Bundesrat Ignazio Cassis strebt eine stärker vernetzte Aussenpolitik an, die auch den nationalen Akteuren Rechnung trägt. Im Interview mit finews.ch erklärt er zudem, welches Verhältnis er persönlich zu Banken hat. 

Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) hat im vergangenen Juli unter der Ägide von Bundesrat Ignazio Cassis die «Vision für die Schweizer Aussenpolitik 2028» (AVIS28) publiziert. Es ist das erste Mal, dass eine Bundesbehörde ein solches Strategiepapier publizierte und es dabei auch der Öffentlichkeit zugänglich machte. Die AVIS28 sieht eine verstärkte Integration der Wirtschaftspolitik in schweizerische Aussenpolitik. Was das konkret heisst, beantwortete Aussenminister Ignazio Cassis in einem exklusiven Interview mit finews.ch

Herr Bundesrat Cassis, die AVIS28 plädiert in der Aussenpolitik für einen «Whole-of-Switzerland»-Ansatz. Was muss man sich darunter vorstellen?

Eine solide und wirksame Aussenpolitik muss auch der Haltung der nationalen Akteure Rechnung tragen, das heisst der ganzen Schweiz – Bundesrat, Parlament, Kantone, Wissenschaft und Think Tanks, internationales Genf, NGOs und Bevölkerung. Ich habe es oft gesagt: Aussenpolitik ist Innenpolitik! Man muss beobachten, was im Land geschieht, und darauf Rücksicht nehmen.

«Auf diese Weise streben wir eine fokussiertere, vernetztere und agilere Aussenpolitik an»

Man muss aber auch erklären, was man macht, damit man besser verstanden und unterstützt wird. Aussenpolitik muss heutzutage auch innenpolitisch getragen werden. Das ist das Ziel des AVIS-Prozesses: den Dialog lancieren und ausweiten, alle Ansprechgruppen involvieren und ihre Meinungen und Anliegen integrieren.

Auf diese Weise streben wir eine fokussiertere, vernetztere und agilere Aussenpolitik an, die möglich macht, uns den Herausforderungen der Zeit zu stellen.

In der Neuausrichtung der schweizerischen Aussenpolitik rückt die «Wirtschaft» stärker in den Fokus. Warum?

Aussenwirtschaftspolitik ist seit jeher Bestandteil der Aussenpolitik. Das Aussennetz nimmt hier wichtige Aufgaben war. Wir haben weltweit Vertretungen, die zur Visibilität der Schweiz beitragen. Sie fungieren als Plattformen, die über die Produkte, das Fachwissen und die Innovationskraft der Schweiz informieren. Oft sind unsere Vertretungen Ansprechstelle für Unternehmen. Sie sind eine wichtige Schnittstelle für die Wirtschaft.

«Die Wiedereröffnung eines Schweizer Generalkonsulats in Chicago ist ein gutes Beispiel für diese Ausrichtung»

Die technologischen Umwälzungen, wie auch die wachsenden weltpolitischen Spannungen, stellen die Wirtschaft zum Teil vor grosse Herausforderungen: Der Konkurrenzkampf wird härter, Marktzugänge schwieriger. Wir sind uns dieser Herausforderungen bewusst und berücksichtigen sie in unseren aussenpolitischen Überlegungen.

Die Wiedereröffnung eines Schweizer Generalkonsulats in Chicago vor einem Monat, in einer wirtschaftlich boomenden Gegend der USA, ist ein gutes Beispiel für diese Ausrichtung.

Inwiefern fliessen in die Aussenpolitik auch Elemente ein, die in der Wirtschaftswelt für Disruption sorgen, wie Technologie, Medien oder Kommunikation?

Neue Technologien werden in den kommenden Jahren zum wohl wichtigsten Treiber von Wandel. Wie können wir uns darauf einstellen?

«Wie die Schweiz im Ausland wahrgenommen wird, beeinflusst ihre Handlungsmöglichkeiten»

Die Frage ist berechtigt und ist auch ein Ziel von AVIS28: die Welt von morgen erahnen und unsere Vorstellungen formulieren. Für die bessere Verschränkung von Aussen- und Innenpolitik ist Kommunikation unerlässlich.

Auf der einen Seite geht es darum, die Aussenpolitik im Innern besser abzustützen, indem sie verständlich vermittelt und erklärt wird. Auf der anderen Seite gewinnt Kommunikation als Instrument der aussenpolitischen Interessenwahrung an Bedeutung. Wie die Schweiz im Ausland wahrgenommen wird, beeinflusst ihre Handlungsmöglichkeiten und ihre Attraktivität als Lebensraum und Wirtschaftsstandort.

Welchen Stellenwert hat der Schweizer Finanzplatz in der Positionierung der schweizerischen Aussenpolitik?

Die Internationale Zusammenarbeit der Schweiz (IZA) setzt für eine nachhaltige Entwicklung vermehrt auf die Innovationskraft und Expertise des Privatsektors. Sie sollte und wird neue Modelle für nachhaltige Finanzierung testen.

Sustainable Finance, also die Integration von Umwelt-, Sozial- und Gouvernanzkriterien in Finanzierungs- und Investitionsentscheide, verbessert die Realisierungschancen der Agenda 2030, zu der sich die Schweiz gegenüber der internationalen Gemeinschaft verpflichtet hat. Wir müssen unsere Kräfte jetzt bündeln, und der Finanzplatz Schweiz kann – und sollte – hier eine Führungsrolle übernehmen.

«Wenn die Banken in Schwierigkeiten geraten, hat das besorgniserregende Auswirkungen auf das ganze Land»

Um die Bedeutung des Finanzplatzes in der Aussenpolitik zu betonen, hat der Bundesrat im Rahmen seines Berichts zur Finanzmarktpolitik (Oktober 2016) die Wahrung und Verbesserung des Marktzuganges für Schweizer Finanzdienstleister zudem als eine der Prioritäten festgelegt.

Welches Verhältnis haben Sie persönlich zu den Schweizer Banken?

Ich vertraue ihnen mein Geld bedenkenlos an. Aber im Ernst: Die Banken (und Versicherungen) spielen eine wichtige Rolle für die Wertschöpfung der Schweiz und haben eine grosse Bedeutung als Arbeitgeber und Steuerzahler. Die Schweiz ist so stark, wie ihre Banken es sind. Wenn sie in Schwierigkeiten geraten, hat das besorgniserregende Auswirkungen auf das ganze Land.

«Mir ist es wichtig, dass sich eine Schweizer Bank zu Schweizer Werten bekennt»

Damit ich mich bei einer Schweizer Bank wohl fühle, ist mir weiter wichtig, dass sie sich zu Schweizer Werten bekennt und diese gegen aussen auch vertritt. Sie sollte darüber hinaus ihre Corporate Social Responsibility klar kommunizieren und vorleben. Zudem wünsche ich mir, dass die Banken sich aktiv im gesellschaftlichen Leben der direkten Demokratie engagiert, zum Beispiel indem sie bei Entscheidungsfindungs-Prozessen der Politik konstruktiv beitragen.

Ich schätze es auch, wenn eine Schweizer Bank einfach und klar über ihre Dienstleistungen im Internet orientiert. Das E-Banking muss benutzerfreundlich und vor allem sicher sein. Bei anspruchsvolleren Themen wie Hypotheken- oder Anlagegeschäften lege ich natürlich Wert auf eine kompetente persönliche Beratung, die auf meine Bedürfnisse eingeht.


Der 58-jährige Ignazio Cassis wurde am 20. September 2017 von der Vereinigten Bundesversammlung in den Bundesrat gewählt. Der FDP-Politiker übernahm seine Funktion an der Spitze des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) am 1. November 2017. Vor seiner Wahl in den Bundesrat war der promovierte Mediziner während zweier Jahre Präsident der Bundeshaus-Fraktion der FDP – Die Liberalen, der er seit seiner Wahl in den Nationalrat 2007 angehörte. Seine Spezialisierung als Arzt für innere Medizin sowie Prävention und Gesundheitswesen schloss Cassis 1998 ab. Zuvor hatte er 1996 an der Universität Genf einen Master in Gesundheitswesen erlangt. Das Studium der Humanmedizin an der Universität Zürich schloss er 1988 ab.