Daniela Fischer, Leiterin Human Responsibility bei Axa Schweiz, begrüsst den Wandel von Agilität vom Buzzword zum Management-Prinzip. Die Fähigkeit, flexibel und schnell auf ein unvorhersehbares Umfeld zu reagieren, sei unverzichtbar – nicht nur im Tech-Kontext, sagt die HR-Chefin mit Blick auf den Business Agility Day von kommender Woche im Interview mit finews.ch.
Frau Fischer, lange war Agilität, «Agility», eine Art Generalthema im Management, insbesondere im Zusammenhang mit Technologie. Jetzt ist es etwas ruhiger geworden. Haben sich die Prioritäten verschoben?
Das Wort wird tatsächlich seltener genutzt. Ich denke aber weniger, dass es eine verschobene Priorität ist, sondern dass die Diskussion deutlich an Qualität und an Reife zugelegt hat. Wir finden das gut.
Warum?
Es bedeutet auch, dass nicht mehr jedes Unternehmen, das anfängt, einzelne agile Methoden anzuwenden, sich dann schon als agil erklärt. Es gibt jetzt mehr Verständnis dafür, was Agilität ist. Es wird weniger als Buzzword benutzt, sondern man spricht konkreter darüber, was genau passiert.
Was ist denn Ihres Erachtens der Kern der Agilität?
Für uns ist es vor allem die Anpassungsfähigkeit an und die Reaktionsfähigkeit auf die sich schnell verändernden Rahmenbedingungen. Das aktuelle wirtschaftliche Umfeld zeigt ja, dass die Zukunft schwer vorhersehbar ist und dass man sich immer wieder sehr schnell auf neue Umstände einstellen muss. Genau diese Anpassungsfähigkeit meinen wir mit dem Begriff Agilität.
«Weg von grossen, langen Projekten hin zu kürzeren Abschnitten, wo auch schneller Zwischenergebnisse sichtbar werden.»
Das bedeutet also: Bei der Axa bleibt es eine Priorität?
Ja. Auch benutzen wir den Begriff Agilität noch, allerdings weniger, um zu betonen, wie agil wir sind, sondern um unsere Organisation und auch unsere Zusammenarbeit stetig weiterzuentwickeln. Dafür benutzen wir dann auch sehr spezifische Begriffe, die für diese Phase der Weiterentwicklung wichtig sind.
Zum Beispiel?
Den Anfang vor etwa acht Jahren bezeichneten wir als agile Transformation. Das sagen wir heute nicht mehr, da wir ja permanent in der agilen Transformation sind. Wir sprechen jetzt von «Agile Empowerment»: Wir möchten eine kraftvolle Organisation sein und da ist das Thema Empowerment viel wichtiger. Das bedeutet aber nicht, dass Agilität als Konzept nicht mehr existiert. Im Gegenteil, wir haben das sehr stark verankert. Viele Prozesse und Strukturen sind so aufgestellt, wie man es teilweise in agilen Büchern nachlesen kann – ohne natürlich 1:1 ein Lehrbuch umzusetzen.
Die Axa ist in der Schweiz doch eine relativ umfangreiche Organisation. Trügt der Eindruck, dass es für grosse Gebilde schwieriger ist, agil zu sein, als für kleine?
Kleinere Organisationen haben grundsätzlich den Vorteil, dass es einfacher ist, agile Strukturen und Arbeitsweisen zu etablieren. In grossen Organisationen braucht eine Umstellung auf agile Strukturen oder agile Arbeitsweisen viel mehr Zeit und auch entsprechend Geduld. Wenn es grossen Organisationen allerdings gelingt, dass alle diese Änderung mittragen, dann verfügen sie auch über sehr viel Kraft, solche Formen der Arbeit nachhaltig voranzubringen und zu leben.
Wie stellen Sie bei der Axa sicher, dass hier alle am gleichen Strick ziehen?
Durch Empowerment in dem Sinne, dass wir Strukturen schaffen und leben, die dezentrale Verantwortungsübernahme ermöglichen. Das erfordert Mitarbeitende, die das auch möchten. Dieses Empowerment muss man vorleben, damit man es von den Mitarbeitenden einfordern kann. Wenn wir es schaffen, dass unsere Mitarbeitenden sich bestmöglich gemäss ihren Fähigkeiten und ihrem Know-How für den Erfolg des Unternehmens einsetzen, dann ermöglicht das den nachhaltigen Erfolg der Axa. Entsprechend versuchen wir, langwierige hierarchische Entscheidungsprozesse zu vermeiden.
Ein gängiges Klischee besagt, dass Versicherungen mit der langfristigen Orientierung ihrer Bilanz träger unterwegs sind als Banken. Sie haben in beiden Branchen gearbeitet.
Das mag so erscheinen; ich nehme es allerdings anders wahr. Langfristiges oder nachhaltiges Denken muss nicht im Widerspruch stehen zu Anpassungsfähigkeit und zu dynamischem Handeln. In meiner Erfahrung ist es so, dass die Banken in Europa und in den USA seit der grossen Finanzkrise viel stärker unter dem Druck der Regulatoren und der Konsumenten und Konsumentinnen standen, sich und ihre Produkte zu verändern. Dadurch konnte man sehr viel Veränderung beobachten.
«Wir sind schneller in der Entwicklung von neuen Produkten, weil die Zahnrädchen besser und schneller ineinandergreifen und weil wir langwierige Entscheidungsketten vermeiden.»
Aber für mich ist Veränderungsbereitschaft weniger eine Frage der Industrie, sondern eine Frage der Mentalität in einem Unternehmen. Also ich denke, es hat sehr viel mit der Unternehmenskultur selbst zu tun und da nehme ich die Axa durchaus als sehr veränderungsbereit wahr.
Bei der Axa tragen sie den Titel Leiterin Human Responsibility. Was ist darunter zu verstehen?
In anderen Unternehmen würde das jetzt vielleicht klassischerweise Human Resources heissen. Zum grössten Teil verantworte ich ganz klassisch die normalen Personalthemen. Ein zusätzlicher und wichtiger Fokus meines Bereichs besteht darin, sicherzustellen, dass wir als Mitarbeitende und auch als Unternehmen wirklich Verantwortung übernehmen, sowohl für unsere Kundinnen und Kunden als auch für die Gesellschaft und dass wir uns unserer Rolle in der Gesellschaft bewusst sind und auch dort aktiv Akzente setzen. Das widerspiegelt sich in meinem Jobtitel als Leiterin Human Responsibility.
Um wieder die Brücke zur Agilität zu schlagen: Manche Menschen sind agiler, andere weniger. Welche Rolle spielt der Faktor Mensch bei der Sicherstellung von Agilität?
Der Faktor Mensch ist entscheidend, denn echte gelebte Agilität erfordert Offenheit für Veränderungen und auch die Bereitschaft, einen aktiven Beitrag an das Unternehmen zu leisten. Deswegen müssen wir ein Umfeld schaffen, in welchem sich unsere Mitarbeitenden aktiv einbringen wollen und können und in dem wirklich gelernt werden darf.
Sie sind seit fünf Jahren bei der Axa. Wo sehen Sie spezifische Erfolge, die Sie auf Ihre Sichtweise der Agilität zurückführen können?
Zum einen zeichnen wir uns schon dadurch aus, dass wir Agilität nicht nur als «IT-Ding» sehen, sondern entlang der Wertschöpfungskette agile Arbeitsformen und Strukturen etabliert haben. Wir haben zum Beispiel fachbereichsübergreifende Produktteams, die nicht im klassischen Produkte-Entwicklungsbereich angesiedelt sind. Auch unser HR ist agil aufgestellt. Wir leben unter anderem sehr konsequent die geteilte Führung.
Was bedeutet geteilte Führung?
Dass es bei uns eben nicht mehr klassische Teamleiter oder Gruppenleiterinnen gibt, sondern agile Teams mit Product Owner, People Developer und Agile Master. Product Owner sind Personen, die die Teams inhaltlich führen. People Developer sind Personen, die die Mitarbeitenden individuell in deren Entwicklung betreuen, und Agile Master sind Personen, die das Team als solches entwickeln und dadurch die Teamleistung ankurbeln.
«Echte gelebte Agilität erfordert Offenheit für Veränderungen und die Bereitschaft, einen aktiven Beitrag an das Unternehmen zu leisten.»
Gibt es noch weitere Merkmale Ihrer agilen Unternehmensführung?
Ja, wir arbeiten in iterativen Zeitabschnitten. Also weg von grossen, langen Projekten hin zu kürzeren Abschnitten, wo auch schneller Zwischenergebnisse sichtbar werden und man schneller sieht, ob etwas funktioniert oder nicht. Damit verbunden ist auch die Transparenz. Mitarbeitende haben, zum Beispiel im Rahmen von Review-Sitzungen, Zugang zum Stand der Planungen und der Arbeitsergebnisse. Dies nicht nur für ihr eigenes Team, sondern auch teamübergreifend.
Woran wird dies für Kunden und Geschäftspartner sichtbar?
Wir haben es geschafft, interdisziplinäre Produktteams zu bilden zwischen den verschiedenen Fachbereichen. Also zum Beispiel zwischen den Underwriterinnen und Underwritern und der IT, die das Ganze technisch umsetzt. Auch der Vertrieb und das Team Customer Operations sind bereits von Anfang an mit eingebunden. Damit sind wir tatsächlich schneller in der Entwicklung von neuen Produkten, weil die Zahnrädchen besser und schneller ineinandergreifen und weil wir langwierige Entscheidungsketten vermeiden. Das sieht man all unseren Produkten an, sei dies im Bereich der Sach- und Schadensversicherungen oder im Bereich der Lebensversicherungen. Die Tatsache, dass wir unsere Marktführerschaft bei vielen Produkten behaupten können, liegt sicher auch daran, dass wir es schaffen, gute Produkte für unsere Kundinnen und Kunden in dieser Vorgehensweise zu produzieren.
Es gibt im Moment ein Wettrennen in der künstlichen Intelligenz, Artificial Intelligence. Jede Versicherung versucht, sich diese Techniken möglichst schnell zunutze zu machen.
Ja, die Entwicklungen im Bereich der generativen künstlichen Intelligenz sind sehr dynamisch. Wir haben uns im letzten Jahr vor allem damit auseinandergesetzt, welchen Nutzen die generative KI für unsere Kernprozesse bringen könnte, und daraus haben wir dann einige Anwendungsfelder identifiziert, an denen wir jetzt arbeiten. Dabei gehen wir mit einem risikobasierten Ansatz vor. Das heisst, bei der Schweiz entwickeln wir zurzeit keine sogenannten Customer-Facing Anwendungen mit generativer künstlicher Intelligenz. Unser Fokus liegt im Moment sehr stark auf Assistenzsystemen für unsere Mitarbeitenden und zwar vor allem mit dem Ziel, die Effizienz und die Qualität des Kundenservices zu erhöhen. Aber wir sind jetzt noch nicht so weit, dass wir an der Schnittstelle zu unseren Kundinnen und Kunden generative künstliche Intelligenz einsetzen.
Wird sich das in den nächsten fünf bis zehn Jahren ändern?
Für uns hängt der Einsatz von generativer künstlicher Intelligenz sehr stark von den sich verändernden Kundenbedürfnissen ab, die wir kontinuierlich analysieren. Im Moment sind wir da noch vorsichtig und beobachten die Lage. Eine Prognose, wann der Moment kommt, kann ich daher nicht abgeben.
Daniela Fischer ist seit vier Jahren Leiterin Human Responsibility bei Axa Schweiz. Ihre berufliche Karriere startete die studierte Kultur- und Wirtschaftswissenschaftlerin bei der Boston Consulting Group als Unternehmensberaterin. Anschliessend war sie fünf Jahre lang im HR der HypoVereinsbank in München tätig.
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