Glauben Sie, dass Ihre Forschung einen Nutzen hat?
Schlechte Wirtschaftspolitik und schlechte Gesetze können dazu führen, dass ein Wirtschaftssystem komplett disfunktional wird. Das zeigt sich gut am Beispiel der Planwirtschaft, die im schlimmsten Fall zu weiteren Problemen und Ausfällen führt, etwa im Umweltschutz, in den Zivilfreiheiten oder in der kulturellen Vielfalt. In einem modernen, freiheitlichen Wirtschaftssystem sind Markt- und Staatsversagen nichts Ungewöhnliches.
«Natürlich kann man immer dem Investor die Schuld in die Schuhe schieben»
Doch umso mehr braucht es Regeln und Gesetze, die für beide, also für die Wirtschaft wie für den Staat verbindlich sind. Denn die Rolle der Wirtschaft besteht letztlich darin, aus unserer Welt eine bessere zu machen.
Welchen Einfluss haben das Internet und der Online-Handel auf die Preisfindung?
Dieses Thema beschäftigt die Wissenschaftler der Toulouse School of Economics schon lange. Das Thema ist auch deswegen interessant, weil heute die fünf grössten Unternehmen der Welt, Amazon, Alphabet, Apple, Facebook und Microsoft, gemessen an ihre Marktkapitalisierung sowohl im Internet als auch im Online-Handel tätig sind. Der Einfluss ist also enorm. Vor diesem Hintergrund besteht eine wichtige Aufgabe der Ökonomen, die daraus resultierenden gesellschaftlichen Herausforderungen mit möglichst guten Wettbewerbsregeln zu adressieren.
Ihre Forschung ist schwergewichtig mathematisch orientiert. Ist das nicht gefährlich, wenn man sich vor Augen hält, dass die Finanzkrise vor zehn Jahren auch aufgrund einer allzu mathematischen Ausrichtung bei Finanzprodukten ausgebrochen ist?
Diese Frage möchte ich in zwei Teilen beantworten: Erstens, die Tatsache, dass Finanzprodukte entstanden, die auf mathematischen Grundlagen beruhen, ist nicht per se schlecht. Problematisch war vielmehr, dass sie falsch eingesetzt wurden, weil es zum damaligen Zeitpunkt noch keine entsprechenden Regeln und Gesetze gab. Das war ein Staatsversagen. Jede falsch angewendete Innovation droht, zerstörerische Effekte zu zeitigen. Natürlich kann man immer dem Investor die Schuld in die Schuhe schieben. Aber vielleicht sollte man auch fragen, warum es möglich war, dass solche Innovation missbraucht oder zumindest falsch angewendet wurden.
Zweitens sollte man wissen, weshalb Ökonomen die Mathematik verwenden. Die Modell-Bildung zwingt Wissenschaftler, ihre Annahmen analytisch zu umschreiben und zu analysieren, ob die Logik dahinter stimmt. Oder wie es der Harvard-Ökonom Dani Rodrik einst formulierte: «Wir verwenden Mathematik nicht, weil wir besonders schlau sind, sondern weil wir es eben gerade nicht sind.»
Ist eine «ideale» Regulierung vorstellbar, welche die Finanzkrise vor zehn Jahren hätte verhindern können?
Werden die aktuellen Reformen tatsächlich ohne Abweichungen umgesetzt, sollte das globale Finanzsystem meiner Ansicht nach künftig weniger riskant sein als noch vor der Finanzkrise. Die Reformen unter Basel III scheinen in die richtige Richtung zu gehen. Eine höhere Eigenmittelunterlegung, Mindestanforderungen an die Liquidität, die Einführung von makroprudenziellen Massnahmen in Form von antizyklischen Kapitalpuffern sowie ein verstärkter Gebrauch von zentralisierten Handelsplattform oder institutionelle Reformen sind alles sehr gute Verbesserungen.
«Auch Mediziner sind besser darin, Krankheitssymptome zu erkennen, als zu sagen, wann Sie einen Herzinfarkt haben werden»
Man wird allerdings nie eine weitere Finanzkrise ausschliessen können. Erstens, weil es immer grosse Risikogefahren gibt. Zweitens, und das erkläre ich in meinem Buch, sind Ökonomen besser darin, potenzielle Risiken auszumachen, als vorauszusagen, wann diese eintreten. Auch Mediziner sind besser darin, Krankheitssymptome zu erkennen, als zu sagen, wann Sie einen Herzinfarkt haben werden.