Private Banker erleben dramatische Tage: Die Marktverwerfungen vernichten Vermögen von wohlhabenden Kunden, die mit viel Leverage investiert waren. Die massive Geldvernichtung ist die Folge einer riskanten Wachstumsstrategie – und von Gier.
Margin Call! Aus den zahlreichen Gesprächen von finews.ch mit Managern und Kundenberatern bei Banken sowie unabhängigen Vermögensverwaltern in den vergangenen Tagen entsteht ein erschreckendes Bild.
Ein hochrangiger Banker kleidete dies in Worte wie folgt: «Substanzielle Vermögen verschwanden. Man konnte beobachten, wie Kundenportfolios in zwei- oder gar dreistelliger Millionenhöhe quasi über Nacht auf Null crashten.»
Alle rennen dem Ausgang zu
Diese Vermögen werden sich im bereits heiss erwarteten Wiederaufstieg der Märkte nicht erholen. Sie sind weg – nicht nur für die bis vor kurzem noch wohlhabenden Kunden, sondern auch für die Banken und Vermögensverwalter.
Margin Calls sind unerbittlich: Wenn die Märkte rasch fallen, erfolgt der Anruf des Brokers oder Kundenberaters zur Nachschusspflicht. Kunden, die mittels Lombardkrediten die Renditen ihrer Anlagen erhöhen wollten, müssen im Nu Cash liefern, damit die Verschuldung im Portfolio nicht unerlaubte Grenzen überschreitet. Folge: Die Kunden sind gezwungen zu verkaufen, die Kurse fallen noch tiefer, alle rennen dem Ausgang zu, und die Märkte crashen.
Beispielhaft: Martin Ebners Waterloo
Der heute immer noch aktive Financier Martin Ebner kann ein Lied davon singen. Er hatte über das Beteiligungsgeflecht seiner BZ Gruppe Holding im Verlauf der 1980er- und 1990er-Jahre ein gigantisches Aktienportefeuille aufgebaut, das in seinen besten Zeiten im Jahr 2000 rund 30 Milliarden Franken wert war.
Doch es war wenig eigenes Geld dabei: Ebner hatte bei den Banken einen Grossteil seiner Aktien für Kredite hinterlegt, um weitere Aktien zu kaufen. Das Platzen der Dotcom-Blase führte in Ebners Imperium zum «Melt down». In der Baisse sackte auch der Wert seiner hinterlegten Aktien ab. Die Banken verkauften diese, weil Ebner der Nachschusspflicht nicht mehr nachkommen konnte. Als Konsequenz musste er sich von fast all seinen Beteiligungen trennen.
Nur dank eines Privatkredits seines Weggefährten Christoph Blocher kam Ebner wieder auf die Beine. Es gelang ihm sogar das Husarenstück, nach dem Beinah-Bankrott wieder zum Milliardär zu mutieren. Andere haben dieses Glück nicht.
Wenig Irrationalität
John Maynard Keynes, der berühmte Ökonom, der selber viel Geld an der Börse verlor, zog einst den Schluss: «Der Markt bleibt länger irrational, als man liquide bleibt.» Allein: Der dieses Mal von Margin Calls ausgelöste Marktcrash ist nicht unbedingt irrational.
Erstens stürzt die Corona-Krise die Weltwirtschaft in eine Rezession, und zweitens war in den Märkten offenbar so viel Leverage vorhanden, dass ihnen nun sprichwörtlich die heisse Luft abgeht. Und zwar aus allen Märkten: Aktien, Corporate Bonds, Gold und selbst Kryptowährungen wie Bitcoin.
Hinter den Kulissen brodelt's
Der Margin Call hat einen Flächenbrand auf dem Schweizer Finanzplatz ausgelöst. UBS-Finanzchef Kirt Gardner sprach diese Woche von einem sprunghaften Anstieg der Margin Calls, fügte aber an, die Verluste seien begrenzt. Credit-Suisse-Chef Thomas Gottstein beruhigte am Donnerstag, seine Teams hätten das Lending im Griff.
Auch Julius-Bär-Chef Philipp Rickenbacher räumte vergangene Woche ein, es käme zu Margin Calls. Über inoffiziellere Kanäle klingt es von Genf bis Zürich, von Pictet bis Julius Bär, aber dramatischer: «Wir haben reihenweise Margin Calls.»
Gier kennt keine Grenzen
Die Vorgänge, die beileibe nicht nur Schweizer Banken betreffen, liefern eine Erklärung darüber, wohin die jahrelang von den Notenbanken in die Märkte gepumpte Liquidität geflossen ist: nicht in Kredite für KMU und Unternehmen.
Sondern als Lombardkredit oder Derivate in die Portfolios der superreichen Klientel. Nun sagt so mancher Private Banker hinter vorgehaltener Hand, die Gier mancher Kunden habe keine Grenzen gekannt.
Beispiellose Vermögenskonzentration
Eine vergangenen November erstellte Statistik der US-Notenbank Federal Reserve zeigt, dass sich die Vermögen der reichsten 1 Prozent der US-Bevölkerung seit der Finanzkrise mehr als verdoppelt haben – während die Entwicklung für Menschen in der unteren Hälfte der Vermögenden flach geblieben ist. Es ist eine beispielhafte Entwicklung der Vermögenskonzentration, die für Private Banker so lukrativ ist.
Doch ein Teil der Wahrheit ist wohl: Das ohnehin nicht berauschende Wachstum im Swiss Banking seit der Finanzkrise und dem erzwungenen Umschwenken auf eine Weissgeldstrategie erfolgte massgeblich auf Pump.
Tiefe Zinsen: Vorteil für Reiche
Die bittere Ironie dabei: Reichen Schweizer Wealth-Management-Kunden war es aufgrund des Tiefzinsumfeldes möglich, quasi zum Nulltarif geliehenes Geld in Aktien- und anderen Anlagemärkten zu investieren, während Kleinsparer und Vorsorgewerke unter den tiefen Zinsen litten und noch immer leiden.
Ein Banker wie Iqbal Khan erschuf sich den Ruf eines Stars, indem er als Wealth-Management-Chef die Gunst der Tiefzins-Stunde nutzte und bei der CS das Lombardkredit-Buch massiv ausweitete und so die mitunter besten Margen in der Branche erzielte. Die CS legt nicht offen, wie gross ihr Lendingbuch ist.
Nüchterne Wahrheit
Bei der UBS belief sich das Lending für reiche Privatkunden im vergangenen Jahr auf rund 180 Milliarden Dollar. Mit Khan als neuem Co-Wealth-Management-Chef plante die bislang risikoscheue UBS, das Buch massiv auszuweiten. Julius Bär wies per Ende Jahr ein Lombardkreditbuch von rund 40 Milliarden Franken aus. Die Privatbank will dieses entlang dem Wachstum bei den verwalteten Vermögen weiter ausdehnen.
Lending, dies die nüchterne Wahrheit, war im Swiss Banking der vergangenen Jahre das Instrument, um mangelndes Wachstum und bröckelnde Margen auszubügeln. Eine über zehn Jahre andauernde Börsenhausse und tiefe Zinsen waren der Motor. Wie nachhaltig diese Strategie im Swiss Banking war, wird sich anhand der nächsten Halbjahres- oder Jahresberichte zeigen. Nicht nur der Börsencrash, auch der Margin Call wird sich tief in die Vermögensbasis hineingefressen haben.