Sie arbeiten mit einem Team von Professor Schmidhuber aus Lugano zusammen und haben das Joint-Venture Quantenstein gegründet.

Ja. Das Team hat im gesamten Prozess einige wirklich sehr kluge Schritte eingebaut. Diese erlauben es, aus den Rohdaten direkt ein Portfolio zu bauen. Das ist bisher einmalig. Wir ignorieren den Kapitalmarkt komplett.

Im Fussball würden wir eine Mannschaft mit Spielern bauen, die wir noch nie in Aktion gesehen haben und noch nie zusammengespielt haben. Wir wählen allein anhand von Kriterien wie Schussstärke, Zweikampfverhalten, Passgenauigkeit, etc.

Der Einsatz von künstlicher Intelligenz ist in der Finanzwelt noch limitiert. Was sind die nächsten Entwicklungen?

Es wird sich alles auf die Verfügbarkeit und Verarbeitung von Daten konzentrieren. Wir zum Beispiel nutzen leicht verfügbare Daten wie Unternehmensbilanzen. Daneben gibt es die Welt der Rohdaten, ein ungeheurer Schatz bislang unangetasteter Informationen.

«Es gibt inzwischen Satelliten, die Parkplätze von McDonald's-Restaurants beobachten»

Ein Beispiel: Es gibt inzwischen Satelliten, die Parkplätze von McDonald's-Restaurants beobachten, woraus sich täglich genaue Umsatzzahlen errechnen lassen. Wenn Sie diese Daten in Ihre Analyse einfliessen lassen, haben Sie einen riesigen Informationsvorsprung. Das ist nur ein einziges Beispiel.

Wenn ich nun davon ausgehe, dass in den kommenden Jahren ungeheure Datenmengen in immer leistungsstärkeren Computern verarbeitet werden können, stehe ich im Vergleich zu den Maschinen irgendwann hilflos da.

Das ist angesichts Ihrer bisherigen Anwendungen und Erfahrungen im Einsatz von künstlicher Intelligenz eigentlich keine Zukunftsmusik mehr.

Wir stehen am Anfang einer immensen Entwicklung, in welcher die Maschinen immer mehr wesentliche Entscheidungen treffen werden.

Es wird ein technologisches Aufrüsten geben. Wohin führt das?

Ich vermute, dass einige Grossunternehmen den Datenpool unter sich ausmachen werden. Das heisst, es wird einen Wettbewerb unter den grossen Datenkraken geben und einige wenige Systeme, die gegeneinander ankämpfen. Und schliesslich stellt sich die Frage, ob es irgendwann diesen einen Computer gibt, der alles entscheidet.

Wird es ihn geben?

Ich hoffe nicht. Aber die Datenhoheit wird sicher auf wenige grosse Wettbewerber verteilt werden.

Wie stehen da Ihre Chancen noch mitzutun?

Das werden wir sehen. Klar ist aber, dass immense Summen in die Entwicklung von Systemen mit künstlicher Intelligenz gesteckt werden und dieser Wettbewerb von grossen Playern wie Blackrock oder dem Hedgefonds Bridgewater gestaltet werden wird.

Was sind die nächsten Schritte bei Acatis?

Bislang arbeiten unsere Computer mit den Daten aus Unternehmensbilanzen. Wir werden als nächstes auch andere zugängliche Texte und Materialien zu Unternehmen in den Computer füttern. Wir sprechen von einer ungeheuren Ausweitung der Datenmenge.

Sie betreten Neuland. Gleichzeitig haben Sie Verantwortung gegenüber Ihren Kunden. Wie gehen Sie damit um?

Für den jetzt geplanten Fonds etablieren wir eine sogenannte Patentranche. Das heisst, etwa 20 Investoren geben 2 bis 5 Millionen Euro. Wir können die Entwicklung des Fonds beobachten und auch daraus lernen. Aber nach neun Monaten wollen wir den Fonds für das Publikum öffnen.

Sie experimentieren nicht lange herum.

Das System und Anwendungen sind bereits in verschiedenen Entwicklungsschritten geprüft. Ich habe vor einiger Zeit die Schiffstagebücher von Christopher Columbus gelesen. Er hätte ja auch nur Pläne schmieden können, ohne Amerika zu entdecken.

Aber er hat sich gesagt: Ich lasse die Reise finanzieren, mache einen Gewinnteilungsvertrag mit dem spanischen König und dann segle ich los. Wenn ich es nicht tue, werde ich es nie erfahren.


Hendrik Leber ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der Acatis Investment in Frankfurt, die das Finanzmagazin «Private Banker» kürzlich zur besten Fonds-Boutique des Jahres 2016 wählte. Der Finanzen Verlag hat Leber zudem mit dem Titel «Fondsmanager des Jahres» ausgezeichnet.

Der 60-Jährige hat Acatis 1994 gegründet und verfolgt einen Value-Ansatz wie Warren Buffett oder Benjamin Graham. Acatis verwaltet 3,7 Milliarden Euro und vertreibt Fonds auch in der Schweiz, Liechtenstein, Österreich, Frankreich, Spanien, in den Beneluxländern sowie in Grossbritannien. Mit seiner Research-Firma ist Leber im appenzellischen Walzenhausen ansässig, wo er auch lebt. Leber hat an der Hochschule St. Gallen promoviert und einen MBA von der Syracuse University.