finews.ch traf Gérard Bouleau, den Vizepräsidenten von Groupe Bollinger, anlässlich des 200-jährigen Jubiläums des Cognac-Hauses Delamain. Im Interview spricht er über den Markt für Luxusweine und -spirituosen, den einzigartigen Reiz von Delamain und seine persönliche Entdeckungsreise in die Welt des Cognacs.

Sie sind viel gereist und kennen die Luxusindustrie aus erster Hand. Was hebt Delamain in der umfangreichen Welt des Cognacs hervor?

Der Zauber liegt in der kompromisslosen Hingabe an die Handwerkskunst. Wir konzentrieren uns ausschliesslich auf Qualität und vermeiden alles, was diese beeinträchtigen könnte – selbst wenn dies auf Kosten der Produktivität geht. Ein Beispiel dafür ist, dass wir nur Destillate aus der Grand Champagne, dem Premier Cru des Cognacs, verarbeiten und unsere Cognacs länger reifen als üblich – unser Ausgangspunkt ist XO, ohne Abkürzungen.

Wir haben viele Lagerungskeller (chais), auch sehr kleine. Das Bewegen eines Fasses von einem chai in einen anderen oder innerhalb des chais, um die perfekte Reifung zu gewährleisten, ist ein beinahe magisches Handwerk und erinnert an ein grosses Schachspiel – oder vielleicht besser an Tetris.

Schliesslich kompensieren wir die Verdunstung – den sogenannten «Angel's Share» – nicht mit reinem Wasser. Auch das erfordert eine gewisse Feinfühligkeit und ist zeitaufwendig. Unsere Liebe zum Detail wird auch in der Art und Weise deutlich, wie wir unsere Produkte abfüllen und präsentieren. Jedes kleine Element zählt.

Groupe Bollinger ist bekannt für seine Beteiligungen an kleinen, hochwertigen Marken. Warum hat das Unternehmen 2018 die Mehrheit an Delamain, einen  kleinen Cognac-Hersteller mit nur 18 Mitarbeitern, übernommen?

Ich war damals noch nicht bei der Gruppe, aber es ging nie nur um das Geschäft. Die Bollinger-Familie bewunderte Delamain schon lange vor der Übernahme. Wenn man das Bollinger-Haus in Aÿ-Champagne besucht, sieht man dort eine grosse Magnumflasche Delamain. Oder besser gesagt: Tatsächlich gab es im Laufe der Jahrzehnte viele Delamain-Magnums, weil sie ja auch regelmässig getrunken wurden.

 «Wir streben nicht nach riesigen Produktionsmengen, sondern konzentrieren uns auf menschliche Dimensionen.»

Für uns passte Delamain perfekt ins Bild. Ähnlich wie Chanson und Bollinger teilt Delamain unsere Begeisterung für Qualität und Handwerk. Wir streben nicht nach riesigen Produktionsmengen, sondern konzentrieren uns auf menschliche Dimensionen, die echte Liebe zum Detail ermöglichen.

Groupe Bollinger umfasst 440 Hektar und 440 Mitarbeiter. Ist es Teil Ihrer Strategie, bewusst klein zu bleiben?

Unbedingt. Wir glauben, dass die Zukunft von Wein und Spirituosen darin liegt, weniger zu trinken, dafür aber besser. Das ist gut für den Planeten und für die Konsumenten. Unser Ziel ist es, beim Wert, nicht bei der Menge zu wachsen. Manchmal sind wir sogar durch unsere Rohstoffquellen eingeschränkt, wie zum Beispiel in Sancerre. Aber das nehmen wir in Kauf. Wir wollen aussergewöhnliche Produkte und Erlebnisse bieten, nicht einfach nur mehr davon.

Wie hat sich Ihre persönliche Sicht auf Cognac im Laufe der Jahre verändert?

Cognac war für mich eine Entdeckung der letzten Jahre! Wie viele Franzosen dachte ich, dass Cognac etwas altmodisch sei – im Gegensatz zu Märkten wie den USA oder China. Der Wendepunkt kam bei einer Blindverkostung. Ich war verblüfft. Cognac kann es nicht nur mit den besten Whiskys und Rums aufnehmen, sondern sie oft übertreffen. Seine floralen und tiefen Aromen, die aus Trauben und nicht aus Getreide stammen, bieten eine ganz eigene Sinneserfahrung.

Heute geniesse ich regelmässig Cognac, und ich denke, wir sollten aufhören, Spirituosen in starre Kategorien zu unterteilen. Gute Spirituosen – ob Whisky, Rum oder Cognac – haben viel mehr gemeinsam, als man denkt.

Sehen Sie eine Zukunft für kleine, qualitativ hochwertige Produzenten?

Ich hoffe es. Wir sind optimistisch und aktiv dabei, unser Portfolio zu erweitern. Allein im letzten Jahr haben wir drei neue Weingüter erworben. Wir sind sehr darauf bedacht, unsere menschliche Unternehmensgrösse beizubehalten, sehen aber definitiv Wachstumschancen. Wir erwarten, dass Delamain weltweit stärker vertreten sein wird, insbesondere in China und den USA.

 «Ob bei einem Barkeeper in Paris oder einem Sterne-Restaurant in Stockholm: Wir möchten dabei helfen, die bestmögliche Spirituosenauswahl zu treffen.»

Sie haben in grossen Lebensmittel- und Getränkeunternehmen Karriere gemacht. Wo sehen Sie Ihren Beitrag ans Gedeihen des Groupe Bollinger?

Mein Hauptziel ist es, sicherzustellen, dass die einzelnen Marken unter unserem Dach – wie Bollinger, Chanson und Delamain – ihren einzigartigen Charakter und ihre Handwerkskunst bewahren. Gleichzeitig sehe ich Potenzial, dass sie intelligenter zusammenarbeiten. So haben wir zum Beispiel gemeinsame Projekte zwischen unseren Kellermeistern gestartet, um die besten nachhaltigen Praktiken zu entwickeln.

Es geht darum, eine Gemeinschaft des geteilten Wissens zu schaffen, ohne zentralistisch zu agieren. Jede Marke soll ihre Autonomie bewahren, aber in Bereichen wie Nachhaltigkeit oder Produktverkostung gibt es grossen Mehrwert in der Zusammenarbeit.

Wir richten unseren Fokus auch stärker darauf, wie wir uns gegenüber Verbrauchern und Geschäftspartnern präsentieren. Cognac wird in Frankreich zum Beispiel nicht immer als trendy wahrgenommen. Aber wir sollten nicht nur Flaschen verkaufen, sondern auch informieren und beraten. Ob es sich um einen Barkeeper in Paris oder ein Sterne-Restaurant in Stockholm handelt – wir möchten ihnen helfen, die bestmögliche Spirituosenauswahl zu treffen.


Gérard Bouleau ist Vizepräsident des Groupe Bollinger, einem renommierten französischen Wein- und Spirituosenkonzern. Vor seinem Eintritt bei Bollinger hatte er Führungspositionen bei bekannten Marken wie Barilla, Kronenbourg und Valrhona inne und bringt Jahrzehnte an Erfahrung in der Lebensmittel- und Getränkeindustrie mit.