Als wäre das Umfeld für die Schweizer Banken nicht schon herausfordernd genug, werden sie jetzt auch noch von den schweren Folgen des Coronavirus getroffen. Es ist der perfekte Sturm.
Es genügt ein einziger Blick auf die Aktienkurse, um festzustellen: Das Swiss Banking befindet sich derzeit in einem perfekten Sturm. Die scheinbar ungebremste Ausbreitung des Coronavirus hat bis dato noch nicht abschätzbare wirtschaftliche Folgen.
Der Absturz des Ölpreises sowie die hohe Wahrscheinlichkeit weiterer Leitzinssenkungen implizieren aber: Die Weltwirtschaft wird eher eine Talsohle durchschreiten, bevor eine Erholung einsetzt. Die Hoffnungen auf eine rasche Kehrtwende dürften sich damit zerschlagen.
Neun Brennpunkte
Für die Schweizer Banken sind die Folgen massiv. Die Branche ist bereits mit grossen Herausforderungen konfrontiert, das Coronavirus verschärft die ungemütliche Situation weiter.
Das sind die Brennpunkte:
1. Das Zinsgeschäft wird zum Rinnsal
Die amerikanische Zentralbank (Fed) hat mit einer Zinssenkung vorgelegt, und ihre europäischen Pendants könnten noch diese Woche nachziehen: Mit der Wirtschaftskrise kommen die Zinsen wohl auf breiter Front ins Rutschen. Auch die Schweizerische Nationalbank (SNB) steht unter Druck, einen weiteren Zinsschritt zu beschliessen. Dies insbesondere im Hinblick auf den stetig stärker werdenden Franken.
Die Banken müssen mit verschärften Negativzinsen rechnen, die sie in Zeiten der wirtschaftlichen Unsicherheit nur begrenzt an die Kunden überwälzen können. Auch im für das Retailbanking zentralen Geschäft mit der Zinsdifferenz zeichnet sich keine Entspannung ab.
2. Die Kunden suchen das Weite
Wenn sich die Märkte im freien Fall befinden, ist das ein Symptom der Verunsicherung bei den Anlegern, die gleichzeitig auch Bankkunden sind. Das Problem: Haben sich diese Kunden einmal aus dem Markt verabschiedet, kommen sie nur sehr zögerlich zurück. Die Folge: Die Kommissionserträge der Banken brechen ein. Eine weitere Bedrohung im Wealth Management sind die Auswirkungen aufs Lending, das die vergangenen Jahre eine starke Erlösquelle für Privatbanken war.
Crashende Börsen können bei jedem Lending-Kunden einen so genannten «Margin Call» auslösen. Die Kunden müssen Kapital nachschiessen oder Werte verkaufen. Die Frage ist, ob die Banken ihr Lending mit der gebotenen Vorsicht betrieben haben oder nun vor grösseren Ausfällen stehen.
3. Schwache Aktienkurse, geschwächte Banken
Was derzeit mit den Aktienkursen nicht nur der beiden Schweizer Grossbanken UBS und Credit Suisse geschieht, impliziert eine operative und strategische Schwäche sowie einen Vertrauensverlust. Wie sich dieser auswirkt, ist offen. Klar ist aber, dass die im internationalen Umfeld tätigen Schweizer Banken damit noch stärker in die Defensive gedrängt werden als sie es im Vergleich zur übermächtigen US-Konkurrenz ohnehin schon sind.
Wer weiss: Möglicherweise ist das Coronavirus der springende Funke für eine anstehende, europaweite Konsolidierung.
4. Wie lässt sich das Geschäft noch aufrecht erhalten?
Alle Banken, Asset Manager und andere Finanzdienstleister kämpfen damit: das Aufrechterhalten der sogenannten «Business Continuity», des normalen Geschäftsganges. Um diese sicherzustellen, sind Unternehmen dazu übergegangen, Teams aufzuteilen, die für das Funktionieren des Geschäftes unverzichtbar sind. Was das für eine hochkomplexe Organisation wie eine Grossbank bedeutet, lässt sich kaum ausmalen. Systeme, Administration, interne Kommunikation, Führungsfunktionen sind einem eigentlichen Härtetest der Improvisation ausgesetzt.
Chaos im Alltagsgeschäft ist das letzte, was die Banken nun gebrauchen können.
5. Kundenkontakt in Zeiten der Quarantäne
Näher an den Kunden ran: Das ist das erklärte Ziel nicht nur der Schweizer Inlandbanken, sondern globaler Vermögensverwalter wie der UBS. Die Grossbank formulierte jüngst gar eine Strategie, die den Beratern mehr Zeit mehr mit ihrer Klientel einräumen soll. Das Coronavirus steht dem im Weg, da die Gesundheitsbehörden auf mehr Abstand zwischen den Menschen drängen.
Damit schlägt die Stunde der digitalen Kanäle – doch es muss sich weisen, ob die Technologie im Härtetest des täglichen Betriebs und im Auge einer kritischen und anspruchsvollen Kundschaft zu bestehen vermag.
6. Fehlende Ressourcen für die digitale Transformation
In Zeiten eines grassierenden Virus', das über Tröpfcheninfektion oder Körperkontakt übertragen wird, wären technologische Einrichtungen von Video-Telefonie über die Blockchain bis hin zu digitalen Kundenberatern überaus nützlich, um die Kundschaft risikofrei beraten zu können.
Doch dies bedingt erhebliche Investitionen und Kapital, das bei den Banken eher knapp ist. Die nun wegbrechenden Erlöse werden das Problem akzentuieren. Den Banken fehlen die Budgets, um die digitale Transformation voranzutreiben.
7. Runter wie Öl
Russland, Mexiko und der Nahe Osten sind für viele Schweizer Vermögensverwalter wichtige Märkte. Ein substanzieller Anteil des Wohlstands in diesen Gegenden ist allerdings eng mit dem Ölpreis verknüpft, der seit fast 30 Jahren nicht mehr in so kurzer Zeit so stark gefallen ist.
Neben den Finanzen reicher Bankkunden leiden daran die Volkswirtschaften der Förderländer. So verloren der Rubel, der mexikanische Peso und der brasilianische Real im Lauf der vergangenen zwölf Monate alle über 20 Prozent im Vergleich zum Franken, womit auch die Gebühreneinnahmen auf Depots in diesen Währungen eingebrochen sein dürften.
8. Erschütterungen bis in die Schweizer Stuben
Auch der Immobilienmarkt wäre von einer durch die Epidemie ausgelösten Rezession betroffen. Die Ökonomen der UBS warnten am (gestrigen) Montag in einer neuen Studie, dass die SNB im heutigen Negativzins-Umfeld kaum über Spielraum verfügt, um Verwerfungen am hiesigen Häusermarkt zu kontern. Während (noch) tiefere Zinsen die Preise von Wohneigentum tendenziell stützen, drohen wegen der Wirtschaftslage bei den Gewerbeflächen mehr Leerstände. Dann zeigt sich, wie sorgfältig die Banken bei der Hypothekenvergabe kalkuliert haben.
9. Privatbanken: Es kommt hart auf hart
Der historisch überdurchschnittlich lange Bullenmarkt seit der Finanzkrise bot vielen Privatbanken den Rückenwind, um sich auf schlechte Zeiten einzustellen, die unweigerlich wieder kommen würden. Nicht alle haben die Zeit genutzt, um sich zu wappnen.
Institute, die jetzt ihre Schäfchen nicht im Trockenen haben – sei es indem sie sich gesund gespart haben, oder indem sie eine Nische erfolgreich für sich besetzt haben – werden eine neue Krise möglicherweise nicht überleben. In einem von Banken überbevölkerten Land wie der Schweiz könnten die Institute mit den nötigen Reserven allerdings gestärkt – und grösser – aus einer Flurbereinigung hervorgehen.