Der frühere Nationalbank-Präsident und jetzige Blackrock-Vizechef Philipp Hildebrand kritisiert die schwachen Aufsichtsbehörden in Europa und jammernde Bankenvertreter.
Philipp Hildebrand ist in den deutschsprachigen Medien ein seltenerer Gast, seit er im Herbst 2012 Vice President des US-Vermögensverwalters Blackrock wurde. «Spiegel Online» gewährte der ehemalige Präsident der Schweizerischen Nationalbank ein Gespräch.
Es fand in schwindelnden Höhen statt – im 41. Stock des Opernturms in Frankfurt. Hildebrand sei gerade aus Miami zurückgekommen, wo er mit Arnold Schwarzenegger zu Abend gegessen habe, heisst es in der Einleitung. Gegen den Jetlag habe Hildebrand einen Espresso getrunken. Seine Aussagen waren analytisch und schonungslos, was die europäischen Aufsichtsbehörden und den Bankensektor angehen.
Blackrock für Herdentrieb verantwortlich?
Und er zog über die Bankenvertreter her. Anlass war die Frage, nach der Ursache der enormen Marktschwankungen in den letzten Monaten. Banken waren früher in schwierigen Marktsituationen als Käufer aufgetreten, doch dürfen sie heute keinen Eigenhandel mehr betreiben.
Bankkreise machen nun Asset Manager wie Blackrock für die Marktschwankungen mitverantwortlich. Da sie immer dann kaufen und verkaufen, wenn andere das auch tun, verstärken sie Herdentrieb und die Marktschwankungen.
Bankenvertreter analysieren nicht richtig
Hildebrand sagte darauf: «Ich habe in den vergangenen Jahren gelernt, dass man nicht immer auf das Gejammer den Bankenvertreter hören sollte.». Die Banken würden die Märkte falsch lesen. Denn die grössten Schwankungen träten in jenen Märkten auf, in den die Liquidität besonders hoch sei, so der Vizechef von Blackrock, wo er die Grosskunden betreut.
Es mangelt gemäss Hildebrand ganz offensichtlich nicht an Marktteilnehmern. «Die Analyse dieser Bankenvertreter scheint mir also sehr kurz gegriffen.» Hingegen sei die enorme Unsicherheit im System der Grund für die Marktschwankungen.
Phase der Austeritätspolitik vorbei
Die extrem lockere Geldpolitik nennt Hildebrand als Ursache, auch den technischen Wandel, Regulierungen, die Umwälzungen in China und die neuen Sicherheitsängste wegen der Terroranschläge.
Bezüglich der Auswirkungen des islamistischen Terrors ist sich Hildebrand im übrigen sicher, dass die Staatsausgaben für Sicherheit deutlich steigen werden. Dies verstärke einen bemerkbaren Trend. «Die Phase der Austeritätspolitik ist nun endgültig vorbei,» prophezeit der frühere Notenbanker.
Die Versäumnisse Europas
In weiteren Aussagen zeigt sich eine zunehmend kritische Haltung Hildebrands gegenüber Europa. Den Grund dafür, dass die US-Banken ihre europäischen Konkurrenten abgehängt haben, sieht er in der viel zu zögerlichen Reaktion Europas und seiner Aufsichtsbehörden auf die Finanzkrise.
Europa habe es jahrelang versäumt, die mangelnde Kapitalausstattung der Banken zu beheben. «Man hat es unter den Teppich gekehrt», so Hildebrand, der in seiner Zeit als Nationalbank-Präsident die staatliche Rettung der UBS organisierte.
Parallelen VW und Fifa
Das Ergebnis sei nun, dass Europas Wirtschaft sich viel schlechter entwickle als die amerikanische. Das riesige Problem in Europa sei gewesen, dass die nationale Bankenaufsicht immer sehr eng mit der Politik verbunden gewesen sei. «Dieser Nexus wurde erst jetzt durch die Einführung der europäischen Bankenaufsicht gebrochen», sagt Hildebrand.
Besorgniserregend findet er nun aber die Parallelen, welche sich im Zusammenhang mit dem VW- und dem Fifa-Skandal zeigten. «Was mich schon besorgt, ist das Muster, dass frappantes Fehlverhalten europäischer Firmen immer wieder von amerikanischen Behörden aufgedeckgt wird. Das scheint mir das wahre Problem zu sein.»
Europa habe die Pflicht, an seine Unternehmen die höchsten Ansprüche zu stellen. Dies werde in der langen Frist für das europäische Wachstum positiv sein. «Was hier aber passiert, ist besorgniserregend. Das darf Europa auf Dauer nicht zulassen», warnt Hildebrand.