Aus den Eingaben der Parteien vor Gericht ergeben sich folgende Fragen:

Warum wurden Diegelmann und seine Firmen vom OFAC sanktioniert? 

Darüber geben die Gerichtsunterlagen nur bruchstückhaft Aufschluss. Das OFAC führt als Beweis für das angebliche Fehlverhalten der Goldhändler in erster Linie die eigene Pressemitteilung an, in welcher es dem «Diegelmann Illicit Finance Network» vorwirft, es habe «den russischen Ursprung von ihnen gehandelter Edelmetalle verschleiert und es russischen Kunden ermöglicht, diese für Cash zu kaufen und zu verkaufen und auf diese Weise Geld zu waschen».

Beweise dafür finden sich in den öffentlichen Gerichtsdokumenten allerdings keine; möglicherweise sind in der Klarfassung der Verwaltungsakte, die nur dem Richter vorliegt, die Vorwürfe genauer umschrieben. Rheingold Edelmetall und Diegelmann mutmassen in ihren Eingaben vor Gericht, dass ein Meeting in Moskau im Dezember 2023, in dem sie mit dem potentiellen russischen Geschäftspartner Highland Gold über die Errichtung eines Edelmetalltresors im Oman sprachen, ausschlaggebend für die Sanktionierung war.

Der russische Gesprächspartner wurde allerdings selber erst im Dezember 2023 vom OFAC sanktioniert. Den Kontakt hätten sie daraufhin abgebrochen, argumentieren die Kläger. Und konkrete Massnahmen zur Realisierung des Vorhabens seien keine in die Wege geleitet worden.

Was bedeutet «Teilnahme an der russischen Bergbauwirtschaft» und «procuring»? 

Eine sprachlich spitzfindige, aber zur Beurteilung des Falles wohl entscheidende, Debatte zwischen den Parteien entspann sich über die Bedeutung zweier Begrifflichkeiten: Gemäss Präsidialdekret von Präsident Joseph R. Biden können Personen sanktioniert werden, die in bestimmten, vom OFAC designierten russischen Wirtschaftssektoren «operieren oder operiert haben» («operate or have operated»), wozu auch jeglicher «act of procuring», also jede Beschaffungshandlung, gehört.

Den Bergbausektor hat das OFAC seinerseits zum kritischen Sektor erklärt. Bezüglich der Interpretation dieser Begriffe legen die Parteien dem Richter unterschiedliche Interpretationen vor. Das OFAC behauptet, die Beschaffung von Gold aus Russland, selbst vor Inkrafttreten der Sanktionen im Frühling 2022 («have operated»), sei eine sanktionierbare Beteiligung am russischen Edelmetallsektor. Und der Kauf von Edelmetallen aus russischer Hand stelle eine Beschaffungshandlung im Sinne des Sanktionsregimes dar. Dagegen argumentieren die Kläger, sie hätten nie mit einer sanktionierten Person geschäftet und seit dem Einmarsch Russlands in der Ukraine auch kein Gold aus Russland erworben.

Gemäss der Interpretation des OFAC, so die Kläger, riskiere nach der Lesart der Behörden «jedermann, der jemals Gold in Russland gekauft hat» eine Sanktionierung. Es gebe keine Grundlage dafür, Edelmetalle, die ausserhalb Russlands gefördert und raffiniert worden sei, nur deshalb als «russisch» anzusehen, nur weil sie ein Russe besitze oder erworben habe. 

Weshalb hat das OFAC während des Prozesses die juristische Stossrichtung geändert? 

Bemerkenswert ist die juristische Akzentverschiebung des Treasury und der OFAC. Sprechen die Behörden in ihrer anfänglichen Kommunikation zum Thema von einem «Diegelmann Illicit Finance Network», das «den russischen Ursprung von ihnen gehandelter Edelmetalle verschleiert (habe) und es russischen Kunden ermöglicht, diese für Cash zu kaufen und zu verkaufen und auf diese Weise Geld zu waschen», werden diese Vorwürfe im Prozess nicht mit Substanz unterfüttert.

Stattdessen pochen die Behörden in ihren Eingaben auf eine möglichst breite Definition der Begriffe, die es ihnen tatsächlich ermöglichen würde, jeden zu sanktionieren, der jemals Gold in Russland gekauft hat und jeden Edelmetallhändler, Zollagenten oder jede Bank, die nicht sanktionierten Kunden mit russischem Pass irgendwo auf der Welt bei Edelmetall-Transaktionen behilflich war. Ganz unumwunden schreiben die Behörden denn auch, sie stimmten mit den Klägern darin überein, «dass die Aktivitäten sie nicht automatisch auf die SDN-Liste gebracht haben, sondern dass die OFAC das sanktionierbare Verhalten im eigenen Ermessen zur Grundlage für die Sanktionierung gemacht hat».

Mit anderen Worten: Es sieht tatsächlich so aus, als habe das OFAC für seine ursprünglichen Behauptungen keine Beweise und berufe sich statt auf konkrete Handlungen von Rheingold Edelmetall und Diegelmann lieber auf den traditionell weit gefassten Ermessensspielraum der Behörden bei Administrativmassnahmen. Klar wird daraus allerdings auch, dass es einer OFAC-Sanktionierung nicht eine Beweiswürdigung zugrunde liegt, die gewohnten rechtsstaatlichen geschweige denn strafrechtlichen Massstäben genügen würde.

Wie gross ist der behördliche Ermessensspielraum des OFAC unter der neuen Doktrin des Supreme Court? 

In der amerikanischen Rechtssprechung galt seit einem Urteil des Supreme Courts von 1984 die sogenannte Chevron-Doktrin. Diese besagte, dass überall dort, wo der Gesetzgeber Zwischenräume gelassen hat oder widersprüchliche Regelungen, eine Verwaltungsbehörde wie das OFAC diese mit eigenen Interpretationen auffüllen dürfe, solange sie dabei rational nachvollziehbar vorgehe.

Unter dieser Voraussetzung der Rationalität waren auch die Gerichte an die Argumentation der Behörde gebunden, was ihre Arbeit deutlich vereinfachte. In einem erst am 28. Juni dieses Jahres ergangenen Urteil stürze der Supreme Court allerdings mit konservativer Mehrheit diese Doktrin um: Es obliege auch in Graubereichen und Zweifelsfällen sehr wohl den Gerichten, über Recht und Unrecht zu entscheiden. Chief Justice John Roberts führte in seiner Mehrmeitsmeinung aus, dass es «die  Verantwortung des Gerichts bleibt, darüber zu urteilen, ob das Gesetz das bedeutet, was die Verwaltungsbehörde sagt».

Und: «Der Kongress erwartet, dass die Gerichte technische gesetzliche Fragen behandeln.» Wie etwa die Frage, was «procuring» oder «Teilnahme an der russischen Bergbauwirtschaft» bedeutet. Kein Wunder, winken die Kläger gegenüber Richter Boasberg mit diesem neuen Urteil wie mit einem Zaunpfahl.

Wie geht es jetzt weiter?

Zunächst muss der Richter entscheiden, ob er aufgrund der Aktenlage und des Schriftenwechsels ein Urteil fällen kann, oder ob er die Parteien zu einer mündlichen Verhandlung aufbietet. Je nachdem ist früher oder später mit einem Urteil zu rechnen. 

Letzte Station: Supreme Court

Beide Parteien haben anschliessend die Möglichkeit, als zweite und letzte Instanz den Supreme Court anzurufen. Ob sich dieser mit dem Fall befassen wird, bleibt allerdings den obersten Richtern überlassen. In Anbetracht der Überlappungen zwischen dem vorliegenden Fall und dem neuen Urteil zur Chevron-Doktrin ist es nicht einmal unwahrscheinlich, dass er den Fall annehmen wird.

So oder so: Die juristische Auseinandersetzung zwischen den US-Behörden und dem Liechtensteiner Goldhändler tritt nun in ihre entscheidende Phase ein.