die noch lange diskutiert, aber wegen unserer politischen Entscheidungsprozesse halt eben nur diskutiert werden wird.
Im Übrigen wird der Bankensektor nicht darum herum kommen, vermehrt echt industriell zu denken, die Wertschöpfungsketten auseinanderzunehmen und die einzelnen Elemente der Kette Spezialisten zuzuordnen.
Und, führt dies zu Stellenabbau?
Kurz- und mittelfristig wohl schon, da die Neuorientierung eines ganzen Sektors immer zu Stellenabbau führt. Wenn es uns aber gelingt, diesen Umbau politisch vernünftig zu begleiten und endlich wieder zu akzeptieren, dass ein gesunder Bankensektor eine notwendige Bedingung darstellt für wirtschaftliches Wohlergehen, dann sollten sich die Auswirkungen in Grenzen halten.
Erwarten Sie radikale Veränderungen in Bezug auf die Boni- und Managerentschädigungen? Müssten von Bankenseite mit Blick auf die Abstimmung zur Abzocker-Initiative und den Gegenvorschlag nicht mehr Signale in Richtung «Normalisierung» kommen?
Es hat sich schon einiges getan – zumindest bei den mittleren und kleineren Banken, auch wenn dort ja nicht wirklich die Übertreibungen stattgefunden haben.
Selbstreinigung mit Hilfe vernünftiger Ziele und Anreizstrukturen
Grundsätzlich liegt das Übel bei den Anreizstrukturen. Es ist zu hoffen, dass auch in den Verwaltungsräten der Grossbanken die Erkenntnis reift, dass vernünftige Zielsetzungen und Anreizstrukturen – auf allen Ebenen – eine Art Selbstreinigungseffekt haben können.
Im Übrigen sollte man von Verwaltungsräten, auch wenn sie amerikanisiert sind, erwarten, dass sie ein Gefühl dafür haben, wann Gehaltszahlungen – auch bei ausserordentlichem Erfolg – sozial nicht mehr verträglich sind.
Bezüglich der Kommunikation ist die Sache etwas schwieriger, sind doch die Banken die «Buhmänner» schlechthin. Was immer man hier kommuniziert, wird wohl irgendwo in der Luft zerrissen, denn «Normalisierung» heisst ja bekanntlich überall etwas Anderes.
Allerdings spricht es sich langsam herum, welche nachteiligen Wirkungen der Text der Abzocker-Initiative mit sich bringt und dass der Gegenvorschlag hier eine vernünftige, zielgerichtete Alternative liefert.
Wird Corporate Governance in den Banken tatsächlich praktiziert? Woran lässt sich das erkennen?
Echt gelebte Corporate Governance in einem Unternehmen zu beurteilen ist ein schwieriges Unterfangen. Zahlreiche Elemente sind hier wichtig. Entscheidend ist die sachliche Kompetenz und die Unabhängigkeit des Verwaltungsrats.
Wann ist ein Verwaltungsrat unabhängig?
Aber wo hört Unabhängigkeit auf? Auch hier hat vieles mit Anreizstrukturen zu tun. Ist ein Verwaltungsrat wirklich noch unabhängig, wenn er für sieben Sitzungen 750'000 Franken kassiert? Beurteilt ein Verwaltungsratspräsident die Bilanzrisiken wirklich unabhängig, wenn er auf einem millionenschweren Bonusprogramm sitzt, das ihn in einem Jahr reich machen kann wenn «es gut geht», und bei Misserfolg die Bank verstaatlicht wird?
Fragen über Fragen für die es keine einfachen Antworten gibt ausser der Redlichkeit, Anständigkeit und Ethik des obersten Führungsorgans.
Die Entwicklung der Valartis-Aktie war für die Aktionäre in den letzen zehn Jahren eine Enttäuschung. Zurzeit verkehren die Titel um 19.50 Franken gegenüber rund 100 Franken noch vor sechs Jahren. Was sagen Sie dem frustrierten Aktionäre?
Mit der Kursentwicklung unserer Aktie befinden wir uns über die letzten zehn Jahre im Sektor der Banken leider in guter Gesellschaft. Das hilft zwar niemandem, immerhin haben wir aber auch eine massive Erholung seit den Tiefstkursen um die zehn Franken vor wenigen Jahren erlebt.
Nicht zu vergessen, dass wir die fundamentale Umorientierung der Gruppe in Richtung Private Banking in einem ausgesprochen schwierigen Umfeld vorangetrieben haben. Inzwischen zeichnen sich einige Erfolge ab. Aber der Weg zu einer erfolgreichen Private Banking Organisation ist länger und steiniger als wir es uns vorgestellt hatten.
Immerhin werden wir – auch hier sind wir allerdings kein Sonderfall – massiv unter Buchwert gehandelt. Vielleicht ist das ein Lichtblick.
«Die Frage eines Going Private ist berechtigt»
Wäre ein Going Private eine Option für Valartis?
Die Frage ist durchaus berechtigt. Sie können versichert sein, dass wir immer wieder darüber nachdenken, wie wir für unsere Mehrheits- und unsere Minderheitsaktionäre Mehrwert schaffen können. Wir glauben, dass wir auf dem richtigen Weg sind und im Augenblick möchten wir die Aktionäre, die uns in schwierigen Zeiten unterstützt haben, am hoffentlich eintretenden Erfolg unserer Strategie teilhaben lassen.
Sollen Bankaktien angesichts der anstehenden Probleme und Strukturveränderungen nicht generell gemieden werden?
Bankaktien sind im Kontext des generellen «Banken-Bashings» massiv zusammengestaucht worden. Nicht selten, ohne die zugrundeliegenden Financials auch nur anzusehen. Das hat zu massiven Unterbewertungen geführt. Diese sind zwar mit den Höherbewertungen im zurückliegenden Jahr teilweise korrigiert, aber noch nicht aus der Welt geschafft worden.
Trouvaillen trotz oder wegen Banken-Bashing
Trouvaillen finden sich dort, wo einerseits die Unterbewertungen noch nicht ausgemerzt und gleichzeitig eine glaubwürdige Strategie erkennbar ist – wie ja generell bei der Aktien- und Unternehmensanalyse.
Haben die Versicherungsaktien den Bankaktien inzwischen den Rang abgelaufen?
Darüber liesse sich lange philosophieren. Ich warne davor, immer grad den aktuellen Modeerscheinungen nachzurennen. Erinnern wir uns an die frühen Nuller-Jahre, als die Versicherungen die grossen Buhmänner der Finanzindustrie und die Banken die Helden waren.
Geldanlage ist ein strategisches Thema, dem das Nachrennen nach irgendwelchen Moden noch nie gut getan hat.
Nach dem Studium an der Universität Basel, wo er an der Phil.-Historischen Fakultät habilitierte und 1986 die Venia Docendi für Nationalökonomie und angewandte Statistik verliehen erhielt, war Erwin Heri bis 1994 für den Schweiz. Bankverein tätig, zuletzt als Direktor und Leiter des Ressorts International Private Banking und Asset Management.
1994 bis 2002 war Erwin Heri in leitenden Positionen für die Winterthur Versicherungen - erst als CIO, danach als CFO und stv. CEO - und danach für die Credit Suisse als CFO und CIO für CS Financial Services tätig.
Er ist Dozent für Finanztheorie an der Universität Basel und am Swiss Finance Institute in Zürich sowie Autor von acht Büchern. Zuletzt erschien 2011 das Werk «Das verlorene Jahrzehnt – Und was Anleger daraus lernen sollten».
Aktuell ist Erwin Heris Aufsatz «Zur Strukturveränderung im Bankenbereich, oder: Wie konnte es nur so weit kommen? – Sicht eines Zeitzeugen».
Während der Mittelschulzeit und Studium war Erwin Heri langjähriges Mitglied der Schweizer Tischtennis-Nationalmannschaft, mehrfacher Schweizermeister und Teilnehmer an zahlreichen Welt- und Europameisterschaften.