Was kommt auf die Wirtschaft zu, wenn der nächste US-Präsident Donald Trump heissen sollte? Trump werde rasch mit den Realitäten konfrontiert, sagt Christopher Hodge voraus, leitender US-Ökonom von Natixis CIB. Zudem fürchte Trump negative Reaktionen der Finanzmärkte. Deshalb werde er viele Ankündigungen nicht umsetzen können. In Bezug auf die US-Verschuldung verhielten sich beide Parteien «höchst unverantwortlich».

Eine bessere Zeit für eine Roadshow mit einen leitenden US-Ökonomen in Europa kann es wohl nicht geben. Wenige Tage vor den sehr engen Präsidenten- und Kongresswahlen in den USA liegen nämlich auch hierzulande viele Nerven blank – bei den Unternehmen (wie am Donnerstag auch eine Umfrage von Deloitte unter Schweizer Finanzchefs ergab), bei Ökonomen und bei Investoren.

Wenn der nächste Präsident Donald Trump heissen sollte, wird er seine Ankündigungen von prohibitiv hohen Zöllen wahrmachen und damit dem freien Welthandel und der Globalisierung einen harten Schlag versetzen? Wird er wie angedroht die Unabhängigkeit der US-Notenbank beschneiden? Wird er ohne Rücksicht auf seine Verbündeten einen Frieden mit Russland suchen und damit die Glaubwürdigkeit der USA als Schutzmacht für eine regelbasierte internationale Ordnung aufs Spiel setzen?

Wie lange noch gelten US-Staatspapiere als sicher?

Wie Trumps Fiskalprogramm wird auch dasjenige seiner Konkurrentin Kamala Harris zu wachsenden Defiziten führen und den ohnehin schon gewaltigen Schuldenberg weiter anwachsen lassen. Werden die Märkte deshalb bald den Status von US-Staatspapieren als den sicheren Referenzwert am internationalen Kapitalmarkt in Frage stellen, was Verwerfungen im Finanzsystem zur Folge haben könnte?

Christopher Hodge, seit Mai 2023 leitender US-Ökonom des Investmentbanking-Arm (Corporate & Investment Banking, CIB) von Natixis, ist zwar mit Blick auf die Wahlen nicht hundertprozentig tiefenentspannt. Gleichwohl geht er nicht davon aus, dass solche Horrorszenarien eintreffen werden, wie er im Gespräch mit finews.ch vergangene Woche ausführte. Sein Wort hat Gewicht, war er doch zuvor drei Jahre für die Federal Reserve Bank of New York und sieben Jahre für das US-Schatzamt (Treasury) tätig, kennt also die amerikanische Geld- und Fiskalpolitik von innen.

Viele Befugnisse, aber nicht so viele Mittel

«Trump bellt mehr, als er wirklich beisst», ist Hodge überzeugt. Schon in seiner ersten Amtszeit habe er in vielen Bereichen nicht die Politik gemacht, die er vorher angekündigt gehabt habe. Dazu komme, dass ein Präsident zwar durchaus die Kompetenz habe, beispielsweise Millionen von Menschen auszuschaffen. «Aber in der Praxis verfügt er allein gar nicht über die nötigen Mittel, um solche Beschlüsse auch umzusetzen.»

Auch bei den Zöllen werde Trump rasch mit der Realität konfrontiert. «Zölle auf Produkte wie Kaffee oder Bananen sind widersinnig, weil die USA diese Güter gar nicht selber herstellen. Höhere Zölle erhöhen zwangsläufig das Preisniveau – und Trump weiss genau, wie unpopulär dies ist.»

Die disziplinierende Macht des Faktischen

Zudem geht Hodge davon aus, dass nach den Wahlen keine Partei sowohl den Präsidenten als auch die Mehrheit im Senat und Repräsentantenhaus stellt, die Macht also geteilt bleibt. «Das wäre auch ingesamt der beste Ausgang für den Aktienmarkt, weil es so zu weniger Veränderungen kommt.» Immerhin würde aber eine rote Welle (also ein Sieg der Republikaner auf ganzer Linie) der Börse kurzfristig einen Schub verleihen – und eine (von Hodge als unwahrscheinlich eingestufte) blaue Welle (Sieg der Demokraten) den Markt belasten.

Hodge setzt auf die disziplinierende Macht des Faktischen, der jeder Präsident nach der Wahl unterworfen ist, und auf Lernprozesse. «Kamala Harris hat keinerlei Erfahrung mit der Privatwirtschaft und hat gezeigt, dass sie bereit ist, ihre politischen Positionen zu ändern. Sie ist heute deutlich wirtschaftsfreundlicher als früher. Und als Vizepräsidentin hat sie auch die Erfahrung gemacht, dass nicht alle Staatsausgaben populär sind, insbesondere dann nicht, wenn sie die Inflation anheizen.»

US-Verschuldung: Ab 2032 wird es kritisch werden

Die US-Verschuldung ist für Hodge, unabhängig vom Wahlausgang, ein grosses Problem. «Beide Parteien verhalten sich fiskalpolitisch höchst unverantwortlich.» Das hat auch Auswirkungen auf den Markt: «Die Nachfrage nach US-Staatspapieren ist gross, aber nicht unendlich. Wenn die Notenbank ihre Treasury-Bestände weiter abbaut, wird der marginale Käufer in der Lage sein, eine Zusatzrendite zu verlangen, was den Schuldendienst noch teurer macht.»

Richtig kritisch für die Staatsfinanzen dürfte es ab 2032 werden, wenn der Sozialversicherungsfonds (Social Security Trust Fund) geleert sein wird. «Dann müssten die Sozialleistungen massiv gekürzt werden, was ein Desaster für die Politik wäre», hält Hodge fest. «Der Tag, an dem die USA ihr Haus in Ordnung bringen müssen, wird kommen, auch wenn sich nicht genau voraussagen lässt, wann es soweit sein wird.»

Der schnelle Griff zu Sanktionen höhlt den Status des Dollars aus

Ein Katalysator dieser Entwicklung könnte gemäss Hodge sein, dass in den letzten Jahren der Dollar von den USA gehäuft im Rahmen von Sanktionen als «Waffe» eingesetzt worden ist. Beispiele sind die von beiden Parteien getragenen Handelssanktionen gegen China oder das Einfrieren von Guthaben, welche die russische Zentralbank beim New Yorker Fed gehalten hat. Denn solche Massnahmen könnten allmählich den Status des Dollars als internationale Reservewährung aushöhlen, was die Nachfrage nach Treasuries reduzieren würde.

Die künftige Aussenpolitik Trumps bewertet Hodge skeptisch. «Trump ist ein Nato-Skeptiker und wir wissen nicht, wie seine Beziehung zu Wladimir Putin zu charakterisieren ist. Allerdings halten beide Parteien und auch die Bevölkerung zur Ukraine, die hartgesottenen Isolationisten sind in den USA eine kleine Minderheit.» Ausserdem liege Trump mit seiner Forderung, dass die anderen Nato-Mitglieder einen grösseren Beitrag leisten sollten, durchaus auf der Linie seiner Vorgänger, auch wenn er sie undiplomatisch vortrage.

Geopolitik: Harris setzt auf Allianzen und internationale Institutionen

«Trumps Verhalten wäre sowohl für die Verbündeten wie die Gegner schwieriger zu prognostizieren. Harris würde mehr auf Allianzen und internationale Institutionen setzen.» Und Hodges fügt an: «Auf der Prioritätenliste für den Wahlentscheid der Amerikaner rangiert die Aussenpolitik normalerweise ziemlich weit unten.»

Trump ist auch nicht der erste US-Präsident, der versuchen würde, Einfluss auf die Geldpolitik zu nehmen. «Ob er Jerome Powell entlassen darf, ist fraglich. Wahrscheinlich wird er Powell 2026 nicht nochmals als Chairman nominieren, aber bis dahin sollte er die Fed-Politik nicht zu sehr stören.»

Warum Trump die Geldpolitik nicht allzu stark stören dürfte

Doch auch hier dürfte Trump auf Gegenkräfte stossen. «Es gibt institutionelle Regeln und Prinzipien, und wenn Trump übertreibt, würden die Märkte reagieren. Und wir wissen, wie wichtig für ihn eine gute US-Börse ist.»

Hodge geht denn auch davon aus, dass die Notenbank bei einer roten Welle die Zinsen möglicherweise etwas weniger tief senken könnte als in anderen Szenarien (auch wenn sich der Präsident tiefe Zinsen wünscht), um so die inflationstreibende Wirtschaftspolitik der Republikaner zu kompensieren.