Leonteq-Mitgründer Jan Schoch setzt heute andere Prioritäten. Er hat ein mehr als 400-jähriges Haus renoviert, geht öfters barfuss, begegnet der Finanzwelt mit grösserer Gelassenheit und weiss, wie man ein perfektes Wochenende verbringt.
Man neige dazu, die Vergangenheit viel zu schlechter zu sehen als sie wirklich war. Das sagt einer, der in den vergangenen 13 Jahren tatsächlich manche Höhen und Tiefen des Unternehmertums erlebt hat. Wenn also ausgerechnet Jan Schoch den Dalai Lama mit dieser Feststellung zitiert, dann mag darin vielleicht wirklich ein Stückchen Wahrheit liegen.
Der heute 43-jährige Appenzeller Schoch startete 2007 als Wunderkind der Schweizer Finanzbranche, indem er mit der Unterstützung dreier Arbeitskollegen eine Derivate-Boutique aus der Taufe hob, die den hiesigen Markt für Strukturierte Produkte geradezu revolutionierte. Weil der Erfolg so gross war, liess der Börsengang im Oktober 2012 nicht lange auf sich warten, er illustrierte bloss eindrücklich den rasanten Aufstieg des Unternehmens, das alsbald unter dem Namen Leonteq firmierte.
Bewertung in Milliardenhöhe
Was folgte, war eine beispielloser Wachstumsphase, der die Medien, Analysten und Investoren umso begeisterter beiwohnten, je imposanter sie sich entwickelte. Das wiederum liess die Bewertung des Unternehmens zunächst einmal in Milliardenhöhe katapultieren – und verlieh Schoch letztlich so etwas wie eine Aura der Unfehlbarkeit.
Der in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsene Appenzeller – sein Vater war Fernsehtechniker, seine Mutter Coiffeuse, besass bald einmal – zumindest auf dem Papier respektive in Form von Aktien – ein Vermögen in dreistelliger Millionenhöhe.
Doch weil unternehmerischer Erfolg in der Schweiz immer auch etwas Anrüchiges hat und Neider nicht selten sind, waren die Kritiker schnell zur Stelle, als es Leonteq bald einmal nicht mehr gelang, den hohen Wachstumszielen gerecht zu werden. Nicht, dass Schoch und seine Crew keine Fehler begangen hätten, das liegt in der Natur des Unternehmertums. Doch die allmählich aufbrechenden Meinungsdifferenzen unter den Gründungsmitgliedern waren irgendwann nicht mehr zu kitten.
Ganz unten angelangt
Der Rest ist Geschichte, die darin mündete, dass Schoch in einem wüsten Machtkampf mit seinen früheren Weggefährten und dem Leonteq-Verwaltungsrat unter der späteren Führung von Pierin Vincenz seine Funktion als Unternehmenschef genauso verlor wie seine Beteiligung an der von ihm mitgegründeten Leonteq, wie auch finews.ch verschiedentlich darüber berichtet hat.
Dass er nebenbei mit Flynt noch eine Digitalbank für reiche Leute gründen wollte, wurde ihm dann vollends zum Verhängnis und letztlich für seine Gegner ein trifftiger Grund, sich von ihm zu trennen.
Entsprechend brach auch der Kurs der Leonteq-Aktie ein, was das Vermögen des einstigen Wunderkinds bisweilen in Wochenkadenz um mehrere Dutzend Millionen Franken dezimierte. Schoch, den die Schweizer Medien bisweilen mit Elon Musk verglichen hatten, war damit ganz unten angelangt.
Idylle eines Alpaufzugs
Über die vielen Winkelzüge der Beteiligten und über den dramatischen Niedergang des Aktienkurses haben die Medien ausreichend berichtet – zumeist nicht ohne Schoch mit Häme zu überschütten; auch das ein Beweis dafür, dass die Schweiz noch weit davon entfernt ist, das unternehmerische Scheitern als Beweis zu deuten, immerhin etwas versucht zu haben, sondern einen glücklosen Entrepreneur bloss stigmatisiert.
Familiäre Probleme verdüsterten damals Schochs Leben zusätzlich. Irgendwann habe er begonnen, keine Zeitungen mehr zu lesen, und sich auf die paar wenigen Freunde zu besinnen, die ihm über die ganze Zeit treu geblieben waren, erzählt er rückblickend im Gespräch mit finews.ch.
Auf der Alp Soll in den Appenzeller Bergen verbrachte er umso mehr Zeit, oft mit seinen vier Kindern, mit denen er zuvor so wenig zusammen gewesen war. Dabei zeigt er auf seinem Handy spontan ein kurzes Video, das die fast unvorstellbare Idylle eines Alpaufzugs offenbart, die in so krassem Gegensatz zur abstrakten Welt der Finanzen steht, in der Schoch die unternehmerische Bestätigung gesucht hatte.
Nochmals in der Finanzbranche Fuss fassn
Heute wirkt der immer noch sehr jugendlich wirkende Appenzeller erstaunlich versöhnt – mit sich genauso wie mit der Welt. «Ein Milliardenunternehmen zu gründen, das es heute noch gibt und mehr als 500 Leute beschäftigt, ist durchaus ein Erfolg», sagt er. Dass er es vor rund einem Jahr abermals wieder versucht hat, mit einer eigenen Firma in der Finanzbranche Fuss zu fassen, begründet er damit, dass er sich in seinem Alter wirklich noch nicht zur Ruhe setzen könne – und Golf spiele er ohnehin nicht, ergänzt er schmunzelnd.
Die von Zürich aus operierende Gesellschaft Anova Partners entwickelt mit rund einem Dutzend Mitarbeitenden – teilweise ehemaliger Leonteq-Leute – vereinfacht gesagt Risikoüberwachungssysteme für Finanzanlagen, auch für Strukturierte Produkte, wie er sie seinerzeit bei Leonteq lanciert hatte.
Neben dieser neuen Tätigkeit gehört Schochs Zeit noch einer Art Leidenschaft: dem «Bären» (Bild oben) im Appenzeller Dorf Gonten, nur ein paar Autominuten von seinem Wohnort entfernt.
Herr Schoch, wie sind Sie als Finanzfachmann überhaupt Hotelier geworden?
Zum Bären in Gonten hat unsere Familie eine besondere Beziehung. Hier haben meine Eltern geheiratet. Als ich 2014 vernahm, dass das 1601 erbaute Haus und spätere Hotel kurz vor der Schliessung stand, habe ich beschlossen, es mit drei Partnern aus der Region zu kaufen.
Der frühere Credit-Suisse-Verwaltungsratspräsident Hans-Ulrich Doerig hatte zuvor mehrere Millionen in die Renovation investiert. Nach seinem Tod im November 2012 war die weitere Entwicklung des Hotels jedoch zusehends ins Stocken geraten. So habe ich beschlossen, es vor seinem bitteren Ende zu bewahren.
Wie ist es zum heutigen Hotel gekommen?
Im Jahr 2015 haben wir mit dem ersten Umbau begonnen. Zwei Dinge waren mir von Anfang an wichtig: Erstens, das Lokal sollte wieder eine Begegnungsstätte für die Einheimischen werden, was es zuvor nicht mehr gewesen war. Darum baute ich den unteren Teil des Hauses aus und richtete dort die sogenannte Taverne ein, eine gemütliche Beiz. Zweitens wurde mir sehr schnell klar, dass das Hotel mit lediglich zwölf Zimmern unmöglich profitabel sein konnte.
Also habe ich beschlossen, das anliegende Gebäude auszubauen, um dort 13 weitere Zimmer sowie Seminarräume und einen Spa einzurichten. So präsentiert sich das Haus seit wenigen Monaten. Wir haben eine ausgezeichnete Auslastung, selbst jetzt und trotz Corona arbeitet das Hotel profitabel.
Verraten Sie uns fünf Gründe, die Ihr Hotel aussergewöhnlich machen.
Der Bären steht seit Kurzen unter neuer Führung: Jürgen Schmid und Carlo Bet bilden die Küchenleitung. Sie kennen sich seit ihrer gemeinsamen Zeit im Säntispark in Abtwil und im Römerhof in Arbon. Mit seinen 25 frisch renovierten Zimmern im appenzellischen Dekor ist der Bären ein Boutique-Hotel im wahrsten Sinne des Wortes, abseits der Grossstadt-Hektik. Authentisch sind auch die Boxspringbetten mit echten Heuladen am Kopfende.
Das Hotel verfügt über die traditionelle Taverne mit lokalen Gerichten sowie über das Gourmet-Restaurant «Bärestobe» (Bild oben). In seiner früheren Wirkungsstätte, dem Restaurant «Aglio e Olio» in Speicher AR, erreichte Jürgen Schmid mit seiner mediterranen Küche mit alpinem Einfluss übrigens 13 Gault-Millau-Punkte. Im hoteleigenen Weinkeller kann jeder Gast seinen Tropfen selber aussuchen. Das neue Spa in den mehr als 400-jährigen Gemäuern bietet absolute Erholung in einem besonderen Ambiente.
Was war das Verrückteste, das Sie in Ihrem Hotel erlebt haben?
Sie werden sich vorstellen können, dass ein Umbau in einem denkmalgeschützten Haus nicht einfach ist. Wir haben manchen Türrahmen so belassen müssen wie er einst gebaut worden war, genauso wie die imposanten Dachbalken; die Raumhöhen bleiben in manchen Teilen des Hauses nieder, und um die Taverne neu zu bauen, haben wir 120 volle Mulden an Abfall und Unrat wegbringen müssen. Die Steinmauern im Weinkeller (Bild oben) haben wir mit Zahnbürsten bearbeitet.
Was bietet Ihr Hotel für ein perfektes Wochenende zu zweit?
Für frisch Verliebte und verliebt Gebliebene bieten wir ein Arrangement mit diversen Überraschungen. Die Gäste werden dabei mit appenzellischer Gastfreundschaft verwöhnt.
Wir offerieren auch ein Golf-Package mit dem nahgelegenen 18-Loch-Golfcourt. Ab drei Nächten erhalten die Gäste die Appenzeller Ferienkarte, zudem profitieren sie von einer kostenlosen Anreise mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, inklusive einem kostenlosen Gepäcktransport aus der ganzen Schweiz.
Was ist Ihr persönlicher Geheimtipp in der Umgebung?
Die ganze Region ist ein Wanderparadies, das sich mittlerweile auch per Bike oder E-Bike entdecken lässt. Meine persönlichen Favoriten sind der Ortsteil Jakobsbad mit dem Kurhaus, einer Seilbahn und einem Kloster; im Winter auch ein Langlauf-Eldorado; sowie der Barfussweg durch eine Moorlandschaft von Gontenbad nach Jakobsbad.
Was ist Ihre persönliche Devise beim Führen Ihres Hotels?
Mir ist es wichtig, dass – gerade in der Schweiz und in der heutigen Zeit – ein Hotel profitabel geführt werden kann. Dafür, so denke ich, habe ich mit dem Um- und Erweiterungsbau die Voraussetzungen geschaffen. Nun liegt es am Leitungsteam und an allen Mitarbeitenden als Gastgeber für das richtige Ambiente zu sorgen.
Was sind Ihre nächsten Pläne in Ihrem Hotel?
Jetzt geht es darum, dass Hotel bekannter zu machen, als Geheimtipp in einer einzigartigen Region. Das Appenzell besitzt eine faszinierende Geschichte und hat viele Traditionen bewahren können.
Im Hotel selber ist es mir wichtig, dass die Taverne wieder zum Treffpunkt der lokalen Bevölkerung wird, und wir uns unter der Woche als Adresse für kleine, aber massgeschneiderte Seminare mit der besten technischen und digitalen Ausrüstung empfehlen können.
Was war der beste Ratschlag Ihrer Eltern?
Das 3-H-Prinzip! Man soll mit Herz, Humor und Hirn durchs Leben gehen. Ausserdem gaben Sie mir den Ratschlag auf den Weg: «Tue recht und scheue niemanden.» Daran halte ich mich mehr denn je.
Der Bären Gonten wurde 1602 erbaut und ist das älteste Gebäude in Gonten/Appenzell. Seit Frühling 2015, nach einer umfassenden Renovation, präsentiert sich das Drei-Sterne-Superior-Boutiquehotel Bären in neuem Glanz. Seit einigen Jahren steht es im alleinigen Besitz des aus Appenzell stammenden Unternehmers Jan Schoch. Im Jahr 2020 wurde das Traditionshaus um weitere zwölf Junior-Suiten und Zimmer, ein Spa und neue Seminarräumlichkeiten ergänzt. Zwei Gastronomiebetriebe ergänzen das Angebot. Die beiden Küchenchefs Jürgen Schmid und Carlo Bet haben kürzlich die Leitung des Hauses übernommen.