Jean-Daniel Laffely übernahm die Leitung des Vaudoise-Konzerns mitten in der Coronakrise. Im Jahresend-Interview mit finews.ch schilderte er seine Erfahrungen, was er 2021 erwartet, und warum die Allfinanz wieder im Kommen ist.
Herr Laffely, mitten in der Coronakrise sind Sie CEO der Vaudoise Versicherungen geworden. Wie war das für Sie?
Sehr eigenartig. Die erste grosse Entscheidung, die ich treffen musste war, allen Mitarbeitenden zu sagen, sie sollten nach Hause gehen. Gleichzeitig haben wir den Hauptsitz und die Agentur geschlossen.
Ausserdem mussten wir bereits im März und April aufgrund der Volatilität an Finanzmärkten einen dramatischen Rückgang unseres Eigenkapitals um etwa 150 Millionen Franken verbuchen. Inzwischen haben wir das Meiste davon wieder aufgeholt, da sich die Märkte bekanntlich wieder stabilisiert haben.
Sie haben auch relativ früh – von Mitte Mai bis Juli – Mitarbeitende ins Büro zurückgeholt.
Nicht alle in der Firma waren darüber glücklich! Doch ich hielt es für wichtig, da wir ein grosses Projekt der digitalen Transformation zu bewältigen hatten und sowohl die Vaudoise als auch externe Mitarbeiter sich entsprechend gut kennenlernen mussten.
«Auf lange Sicht ist es nicht ideal, ein Unternehmen komplett virtuell zu führen»
Ab Juli kamen die Mitarbeitenden wieder vier Tage pro Woche ins Büro. Das fiel auch mit den Sommerferien zusammen, und es war für die meisten Mitarbeiter eine Erleichterung, ihre Kolleginnen und Kollegen wiederzusehen – wohl wissend, dass sich die Situation im Herbst wieder ändern würde.
Auf lange Sicht ist es nicht ideal, ein Unternehmen komplett virtuell zu führen.
Das Geschäft der Vaudoise ist sehr persönlich. Wie hat sich der erste Lockdown in der Schweiz auf diese Situation ausgewirkt?
Im März ging das Geschäftsvolumen um 50 bis 60 Prozent zurück. Nicht nur unsere Mitarbeitenden arbeiteten von zu Hause aus, die ganze Schweiz war sozusagen geschlossen. Wir sahen, dass die Leute ihre Entscheidungen – zum Beispiel die Erneuerung ihrer Fahrzeugversicherung – anfangs aufschoben. Doch im Juni und Juli hat sich das Geschäft wieder erholt.
«Der springende Punkt für uns ist, wann Bund und Kantone den Hahn für die KMU-Finanzhilfen zudrehen»
Wir sind auf dem besten Weg, in etwa das gleiche Geschäftsvolumen wie 2019 zu erreichen.
Wie hat die Pandemie Ihre Prognosen für 2021 verändert?
Rückblickend hatten wir sicherlich weniger Neugeschäft – aber auch weniger Vertragsstornierungen. Unser jährliches Prämienwachstum von 1,5 bis 2 Prozent werden wir auch dieses Jahr erreichen. Im vergangenen September haben wir für 2021 einen Anstieg von nur 0,5 Prozent budgetiert, aber jetzt haben wir für das nächste Jahr bereits einen höheren Wert geplant.
Wie stark werden Sie die zu erwartenden Firmeninsolvenzen im nächsten Jahr zu spüren bekommen?
Der springende Punkt für uns ist, wann Bund und Kantone den Hahn für die KMU-Finanzhilfen zudrehen werden. Eine Pleitewelle nach einer Kreditsperre wäre für uns schwieriger.
«Unser Aktienanteil ist gegen einen 20-prozentigen Börsencrash abgesichert»
Unser Ergebnis hängt auch von den Märkten und der allgemeinen Wirtschaftslage ab. Wir haben den Aktienanteil in unserer Asset Allocation aufgrund der niedrigen oder negativen Zinsen leicht erhöht. Unser Aktienanteil ist gegen einen 20-prozentigen Crash abgesichert, und unser Eigenkapital ist überdurchschnittlich hoch.
Wie sieht es mit Sparmassnahmen aus?
Das ist keine Option. Versicherungen sind im Allgemeinen recht widerstandsfähig. Wir befinden uns überdies in einem Investitionsprozess, um unsere digitalen Lösungen in der Nichtleben-Versicherung, aber auch in den anderen Sparten zu modernisieren.
Sie geben über drei bis fünf Jahre 100 Millionen Franken für die Digitalisierung aus. Was unternehmen Sie konkret moit diesem Geld?
Wir haben auf eine neue Plattform für unsere Nichtleben-Produkte umgestellt, die von Guidewire (einem US-Technologieunternehmen) stammt. Parallel dazu arbeiten wir an einem einzigartigen Kundenerlebnis und verändern unsere interne Architektur und Organisation, um agiler zu werden.
Bedeutet dies, dass Sie einige der mehr als 100 Vaudoise-Agenturen in der Schweiz schliessen werden?
Nein. Unsere Strategie ist jene der Nähe. Die Technologie wird unsere Vertriebsmitarbeiter bei ihrer Arbeit unterstützen. Wir haben eine Omni-Channel-Strategie.
«Wir verstehen mittlerweile auch besser, wie unsere Kunden denken»
Deshalb wollen wir das gleiche Produkt stets zum gleichen Preis anbieten, egal wo es die Kundin oder der Kunden kaufen will – online, über einen Makler oder über einen Vertriebspartner.
Sie arbeiten mit anderen Versicherern zusammen, zum Beispiel mit der Swiss Life. Doch wie steht es mit Kooperationen zu Banken?
In der Vergangenheit haben die Banken und Versicherer versucht, zu fusionieren – das Ergebnis war in den meisten Fällen suboptimal. Heute geht der Trend in Richtung Zusammenarbeit. Ich denke, die Stunde der Allfinanz hat geschlagen.
Stimmt. Die UBS arbeitet inzwischen mit der Swiss Re zusammen; die Credit Suisse mit der Zurich.
Wir verstehen mittlerweile auch besser, wie unsere Kunden denken. Jemand, der zum Beispiel eine Hypothek abschliesst, wird sich wahrscheinlich fragen, was geschieht, wenn er seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen könnte. Braucht er eine Lebensversicherung oder eine Police für den Fall einer Erwerbsunfähigkeit?
«Wir sind mit einigen Finanzhäusern in Kontakt»
Es ist sehr wichtig, genau in diesem Moment als Kundin oder Kunden den richtigen Kontakt zu einem vertrauenswürdigen Partner zu haben. Banken und Versicherer können dabei sehr gut zusammenarbeiten – daraus entsteht eine Mischung aus User Experience (Kundenerlebnis) und Technologie.
Wo stehen Sie konkret in der Zusammenarbeit mit Banken?
Wir sind mit einigen Finanzhäusern in Kontakt, um das Potenzial abzustecken. Aber es nicht zu früh, darüber zu sprechen.
Jean-Daniel Laffely ist seit Mai 2020 CEO der Vaudoise Versicherungen. Zuvor war er deren Finanzchef. Zum Unternehmen stiess er bereits 2006 als Risikoverantwortlcher. Der 55-jährige Schweizer studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität Lausanne.