Schon kurz nachdem die Kreditprobleme der Zürcher Bank Julius Bär mit dem österreichischen Unternehmer und Investor René Benko bekannt waren, folgte die Frage nach einem Rücktritt des CEOs Philipp Rickenbacher. Doch ist eine solche Forderung auch angezeigt?
In der Regel ist es so, dass der oder die CEO die Verantwortung für Vorfälle übernimmt, die ein Unternehmen in grössere Schwierigkeiten zu bringen drohen. Im Fall von Julius Bär offenbarte sich das Ausmass des Schadens im Signa-Debakel in Etappen, nachdem es die Bank versäumt hatte, am Tag ihrer Quartalsberichterstattung transparent darüber zu informieren.
Sie musste kurz darauf mit weiteren Präzisierungen aufwarten, wie auch finews.ch berichtete. Dadurch erhöhte sich das Misstrauen der Kundschaft und vor allem der Anlegerinnen und Anleger, die sich von der Julius-Bär-Aktie an der Börse trennten.
Neue Informationen erst im Februar 2024?
In der Zwischenzeit hat sich die Situation nicht wesentlich verbessert. Die Zürcher Traditionsbank bleibt angeschlagen. Im Hause Julius Bär geht man davon aus, dass die Aktien wohl noch bis zur Bekanntgabe des Jahresergebnisses 2023 am 1. Februar 2024 unter Druck bleiben dürften. Denn offenbar will die Bank erst dann weitere Informationen nachreichen, namentlich, wie sich das operative Geschäft entwickelt, und ob ein Aktienrückkauf-Programm durchgeführt wird.
Bis zum 1. Februar 2024 ist es noch eine lange Zeit, zumal Recherchen von finews.ch zeigen, dass sich mehrere US-Hedgefonds derzeit bei Schweizer Finanzmarktexperten erkundigen, wie sie die Situation bei der Schweizer Traditionsbank einschätzen. Davon dürften sie dann ihren Entscheid abhängig machen, die Julius-Bär-Aktie zu «shorten», also leer zu verkaufen. Dabei wetten die Profi-Spekulanten auf einen Kursverfall.
Konkret leihen sie sich Aktien bei einem Broker aus und verkaufen diese am Markt. Bevor sie dann die geliehenen Aktien wieder zurückgeben müssen, beschaffen sie sich diese – idealerweise zu einem tieferen Kurs – an der Börse und geben sie dem Broker zurück. Werden solche Transaktionen bekannt, wird es für ein Unternehmen nochmals schwieriger, aus der drehenden Negativspirale herauszukommen.
Fragwürdige Werthaltigkeit
Bisher hat Julius Bär Rückstellungen von 70 Millionen Franken auf einem einzelnen Engagement von insgesamt 606 Millionen Franken gegenüber einem «europäischen Konglomerat» angemeldet. Am Markt gilt es längst als ausgemacht, dass Firmen aus Benkos Signa-Gruppe der Privatbank die Darlehen schulden; Medienberichten zufolge soll der Kredit aus drei Tranchen bestehen, die im Wesentlichen mit Aktien der Signa-Gruppe sowie Hypotheken auf Signa-Immobilien in Deutschland besichert sind.
Die Werthaltigkeit der Aktien dürfte mittlerweile fragwürdig sein, während es sich bei den deutschen Signa-Immobilien oft um Retailflächen handelt, deren Bewertung wegen der schwierigen Lage im Detailhandel und den steigenden Zinsen doppelt unter Druck geraten ist. In Finanzkreisen ist damit die Rechnung schnell gemacht. Je höher der Abschreibungsbedarf wird, desto geringer fällt der Gewinn der Bank unter dem Strich aus.
Verwaltungsrat in der Verantwortung?
Vor diesem Hintergrund wird die Frage nach dem weiteren Verbleib des bisherigen CEOs doch virulent. Oder anders gesagt: Sein Rücktritt kann das erforderliche Signal sein, dass es in der Wahrnehmung der Märkte zu einem Meinungsumschwung kommt.
Allerdings erklärte CEO Philipp Rickenbacher unlängst in der «Neuen Zürcher Zeitung», Private-Debt-Kredite würden stets nach klaren Governance-Grundsätzen vergeben und im Einzelnen überprüft: in der Kreditabteilung, im entsprechenden Komitee der Geschäftsleitung sowie im Risikoausschuss des Verwaltungsrats. Auch die fraglichen Kredite an den Grosskunden (lies: René Benko) hätten jede Genehmigungsstufe durchlaufen.
Ist dies der Fall, stünde der Verwaltungsrat in der Verantwortung. Derzeit sei es aber kein Thema, dass jemand die Verantwortung übernehme, sagte ein Sprecher von Julius Bär.
Oswald Grübels Signal an die Märkte
Der Rücktritt eines CEO, selbst wenn dies selbstverständlich kein einfacher Entscheid ist, kann sehr wohl viel bedeuten. Er kann «Teil der Lösung» sein, wie das der einstige UBS-Präsident Marcel Ospel erklärte, als er im Sog der UBS-Krise zurücktrat; eine Demission trägt in der Tat massgeblich dazu bei, einen Problemfall zu beseitigen.
Das zeigte sich gut beim Rücktritt des damaligen UBS-Konzernchefs Oswald Grübel im Jahr 2011. Er übernahm sehr rasch die Verantwortung für die Verfehlungen eines Händlers in London, der mit seinen verbotenen Spekulationen die Schweizer Grossbank in erhebliche Schwierigkeiten brachte.
In diesem Fall ist es Grübel hoch anzurechnen, dass er die Verantwortung übernahm, obschon er persönlich nie etwas mit dieser Angelegenheit zu tun gehabt hatte. Damit sandte er ein Signal an die Märkte aus, das dazu beitrug, dass daraus nicht ein Fall «UBS» wurde, sondern die Angelegenheit eines subalternen Börsenhändlers in London blieb. Gleichzeitig stellte Grübel mit seiner Demission das Vertrauen in die UBS und in deren Aktie wieder her, so dass die ganze Angelegenheit letztlich eine Fussnote blieb.
Eindrückliches Beispiel
Grübel umschiffte mit seinem Handeln noch ein weit grösseres Problem, das insbesondere den Schweizer Finanzplatz betrifft. Denn tatsächlich ist es so, dass die angelsächsischen Medien die Aktivitäten der Schweizer Banken mit Argusaugen verfolgen, und keine Gelegenheit auslassen, selbst kleinere Probleme wirkungsvoll an den Pranger zu stellen. Das Credit-Suisse-Debakel in diesem Jahr – wobei es da nicht um kleinere Probleme ging – bot ein eindrückliches Beispiel dafür. Julius Bär läuft nun ebenfalls Gefahr, dass sich britische und amerikanische Medien auf CEO Rickenbacher einschiessen, was wiederum die Problemlösung bei der Bank erheblich erschwert.
Mit seinem raschen Rücktritt 2011 schaffte es Grübel, die UBS aus der Schusslinie zu nehmen und den Weg für eine neue Strategie unter Sergio Ermotti zu ebnen, die in ihrer Ausprägung bis heute ihre Gültigkeit hat und zum Erfolg beiträgt.
Probleme zur Unzeit
Im Gegensatz dazu kommen die Probleme bei Julius Bär zur Unzeit. Denn kaum hat sich die Schweiz vom CS-Debakel mehr oder weniger befreit, belasten die Probleme der kleineren Zürcher Traditionsbank das Ansehen des Schweizer Finanzplatzes vor allem im Ausland erneut. Fragen nach der Seriosität und der Reputation der Branche stehen wieder im Raum.
Auch vor diesem Hintergrund kann ein Rücktritt als CEO ein Befreiungsschlag sein.