Die Baloise-Gruppe wollte mit der Gründung eines Auto-Versicherers in Deutschland quasi Geschichte schreiben und ihr Wachstum beschleunigen. Doch seit dem Start des Vorzeigeprojekts im Jahr 2017 läuft einiges aus dem Ruder.
«Die Nutzungserfahrung mit Versicherungsdienstleistungen in ein neues Zeitalter führen» – mit diesen heroischen Worten hatte der Konzernchef der Baloise-Gruppe, Gert De Winter, das Projekt Friday 2017 angekündigt. Die Basler Versicherungsgruppe wollte mit einfachen Prozessen und Produkt-Innovationen über ein Berliner Startup ihr Wachstum vervielfachen und gleichzeitig zum beliebtesten Mobile-Insurer Deutschlands avancieren.
Bald fünf Jahre später ist es jedoch verhältnismässig ruhig um das Projekt geworden. Trotzdem kontert die Baloise die Nachfragen von finews.ch mit einem scheinbar unerschütterlichen Optimismus respektive mit einer Lobeshymne: «Unser Digitalversicherer Friday machte in den vergangenen Jahren grosse Fortschritte. Ende Geschäftsjahr 2020 zählte Friday über 100'000 Bestandskunden und hat gegenüber dem Vorjahr die Prämien auf mehr als 30 Millionen Franken verdoppelt», so ein Sprecher des Unternehmens am Rheinknie.
Gründer-Gen in der Familie
Friday steht unter der Leitung des früheren McKinsey-Beraters und Gründers der Crowdlending-Plattform Lendico Christoph Samwer (Bild oben). Um den Unternehmen den grösstmöglichen Gestaltungsfreiraum zu gewähren, operiert es relativ unabhängig von der vor 155 Jahren gegründeten Baloise-Gruppe, dafür unter einer Lizenz der luxemburgischen Baloise-Tochter – um den EU-Pass zu haben.
Samwer wiederum ist ein Cousin der Gebrüder Marc, Oliver und Alexander Samwer, die als Internet-Unternehmer mit Zalando oder Rocket Internet bereits Milliarden gescheffelt haben. Das Gründer-Gen liegt offenbar in der Familie.
Schwärmender CEO
Mit 100'000 Bestandskunden wollte der Versicherer Friday nun die Gewinnschwelle erreicht haben. Bereits am Investorentag der Baloise 2016 hatte Konzernchef De Winter verkündet, «der Business-Case wird 2020 break-even erreichen». Und auch gegenüber finews.ch hatte der Versicherer diese Aussage später bestätigt. Selbst an einer Medienveranstaltung vor knapp zwei Monaten kam CEO De Winter aus dem Schwärmen über das Projekt nicht heraus.
Er muss es ja wissen, schliesslich ist er Verwaltungsratspräsident der eigens gegründeten Friday-Tochtergesellschaft. Alles laufe prima, betonte er im August 2021 mehrmals. Doch wie schaut es nun tatsächlich bei Friday aus?
Minus 81 Millionen Euro
finews.ch liegen die Jahresabschlüsse der Firma vor. Demnach beläuft sich das verfügbare Resultat nach lokaler Rechnungslegung für das Geschäftsjahr 2020 auf minus 81 Millionen Euro. Dieses setzt sich gemäss dem Geschäftsbericht aus Verlustvorträgen von 45,3 Millionen Euro sowie einem Fehlbetrag für das abgelaufene Geschäftsjahr 2020 von 35,7 Millionen Euro zusammen. Von «break-even» fehlt also jegliche Spur.
Der IFRS-Jahresverlust 2020 von Friday liegt laut Angaben des Konzerns bei 35 Millionen Franken, wobei die Baloise somit auch noch Jahre nach der Gründung rund 30 Millionen Franken an Verlusten in nur einem Jahr trägt. Der Rest geht auf die Kosten von Externen.
Minimaler Wachstumsbeitrag
Die Prämieneinnahmen betrugen 2020 lediglich 29,2 Millionen Euro, wobei rund 60 Prozent davon auf das Kraftfahrt-Haftpflicht-Geschäft und 37,6 Prozent auf andere Kraftfahrt-Versicherungen zurückgehen. Zum Vergleich: Das Prämienvolumen in der Nichtlebensversicherung der Gesamtgruppe betrug im Jahr 2020 rund 3,8 Milliarden Franken. Der Wachstumsbeitrag von Friday ist also eher gering.
Der kombinierte Schaden-Kosten-Satz, ein Gradmesser für die Profitabilität von Sachversicherungen, liegt konzernweit bei guten 91,2 Prozent. Mit Werten unter 100 Prozent verdient die Assekuranz versicherungstechnisch Geld. Beim Startup Friday betrug im Corona-Lockdown-Jahr, wo viele Kunden ihre Autos ohnehin nicht benutzen konnten, die Schaden-Kosten-Quote rund 91,1 Prozent. Im Jahr 2019 lag der Wert dagegen bei 116,8 Prozent – das ganze Friday-Portfolio ist versicherungstechnisch also eher höchst unprofitables Geschäft.
Gewinnschwelle nun 2025 statt 2020
Noch eine Auffälligkeit: Das Management von Friday musste jede einzelne Seite des testierten Jahresabschlusses 2020 abzeichnen. Verwaltungsratspräsident De Winter ist mit dieser doch recht ungewöhnlichen Massnahmen also voll im Bilde über die Situation bei der Firma.
Die Baloise erklärte gegenüber finews.ch, dass der Konzern mit der Entwicklung von Friday nach wie vor zufrieden sei. Das Startup befinde sich in der Skalierungsphase und der Markteintritt in Frankreich sei lanciert worden, was alles Einfluss auf die Zeitachse habe, bis der Break-even erreicht werde. Aktuell wolle sich der Versicherungskonzern auf Wachstum fokussieren, weshalb für Friday in Deutschland nunmehr erst für das Jahr 2025 mit dem Erreichen der Gewinnschwelle gerechnet werde.
Für Drittinvestoren öffnen
Insgesamt hat die Baloise-Gruppe bereits rund 160 Millionen Franken in das Projekt investiert, teilte die Medienstelle zudem mit. Hinzu kommen über 30 Millionen Euro von Dritten, war weiter zu erfahren. Und genau dies soll nun auch der Ausweg für die Baloise sein. Die Basler wollen Friday für weitere Drittinvestoren öffnen.
Somit verbleibt schliesslich noch der Blick auf das erklärte Ziel der Baloise, mit Friday der beliebteste Digitalversicherer Deutschlands zu werden. Dieser Meilenstein sei erreicht worden, hiess es vom Unternehmen. Das verwundert angesichts der angehäuften Verluste auch nicht sehr, denn die Versicherungsprämien scheinen für das versicherte Risiko einfach zu günstig zu sein und am Ende des Tages bloss die Kundschaft zu erfreuen – aber nicht unbedingt die Aktionärinnen und Aktionäre.