Trotz rasant steigenden Corona-Fallzahlen und einschränkenden Massnahmen sieht Thorsten Pauli kaum Grund zur Panik: Firmenkunden wie Banken seien diesmal besser gewappnet, sagt der Kapitalmarkt-Chef der Bank of America in der Schweiz zu finews.ch.

Die Corona-Fallzahlen haben in der Schweiz die Rekordstände vom Frühling überschritten, Unternehmen und Gewerbe droht eine «zweite Welle» ohne Sicherungsnetz. Denn wie Finanzminister Ueli Maurer letzte Woche klarmachte, dürfen sie nicht mit einer Neuauflage der Corona-Hilfskredite von letztem März rechnen: «Flächendeckende Programme können und müssen wir uns auch nicht mehr leisten», fand der Bundesrat.

Auch die Banker, die vergangenen Frühling 16 Milliarden Franken an Solidarbürgschaften des Bundes an notleidende Firmen weiterleiteten, stehen damit bis auf Weiteres Gewehr bei Fuss. Schlittert die Schweizer Wirtschaft ungebremst in die nächste Rezession?

Letzte Monate intensiv genutzt

Thorsten Pauli, ein erfahrener Investmentbanker mit Karrierestationen bei der UBS und aktuell der US-Grossbank Bank of America Merrill Lynch, gibt sich im Gespräch mit finews.ch erstaunlich gelassen. Als Leiter fürs Kapitalmarkt-Geschäft im Bereich Aktien im deutschsprachige Europa (DACH-Region) ist er den Firmenkunden verschiedenster Branchen ganz nahe. Er sagt: «Ich nehme nicht an, dass wir so schnell wieder in den Panikmodus von letztem März – sozusagen einen März 2.0 – verfallen.»

Zu diesem Schluss führen ihn seine Beobachtungen aus dem täglichen Kundenkontakt. «Die meisten börsenkotierten Firmen in der Schweiz, darunter auch zahlreiche mittelgrosse SMIM-Unternehmen, haben die letzten Monate intensiv genutzt», berichtet Pauli. Die Firmen hätten sich genügend Liquidität beschafft, das Personal aufs Homeoffice umgerüstet, Lieferketten und Geschäftsmodelle angepasst. «Die meisten Chefs und Treasurer gehen dabei vom Szenario aus, dass die Pandemie uns noch bis 2022 in Atem hält», so der Investmentbanker.

Nicht zu verharmlosen

Während Staat und Gesellschaft derzeit nach Rezepten ringen, hat «Corporate Switzerland» so weit wie möglich vorgesorgt, folgt man Paulis Ausführungen. In der Folge dürfte in den nächsten Wochen der Run auf Liquidität wenigstens von dieser Seite her ausbleiben.

Trotzdem warnt der Banker vor Sorglosigkeit. Denn während die grossen Multis die zweite Welle abwettern, könnte diese viele kleinere Wirtschaftsteilnehmer überrollen. «Es ist leider zu erwarten», sagt Pauli, «dass KMU, Gewerbe und old-world-Geschäftsmodelle nochmals hart getroffen werden». In der Summe seien diese Akteure absolut systemrelevant. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der zweiten Corona-Welle sollten deshalb nicht verharmlost werden, mahnt er.

Sechs Monate, die sich anfühlen wie Jahre

Angepasst ans Corona-Umfeld habe sich auch seine eigene Branche, berichtet Pauli weiter – er selber hatte auf der Höhe der ersten Welle 16-Stunden-Tage aus dem Homeoffice absolviert, wie finews.ch damals berichtete. Hinter den Kulissen herrschte damals auch im Banking Alarmstimmung, und die Institute begannen, Liquidität zu horten.

«Seit der ersten Welle von Coronafällen sind erst sechs Monate vergangen. Doch im Investmentbanking fühlt sich das wie sechs Jahre an.» Mittlerweile gehe man dort davon aus, dass sowohl die Kapitalmarkt-Aktivitäten wie auch das Geschäft mit Fusionen und Übernahmen robust blieben. Rein operativ liessen sich praktisch alle Prozesse digital abbilden. Das gelte sogar für die komplexen Vorbereitungen zu Fusionen und Übernahmen von Firmen (M&A).

Nicht mehr zugefroren

War dieses «klassische» Investmentbanking vergangenen Frühling regelrecht zugefroren, rechnet der Kapitalmarkt-Spezialist nun mit einer erhöhten Anzahl von Transaktionen. Dafür sprächen einerseits die durch die Krise ausgelöste Konsolidierung in gewissen Branchen, anderseits die Zukäufe von Firmen, die sich für die Zeiten nach Corona fit machen möchten.

Pauli: «Höchst gefragt sein werden insbesondere Startups aus dem Software-Bereich. Verschiedenartige Industrien werden deren Technologie und Knowhow brauchen, um im verstärkten Trend hin zur Digitalisierung mitzuhalten.» Zur Finanzierung könnten Unternehmen vermehrt zu Wandelanleihen greifen, wie der Investmentbanker weiter ausführt. «Firmen, die auf der Suche nach Fremdkapital sind, könnten sich nun darauf besinnen, dass sich Wandelanleihen viel leichter umstrukturieren lassen als Bonds, was in diesen unsicheren Zeiten Flexibilität schafft.»

«Dieser Preis erscheint als zu hoch»

Die M&A-Überlegungen machen natürlich nicht vor Paulis eigener Branche halt. Das europäische Banking erscheine reif für eine Konsolidierung, räumt dieser ein, es bestünden signifikante Überkapazitäten. «Allerdings ist dies mehr eine intellektuelle Feststellung: In der Realität will sich wohl kein CEO und auch kein Politiker auf die Fusion einer systemrelevanten Bank einlassen.»

Denn fast in jedem Fall gebe es grosse Überschneidungen zwischen den Instituten, und Synergien könnten nur über die Entlassung Tausender Mitarbeitender realisiert werden. Dieser Preis erscheint als zu hoch, gibt Pauli zu bendenken. Auch deshalb, weil eine Grossfusion eine Bank in der Regel massiv im Tagesgeschäft behindere und das Unternehmen in der Entwicklung bis zu drei Jahren zurückwerfen könne.