Die 120-Millionen-Wette des Jan Schoch

Stichwort Mitarbeiter: Einige Zeitlang tobte ein wüster, juristisch und öffentlich ausgetragener Streit zwischen Schoch und dem früheren Geschäftsführer-Ehepaar. Es ging um Lohnforderungen. Ein unschöner Missklang zur bevorstehenden Eröffnung des «Huus Quell». Der Prozess sei mittlerweile an dem Punkt, der zu erwarten war, erklärt Jan Schoch: Die seinerseits grundsätzlich nie bestrittenen offenen Saläre würden bezahlt. «Allerdings werden die zu Unrecht geltend gemachten Überstunden nicht vergütet. Weder waren diese Überstunden für einen Geschäftsführer mit 240‘000 Franken Lohn und Entschädigung berechtigt, noch war die Kündigung missbräuchlich. In diesen elementaren Punkten ist uns das Gericht zu 100 Prozent gefolgt.» Er sei keiner, der Schweigegeld zahle.

Neuer Hoteldirektor 

Von der arbeitsrechtlichen Auseinandersetzung ist nichts zu spüren. Im Gegenteil: Bei unserem Besuch ist der Umgang überall freundlich. Konzentriert wird auf das grosse Datum hingearbeitet. Seit Anfang 2024 amtiert der frühere zweite Mann im Chedi, Tim-Martin Weber, bei Schoch als General Manager. «Er hat das Chedi in die schwarzen Zahlen geführt», erklärt der Eigentümer, sichtlich stolz auf seine Eroberung. In der schweizerischen Hotellerie ist Weber als ebenso beflissener wie akribischer und ehrgeiziger Profi für das Luxussegment bekannt.

Schoch und Weber haben um sich ein beachtliches Who is Who an Spezialisten aus bekannten Häusern wie dem Badrutt’s Palace, dem Grand Resort Bad Ragaz oder dem Chedi Andermatt versammelt. Kombiniert bringt das Team 200 Jahre Erfahrung in anderen «Leading Hotels of the World» mit.

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Skizze der «Botanicum Bar» im neuen «Huus Quell». (Bild: zVg)

Grösster Weinkeller der Schweiz

Zu den Glanzpunkten des neuen «Huus Quell» zählt ein Weinkeller auf 350 Quadratmetern – der grösste in einem Schweizer Hotel – mit über 700 verschiedenen Champagnern. Für die Bestückung desselben ist kein Geringerer als Hans Rhyner verantwortlich, der zuvor zwanzig Jahre lang die Wein-Auswahl des benachbarten «Gupf» unter Eigentümer Migg Eberle zu Weltruhm aufrüstete. Rhyners Auftrag sei es, sagt Jan Schoch, «zahlreiche neue Trouvaillen ins Sortiment aufzunehmen». Man setzte bewusst nicht primär auf überteuerte Prestige-Weine.

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Von Hans Rhyner ausgestattet: Skizze des neuen Weinkellers. (Bild: zVg)

Jan Schochs Handy vibriert. Beobachtet er gerade die neuesten Zuckungen an den Finanzmärkten? «Ich bin hier voll eingespannt, da bleibt kein Raum für Daytrading.» Überhaupt sieht er die Aktienmärkte derzeit als überbewertet an. «Die jüngsten Turbulenzen um die Künstliche Intelligenz zeigen, dass alles fragiler ist, als man annahm.»

Rückblick auf Leonteq

Auf seine zehnjährige Wirkungszeit bei Leonteq sieht er mit gemischten Gefühlen zurück. Einerseits sei er «sehr dankbar für den Erfolg, den ich mit meinem Team haben durfte». Andererseits seien die Umstände seines vom damaligen Verwaltungsratspräsidenten Pierin Vincenz eingefädelten Abgangs natürlich unerfreulich gewesen. Damals seien die Weichen falsch gestellt worden. «Wie sich die Firma seither entwickelt hat, tut mir von aussen betrachtet etwas weh.»

Aber zurück ins Hier und Jetzt: Bei einem Rundgang über die Baustelle macht sich finews.ch ein Bild vom neuen «Huus Quell». Zwischen Plastikplanen, herunterhängenden Verkabelungen und dem Lärm der Baumaschinen lassen sich erst schemenhaft die Umrisse des Vorhabens erkennen.

Spa mit High-Tech-Anspruch

In den grosszügigen Untergeschossen sind der bereits erwähnte Weinkeller – die Gäste dürfen sich auf Degustationen in einem überdimensionierten Holzfass freuen – sowie der Spa-Bereich untergebracht.

Mit 2’200 Quadratmetern positioniert sich das Spa des «Huus Quell» flächenmässig im oberen Mittelfeld der Schweizer Luxushotels. Was die Dichte und Modernität an Angeboten anbelangt, dürfte es jedoch einzigartig sein. Sein Wellness-Reich hat Jan Schoch dem Konzept des «L3» gewidmet: Long-lasting Lifestyle. «Es geht darum, gesund älter zu werden.» Dazu gehört neben den obligaten Pools, Behandlungsräumen, Dampfbad und Sauna insbesondere ein High-Tech-Konglomerat, das unter anderem eine Kältekammer mit minus 110 Grad, eine Sauerstoffkammer, Infrarotsaunen mit ionisierter Luft als auch Biohacking bietet. «Das sind alles hochmoderne Maschinen, die auch meiner anhaltenden Freude an der Technik geschuldet sind.»

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Inmitten des Appenzell: Aussenpool des Spa. (Bild: zVg)

Eine Bar mit Ambitionen

Besondere Erwartungen sind auch an die neue Bar geknüpft. «Diese könnte ebenso gut in New York oder Singapur stehen», sagt Jan Schoch. Differenzierende Merkmale sind der eigene hängende Garten, in dem bald rund 120 Kräuter für die Zubereitung anspruchsvoller Cocktails drapiert werden, sowie die Tatsache, dass der Bartresen sich inmitten des Raumes, umgeben von Gästen, befindet.

Zum Schluss besuchen wir die, ebenfalls noch unfertigen, Hotelzimmer, die im «Huus Quell» zwischen 24 und 60 Quadratmeter umfassen werden. In den übrigen drei Häusern, die dieses und nächstes Jahr fertiggestellt werden sollen, kommen die Eigentumswohnungen und, auch dank deren Rückmiete durch das Haus, rund 45 Suiten mit einer Durchschnittsgrösse von 100 Quadratmetern dazu. «Auf den Suiten liegt in modernen Luxus-Wellnesshotels das Hauptaugenmerk», so Jan Schoch.

Mischung aus Feng-Shui und Appenzell

Die Innenarchitektur der Zimmer stellt eine Mischung aus Feng-Shui-Grundsätzen, einer privaten Leidenschaft Jan Schochs, und aus tiefer regionaler Verwurzelung dar.

Alle Hotelzimmer sind fast vollständig mit massivem Appenzeller Mondholz und speziell für das Haus angefertigten Textilien des St. Galler Premium-Produzenten Jakob Schläpfer verkleidet, der für die besten Modemarken der Welt produziert.

Holz als verbindendes Element

Was hat es mit dem Holz auf sich? «Es ist das verbindende Element des Resorts.» Total werden über 9’000 Kubikmeter Holz aus dem Umkreis von 30 Kilometern verbaut. Das ganze Haus, inklusive Boden und Decken besteht ausschliesslich aus Holz und wird von der alten Strickbauweise getragen, selbst die beiden grossen Pools im Dachstock. «Dadurch speichert das Projekt 9’000 Tonnen CO2, was es zum nachhaltigsten Bau weit und breit macht.» Dabei habe man sich an der ursprünglichen Massivholz-Konstruktion mit Stricken und Ecken des Bären orientiert und die Jahrhunderte alte Baukunst wieder aufleben lassen. «Im Rohbau kostet das dreimal mehr als im Betonbau», was den gehobenen Preis, insbesondere der Serviced Apartments, erkläre.

Und noch eine Spezialität des Holzes hebt Schoch hervor: Es handle sich um sogenanntes Mondholz, das nur an bestimmten Tagen im Winter geschlagen werde. Dadurch sei es besonders feuchtigkeitsarm, was dem Problem des Verbiegens unter Temperaturschwankungen entgegenwirkt. Diese Erkenntnisse kommerzialisiert Schoch mit zwei eigens gegründeten Holzbau-Unternehmen, und zwar «erfreulich erfolgreich».

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Keimzelle des Ressorts: der «Bären». (Bild: zVg)

Ruhender Pol in hektischer Welt

Immer akuter wird eine kognitive Schere: Der Unternehmer, der aus zum richtigen Zeitpunkt geschlagenen Holz ein Geschäft machen will und der Appenzell-Innerrhoden als «terra incognita» für den gehobenen Tourismus erschliesst, wachte bis vor acht Jahren über eine Firma, die mit strukturierten Produkten ihr Geld verdient – also der abstraktesten Interpretation der Kapitalmärkte.

In seinem «Appenzeller Huus» sieht Jan Schoch einen Gegenpol zur Digitalisierung mit ihrer theoretisch endlosen Skalierbarkeit. «Schon während meiner Leonteq-Zeit habe ich mir einen solchen gewünscht und daher auch den ‹Bären› gekauft.» Je schnelllebiger und digitaler die Welt werde, desto mehr wolle der Mensch auf der anderen Seite zu den Wurzeln zurückfinden: «Zum Ausgleich brauchen wir das Ursprüngliche, den Kern, das Fassbare.»

Betriebswirtschaftliche Untiefen

Zurück in der «Schmitte», wollen wir uns doch noch etwas in betriebswirtschaftliche Untiefen begeben: Das Appenzellerland ist zwar allgemein als liebenswürdig anerkannt, aber als Standort für die Luxushotellerie hat es sich bis jetzt nicht empfohlen.

Er habe im Rahmen verschiedener Studien diverse Optionen abgewogen, erklärt Jan Schoch: eine Altersresidenz und reine Eigentumswohnungen, zum Beispiel. «Das jetzt realisierte Mischkonzept aus Hotellerie aller Stufen und aus Serviced Apartments hat uns am meisten überzeugt.»

«Geringes finanzielles Risiko»

Gemäss Business-Plan setzt Schoch zu 70 Prozent auf Schweizer Kundschaft. Er ist überzeugt davon, ihr insbesondere in Sachen Wellness ein unwiderstehliches Angebot bieten zu können. Aber auch der an Romantik interessierte Gourmet-Tourist komme auf seine Kosten. «Die Diversifizierung über verschiedene Zielgruppen, Ansprüche und Qualitätsstufen» helfe dem Vorhaben ebenso wie die zusätzliche Abstützung auf die Eigentumswohnungen. «Nachdem die Apartments grösstenteils verkauft sind, ist auch das finanzielle Risiko ziemlich gering.»

Auch das Marketing für internationale Gäste wird hochgefahren: «Wenn Sie einem Ausländer mit dem Wort Schweiz kommen, dann steigen vor dessen innerem Auge Appenzeller Motive auf.»

Jan Schoch quer David Biedert
Zuversichtlich: Unternehmer Jan Schoch. (Bild: David Biedert, zVg)

Bevölkerung macht mit

In seinem Projekt sieht sich Schoch auch von der Öffentlichkeit und Politik unterstützt. Appenzell leide darunter, dass die meisten der jährlich 1,8 Millionen Besucher nicht sehr wertschöpfungsreiche Tagestouristen seien. «Unser Baugesuch wurde innert drei Monaten bewilligt, es gab keine einzige Ansprache.» Dies, obwohl das Projekt für den kleinen Ort in mancherlei Hinsicht natürlich auch eine Belastung sei und es in Appenzell die sogenannte Popularbeschwerde gibt, sprich jeder Einsprache machen kann. «Ich bin dankbar, dass es die Bevölkerung mitträgt.» Sogar die Bewilligung, unter der Kantonsstrasse einen Verbindungsgang zwischen «Huus Bären» und «Huus Löwen» zu graben, hat das «Appenzeller Huus» erhalten – ein schweizweites Unikum.

Die grosse Wette des Appenzellers Jan Schoch ist eine Besinnung des touristischen Publikums auf das Ursprüngliche. Ob sie aufgeht, wird sich weisen. Wie viel Zeit gibt er dem Hotelbetrieb, um profitabel zu werden? Oder anders gefragt: Wo liegt der Cap? Gemäss Businessplan sollen die Hotels in etwa drei Jahren schwarze Zahlen schreiben. 50’000 Gäste will Schoch dann jährlich bewirten. «Aber ich habe einen langen Schnauf.» Sagt er, und legt noch ein paar Holzscheite aufs Cheminée.