Banken, die sich nicht mit dem disruptiven Wandel in der Finanzbranche befassen, werden ihre Daseinsberechtigung verlieren, wie sich am Donnerstag an einer Konferenz in der Blockchain-Metropole Lugano eindrücklich zeigte.

Selbst für die meisten Beschäftigten in der Bankbranche ist «Decentralized Finance» noch immer ein diffuser Begriff, unter dem sie sich nicht viel vorstellen können. Dabei umfasst dieser Begriff eine Vielzahl von elementaren Finanzanwendungen, die zwar losgelöst von der traditionellen Finanzwelt funktionieren sollen, aber genauso auf Werten wie Vertrauen, Sicherheit oder Verlässlichkeit und Identität beruhen.

«Decentralized Finance», oder kurz DeFi, ist einfach gesagt ein digitales Ökosystem, das auf viele Computer verteilt ist und nicht von einer einzigen Stelle kontrolliert wird; die Transaktionen erfolgen dabei über Smart Contracts, die auf der Blockchain abgewickelt werden, und übers Internet einsehbar und nachverfolgbar sind; schliesslich sind die Blockchain-Protokolle miteinander kompatibel, so dass sie sich für verschiedene Dienstleistungen kombinieren lassen. Digitale Währungen wie Ethereum funktionieren in diesem System als Zahlungsmittel.

Bitcoin-ETFs machen DeFi mehrheitsfähig

in diesem Kontext wird klar, welche Disruption die Banken erwartet. Oder anders formuliert: Finanzinstitute, die diesen Paradigmenwechsel nicht antizipieren, werden über kurz oder lang ihre Existenzberechtigung verlieren; unabhängig davon, wie sehr sie sich auf das viel gepriesene Swiss Banking berufen oder nicht.

Die kürzlich von der US-Börsenaufsicht zugelassenen Bitcoin-ETFs, also staatlich regulierte Finanzprodukte, die in Kryptowährungen investieren, waren ein erster Schritt, DeFi mehrheitsfähig zu machen. «Erstmals konnten Anlegerinnen und Anlegern über traditionelle Kanäle in virtuelle Vermögenswerte investieren», wie Jan Brzezek, Gründer der heute zur Deutschen Börse gehörenden Firma Crypto Finance, am Donnerstag an der «Decentralized Lugano»-Konferenz sagte.

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BIL-Suisse-Team (Bild: NB)

Sie wurde heuer zum dritten Mal von der Banque International à Luxembourg (BIL Suisse) und der Beteiligungsgesellschaft Scytale Digital organisiert. Der Event im Tessin vereinigt stets hochkarätige Fachleute, die mit der digitalen (Finanz-)Welt im weitesten Sinn zu tun haben.

Steuern und Bussen per Bitcoin

Dass der Anlass in der Südschweiz stattfindet, kommt nicht von ungefähr. Einerseits hat BIL Suisse neben Zürich und Genf auch eine Niederlassung in Lugano, und andererseits profiliert sich die Stadt seit drei Jahren als europäische Blockchain-Metropole, in der mittlerweile zahlreiche Dienstleistungen – selbst Steuern oder Bussen – mit den Kryptowährungen Bitcoin, Tether oder Luga bezahlt werden können, wie Luganos stellvertretender Finanzchef Paolo Bortolin betonte.

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Sascha Wullschleger, Paolo Bortolin, Thomas Moser, David Newns, Vincent Gusdorf (Bild: finewsticino.ch)

Im vergangenen Jahr emittierte die Stadt auch den ersten digitalen Bond (Obligation) in der Schweiz, wie auch finews.ch berichtete. Heuer folgte ein zweiter, der – als weitere Weltpremiere – mit digitalem Zentralbankgeld (Central Bank Digital Coin, CBDC) abgewickelt wurde, wie Thomas Moser, Mitglied des erweiterten Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank (SNB) erklärte.

Digitale Identität weg von Facebook und Google

Unter Fachleuten besteht kein Zweifel, dass sich DeFi in den nächsten Jahren auf breiter Front durchsetzen wird, vor allem, weil «viele Transaktionen effizienter und günstiger werden und sich die Geldflüsse zurückverfolgen lassen», wie Vincent Gusdorf, DeFi-Verantwortlicher bei Moodys unterstrich. Die internationale Rating-Agentur verlieh dem digitalen Bond der Stadt Lugano ein «Aa3» verlieh.

Gleichwohl, und darum ging es an der «Decentralized Lugano» auch, sind noch einige Hürden zu nehmen, bis sich ein unabhängiges Finanzsystem global etablieren kann. Dazu gehört etwa die Frage der digitalen Identität, wie Michael Casey, Publizist und Krypto-Experte der ersten Stunde, erklärte. Notwendig ist ein digitaler Standard, damit sich eine Person im virtuellen Raum identifizieren kann, ohne dabei von Tech-Konzernen wie Google oder Facebook abhängig zu sein.

Dubai Blockchain Strategy

Eine solche Identität, die verschiedene Stellen in verschiedenen Ländern vermitteln könnten, würde jeweils so viel offenlegen, wie nötig ist, um den entsprechenden Legitimationsprüfungen (Know your customer, KYC) gerecht zu werden, wie Micha Bitterli, Finanzexperte bei der Beratungsfirma Deloitte präzisierte. Deloitte arbeitet denn auch in einem Projekt an einer solchen «Single Source of Truth».

Staaten, die sich mit diesen Fragen bereits befassen, hätten mittelfristig einen grossen Vorteil, um sich in einer dezentralisierten Finanzwelt als Dreh- und Angelpunkt zu etablieren, erklärte Mark Cachia, Gründer und CIO von Scytale Digital, und erwähnte Dubai, wo er selbst mittlerweile lebt und arbeitet, und wo die Behörden die «Dubai Blockchain Strategy» initiiert haben, um so vorteilhafte Rahmenbedingungen für DeFi zu schaffen.

In Bewegung geraten

Die Schweiz müsse sich diesbezüglich nicht verstecken, sagte Sascha Wullschleger, Chef von BIL Suisse in Lugano. Die SNB spiele im internationalen Kontext eine führende Rolle bei der Entwicklung und Anwendung von CBDCs; Lugano und Zug hätten sich als internationale Krypto-Zentren etabliert, und von den insgesamt mehr als 200 Banken, die in der Schweiz tätig seien, würden mittlerweile 35 Finanzdienstleistungen im Bereich digitaler Vermögenswerte anbieten. Die Blockchain wird nicht länger als etwas Exotisches betrachtet, sondern als Technologie», ergänzte Hans-Peter Borgh, CEO von BIL Suisse.

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Lancierung der Krypto-Marke der Privatbank Maerki Baumann (Bild: finews.ch)

Tatsächlich ist im Schweizer Banking in jüngster Zeit einiges in Bewegung geraten. Zahlreiche Finanzinstitute, sowohl Privatbanken wie auch Kantonalbanken, bieten mittlerweile Krypto-Assets und damit verbundene Dienstleistungen an, wie auch finews.ch verschiedentlich berichtet hat. Und auch in der Schweiz ist das Interesse an den kürzlich zugelassenen Bitcoin-ETF sehr gross.

Nur digitales Banking gekannt

Damit wird endgültig klar, dass DeFi unaufhaltsam auf dem Vormarsch ist, und Banken, die in dieser Entwicklung heute abseitsstehen, schon morgen wegkonsolidiert werden dürften – spätestens dann, wenn eine neue Generation an Kundinnen und Kunden überhandnimmt, die nie etwas anderes gekannt hat als digitales Banking.