Das Bundesamt für Gesundheit, BAG, prüft die Solvabilität der beaufsichtigten Krankenversicherer. Zwei Gesellschaften fallen beim KVG-Solvenztest 2021 durch. Ein früherer Finma-Chef sitzt im Verwaltungsrat der betroffenen Krankenkassen-Gruppe.
Die Informationen sind auf der Webseite des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) sehr gut versteckt. Eine Medienmitteilung sucht man ebenfalls vergeblich. Doch in der Zusammenstellung der Resultate des KVG-Solvenztests 2021 stechen die Werte von unter 100 Prozent dennoch ins Auge.
Die beiden Krankenkassen Sanagate und Arcosana weisen Solvenzwerte von 87 beziehungsweise 97 Prozent auf. Beide Gesellschaften gehören zur CSS-Gruppe. Eine Solvenzquote von unter 100 Prozent bedeutet, dass die vorhandenen Reserven die Mindestanforderungen des BAG nicht mehr erfüllen.
Neue Vorgehensweise
finews.ch sprach die Aufsichtsbehörde auf die Missstände an. Das BAG erklärte, dass es keine Auskünfte über einzelne Versicherer geben wolle. Dies ist eine neue Vorgehensweise, denn früher äusserte sich das BAG sehr wohl zu einzelnen Versicherern.
Die publizierte Solvenzquote sei nur eine Momentaufnahme, die sich auf das laufende Jahr bezieht, hiess es vom BAG allgemein. Die Solvenz sei lediglich ein Indikator für die Aufsicht und unterliege auch Kontrollen während des Jahres, hiess es gegenüber finews.ch.
Peitsche auspacken
Die Risikosituation eines Krankenversicherer könne im zeitlichen Verlauf schwanken und ein unterschreiten der gesetzlich vorgeschriebenen Mindesthöhe der Reserven könne daher auftreten, erklärte das BAG weiter. Die Versicherer müssten Änderungen ihrer Risikosituation an die Aufsicht melden und gegebenenfalls Massnahmen darlegen.
Das BAG könnte aber auch quasi die Peitsche auspacken: Ohne sich auf die konkreten insolventen Gesellschaften zu beziehen, dürfte das BAG zur Wahrung der Versicherteninteressen beispielsweise beim Nicht-Bestehen des Solvenztests ein engmaschiges Reporting verlangen, Prämienerhöhungen anordnen, den Abschluss eines Rückversicherungsvertrages oder die Übertragung des Versicherungsbestandes aufzwingen, hiess es diesbezüglich von der Krankenversicherungsaufsicht.
Missstände bestätigt
Das BAG gibt obendrein zu bedenken, dass Solvenzquoten im KVG-Bereich, etwa im Gegensatz zur Lebensversicherung, eine höhere Volatilität aufweisen. Dies hänge mit der jährlichen Wechselmöglichkeit in der Grundversicherung sowie dem Annahmezwang zusammen.
Die CSS-Gruppe bestätigt gegenüber finews.ch die Missstände bei ihren Gruppengesellschaften. Allerdings, so eine Mediensprecherin, werde eine ausreichende Solvabilität ab 1. Januar 2022 wieder hergestellt.
Das Unternehmen fusioniert Grundversicherungsgesellschaften im Konzern und hatte dies im September bekanntgegeben – ohne aber auf den Umstand der fehlenden Solvenz hinzuweisen. Die Zusammenführung ermöglicht es offenbar, sich dem Problem der nicht ausreichenden Solvabilität zu entledigen.
Brisante Angelegenheit
Die CSS führte weiter aus, dass neben der Fusion keine weiteren Massnahmen zur Stabilisierung der Gesellschaften geplant seien. Die Gruppe habe aber noch im November 2020 die Aufsichtsbehörde über die Gefährdung der Solvenz informiert, weil eine starke Bestandszunahme verzeichnet worden sei. Das BAG hat da offenbar nicht sofort etwas unternommen und ein Abrutschen in die Unterdeckung hingenommen.
In den aktuellen Jahresabschlüssen der Einzelgesellschaften sowie der CSS-Gruppe und im jeweiligen Geschäftsausblick auf 2021 findet sich bezüglich der Schieflagen kein Wort.
Die CSS legt Wert auf die Feststellung, dass die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaften jederzeit gewährleistet gewesen sei.
Bei Schieflagen
Für die Krankenkasse Sanagate ist die ganze Angelegenheit ohnehin brisant, denn die Quote von lediglich 87 Prozent bei der Solvenz wird nur erreicht, wenn die Krankenkasse eine Kapitalerhöhung von 12,7 Millionen Franken berücksichtigt.
Diese hatte das BAG aber untersagt, weil es in der Grundversicherung keine externen Finanzierungsquellen geben darf und sogar vor dem Bundesverwaltungsgericht im Juni recht bekommen. In der Grundversicherung dürfen bei Schieflagen nur die Prämien erhöht beziehungsweise Risiken abgebaut werden.
In Absprache mit dem BAG
Durch die Fusion übernimmt die Arcosana alle Rechte und Pflichten der Sanagate, demzufolge auch die Verpflichtung für die Rückzahlung der 12,7 Millionen Franken. In Absprache mit dem BAG habe sich die CSS darauf geeinigt, dass die Arcosana die Rückzahlung nach der Fusion im ersten Quartal 2022 vornehmen werde, teilte die Krankenkassengruppe mit.
Damit die Solvabilität von den zwei Fusslahmen aber nicht weiter abdriftet, muss die CSS einen weiteren Grundversicherer der Gruppe in die ganze Fusions-Transaktion einbeziehen.
Krankenkassen mit Super-Resultaten
Und wenn dann die Politik noch wie aktuell fordert, Reserven in der Grundversicherung abzubauen, kann eine Krankenkasse lediglich die Prämien für die Zukunft knapper kalkulieren oder den Versicherten Ausgleichsbeträge entrichten. Allerdings muss der Krankenversicherer dabei stets den KVG-Solvenztest bestehen.
Schaut man auf die Liste der Resultate des KVG-Solvenztests 2021 so fallen aber neben den Schlusslichtern noch zwei weitere Umstände auf. Einige Krankenkassen kommen bei der Untersuchung nämlich locker auf Super-Resultate von über 600 Prozent (Krankenkasse Visperterminen), über 400 Prozent (Bildende KünstlerInnen, KSM Metallbaurfirmen) oder über 300 Prozent (Moove Sympany, Sumiswalder, Stoffel, AMB).
Ex-Finma-Chef im CSS-Verwaltungsrat
Dies lässt die Resultate von Sanagate mit ihren fast 100'00 Versicherten und von Arcosana mit ihren rund 333'000 Versicherten bei der CSS-Gruppe in noch miserablerem Licht erscheinen.
Schliesslich sitzt bei der CSS auch der ehemalige Direktor der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht Finma und aktuelle Chief Risk Officer des Rückversicherers Swiss Re, Patrick Raaflaub, im Verwaltungsrat.
Die Bauern fehlen
Die zweite Auffälligkeit ist, dass eine Gesellschaft der in der Schweiz zugelassenen Krankenkassen im KVG-Solvenztest gar nicht aufgeführt ist. Es handelt sich laut Recherchen von finews.ch um Fenaco und das Fehlen der Mitgliedsgenossenschaften der Bauern auf der Solvenzliste wirft weitere Fragen auf. Laut dem BAG sollen sie gar keinen Stresstest für 2021 eingereicht haben und wollen ihre Tätigkeit einstellen. Und da äussert sich die Aufsichtsbehörde dann plötzlich doch zu einer einzelnen Krankenkasse.