Gezähmter Sangiovese

Um das Jahr 1970 hatten die drei heutigen Platzhirsche unter den Super-Toskanern die Eingebung, mit den Sorten zu variieren: «Als erster brach Piero Antinori die Härte des Sangioveses durch die Beigabe von Cabernet Sauvignon für den ‹Tignanello›.» Gleichzeitig brachte Marchese Mario Incisa della Rocchetta die Sorten Cabernet Sauvignon und Cabernet Franc nach Bolgheri – inspiriert vom Château Lafite-Rothschild.

In den 80er-Jahren kam «Ornellaia» dazu, eine Kreation von Marchese Lodovico Antinori, dem Bordeaux-Blend folgend. Heute gehört «Ornellaia» den Marchesi de' Frescobaldi.

21 Franken für den ersten Jahrgang

Die ersten 1’200 Flaschen «Tignanello» und «Sassicaia» bestellte Bindella um das Jahr 1976. «Völlig unbekannt holten wir sie in die Schweiz.» Seinem Vater sagte der heutige Senior: «Wir müssen diese Weine für 20 oder 21 Franken pro Flasche verkaufen.» Sein Vater war überzeugt, dass niemand für einen italienischen Wein solche Preise bezahlen würde: «Bist du verrückt?» 

Rudi Bindella senior verschaffte den Weinen einen Auftritt an der (immer noch existierenden) Weinmesse Expovina: «In drei Tagen war alles verkauft.» 

Zuverlässige Umsatzträger

Die drei «Super-Tuscans», also «Tignanello», «Sassicaia» und «Ornellaia», wurden zum weltumspannenden Erfolg und zum zuverlässigen Umsatzträger für Bindellas Weinsparte. Kaum ein Wirtshaus, das etwas auf sich hält, kann es sich heute erlauben, auf das Dreigestirn integral zu verzichten. «Die fantastische Assemblage, die Qualitätspflege, verbunden mit dem guten Marketing: Diese Weine sind wirklich exzellent», sagt Bindella senior.

Aber die Assoziierung mit diesen Top-Produzenten bedeute auch einen konstanten Druck. «Wir sind unter ständiger Beobachtung, ob wir unsere Sache gut machen.»

Nummer 1 bei «Tignanello»

Was den «Tignanello» anbelangt, so sei die Schweiz beim Pro-Kopf-Konsum der weltweit wichtigste Markt. «In absoluten Umsatzzahlen sind wir Nummer 4», ergänzt der Junior.

Insofern dürfte es kein Problem sein, für die Schweiz grosszügige Kontingente zu sichern? «Ganz im Gegenteil», antworten die beiden Bindellas wie aus einer Kehle. Es sei ein jährlicher Kampf. Die Zuteilung sei auch schon gekürzt worden.

«Ristorante Ornellaia»: Aufbruch zu den Sternen

Und etwas nachdenklich fügt Vater Bindella an: «Für die Positionierung des Produkts ist es sogar eher gut, wenn wir zu wenig bekommen.» Die Produzenten müssten aber mittlerweile aufpassen, dass sie bei den Preisen nicht überdrehen. «Wenn sich der Konsument einmal abgewendet hat, dann ist es schwierig, ihn zurückzuholen.»

Nun wollen wir noch etwas über das «Ristorante Ornellaia» plaudern, das die Bindellas in einem Joint Venture mit der Familie Frescobaldi im Jahr 2018 an der St. Annagasse, im ehemaligen Volksbankgebäude, aus der Taufe hoben. Die Ambition war klar: Punkte- und Sterne-Küche. «Italienische Gastfreundschaft von der Pizzeria bis zum Gourmet-Lokal», sagt Rudi Bindella Junior. «Wir wollten schauen, ob wir auch Sterneküche können.»

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Früher Volksbank, jetzt Fine Dining: Bindella-Lokal «Ornellaia» in der St. Annagasse. (Bild: zVg)

Giuseppe d'Errico, Antonio Colaianni

Was die Auszeichnungen anbelangt, ging das Konzept auf. Der erste Chef im «Ornellaia» war Giuseppe D’Errico, ein italienischer, in Frankreich aufgewachsener Koch, den die Bindellas von der «Maison Troisgros» (drei Michelin-Sterne) in der Nähe von Lyon gewinnen konnten. Praktisch über Nacht brachte er das Zürcher Restaurant auf 17 Gault-Millau-Punkte und einen Michelin-Stern. Heute kocht er in «La Madernassa» in Alba, Piemont.

Seine Nachfolge zwischen Herbst 2020 und Frühjahr 2024 trat der Zürcher Publikumsliebling Antonio Colaianni an, der mittlerweile mit eigenem Restaurant in Zürich selbständig ist (finews.ch berichtete). Dieser verteidigte die Punkte und Sterne souverän.

Ein Problem der Kosten

Die Krux, erklären die beiden Bindellas, sei die teure Location in Verbindung mit der begrenzten Kapazität gewesen: Maximal 50 Plätze bei Chefköchen und einem Publikum, die ein Maximum an kulinarischem Raffinement und aufwendigen Services gewohnt seien. «Vom Umsatz war das sehr gut, aber die Kosten liefen aus dem Ruder», sagt Rudi Bindella junior.

Der Vater ergänzt unverblümt: «Wir haben es vier Jahre lang probiert und mussten erkennen, dass es in dieser Form nicht funktioniert. Das ist etwas für Leute, welche die Möglichkeit haben, es querzusubventionieren.» Sterneköche seien kompromisslos, was das Ergebnis auf dem Teller anbelange – das Kostenbewusstsein sei wenig ausgeprägt. Auch vonseiten des Investitionspartners Frescobaldi kam Druck: «Ihr müsst etwas machen!»

Gelungener Turnaround

Die Lösung? Ein Konzept, das immer noch sehr ambitioniert ist, etwas höher angesiedelt als das «Ristorante Bindella». Aber gleichzeitig etwas einfacher und günstiger beim Apparat als die Sterneküche. Diesem neuen Ansatz verlieh der Gault Millau vor kurzem 15 Punkte. «Wir haben hoch gezielt und sind immer noch recht hoch gelandet», sagt Rudi Bindella junior. «Jetzt läuft es auch betriebswirtschaftlich hervorragend.»

Die aktuellen Prioritäten des Familienunternehmens Bindella beschreiben die beiden Rudis mit der Nüchternheit eines Gipsers: Der Handwerksbetrieb mit Malerei und Gipserei müsse profitabler werden; bei den Restaurants müsse man fallweise dort eingreifen, wo es nicht so rund laufe (nächstes Jahr wird das «Santa Lucia» in Altstetten neu eröffnet), und expandieren, wenn sich irgendwo in der Schweiz eine Top-Gelegenheit biete.

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Gutgelaunte Italianità: Hauptsitz des Unternehmens in Zürich-Höngg. (Bild: zVg)

Paradies der «Tenuta Vallocaia»

Und beim Thema Wein? Da leuchten die Augen: Vor einigen Jahren haben die Bindellas ihre eigene «Tenuta Vallocaia» in Montepulciano für das Publikum geöffnet, in Nachbarschaft zur Prestigelage des Bolgheri. Im internationalen Massstab handelt es sich bei der rund 250’000 Flaschen umfassenden Produktion um eine mittlere Grösse. «Die Grösse bleibt relativ, die Qualität dagegen absolut. Vallocaia ist unser kleines Paradies. Und der Weinbau, den wir seit über 60 Jahren betreiben, ist der Schlüssel zum Verständnis des Weines», sagt Rudi Bindella senior.

6’000 Besucher verzeichnet das Weingut dieses Jahr. Derzeit ist das Unternehmen dabei, diese eigenen Weine in die gehobene Schweizer Gastronomie einzuführen. «Die Modernisierung der Produktion hat auch bei der Qualität einen Quantensprung bewirkt», sagt Vater Bindella. Im Gegensatz zu anderen Super-Toskanern, die den Sangiovese mit Cabernet-Sorten gefällig machen, füllt ihn Bindella sortenrein ab.

«Vergaia» zusammen mit Philipp Hildebrand

Bald, so verraten es die beiden italo-schweizerischen Unternehmer, werde ein Wein namens «Vergaia» auf den Markt kommen – ein Bijou-Weingut in Bibbona, vom Blackrock-Spitzenmann Philipp Hildebrand initiiert, das jetzt im freundschaftlichen Verbund mit der Familie Bindella weiterentwickelt wird.

An dieser Stelle endet unser Rendezvous mit Rudi Bindella junior und senior. Sie müssen weiter. Zu einem Banktermin nach Basel.