Frankreich hat die früheren Krisen gut überstanden. Seitdem verläuft die Erholung aber schleppend. Wie kommt es, dass Frankreich sich so abhängen lässt, fragt sich Axa-Strategin Christina Böck.
Christina Böck ist ‹CIO Switzerland & Head Solution Strategists Central Europe› bei Axa Investment Managers. Ihre Kolumne für finews.ch erscheint monatlich.
Tatsächlich ist das Problem etwas älter: Schon über die vergangenen zwei Jahrzehnte ist Frankreichs Wettbewerbsfähigkeit laufend geschrumpft, wie uns der freie Fall von Frankreichs Marktanteil am Welthandel von 6,7 Prozent 1990 auf nur noch 3,5 Prozent 2012 zeigt.
Französische Unternehmen sind besonders in Gütern der mittleren bis hohen Technologie aktiv, und hier sind zwei Dinge zu beobachten: Im Preisvergleich sind die französischen Unternehmen auf der Höhe mit ihren Konkurrenten, aber insbesondere in der Innovation hinken französische Firmen der Konkurrenz hinterher.
Gestiegene Lohnstückkosten
So zeigte eine Umfrage 2010, dass in dem Jahr 55 Prozent der französischen Firmen eine Innovation bei ihren Produkten eingeführt hatten – im Vergleich zu 80 Prozent bei deutschen Firmen und 60 Prozent bei den Firmen der 15 EU-Länder.
Dies muss man in den Zusammenhang von schnell steigenden Input-Preisen setzen, denn die Lohnstückkosten sind seit 1990 um 4 Prozent gestiegen. Die Folge: Stark reduzierte Margen und Profite.
Hohe Steuern und Abgaben
Ein weiterer Faktor sind die Steuern und Abgaben: Die vom Arbeitgeber zu entrichtenden Sozialabgaben belaufen sich in Frankreich auf 11,6 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) – im Vergleich zu 9,3 Prozent in Italien und 6,8 Prozent in Deutschland. Die kürzlich entschiedene Senkung dieser Beiträge um 30 Milliarden Euro ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Aber um diese Abgaben auf deutsches Niveau zu bringen, wäre eine Senkung um mindestens 150 Milliarden Euro nötig gewesen.
Auf Unternehmensebene heisst dies, dass die wenigen möglichen Investitionen für Rationalisierung verwendet werden müssen – und nicht für Innovation. Da in den vergangenen 20 Jahren die Lohnkosten gestiegen sind, die Kapitalkosten aber stark gesunken (EZB sei Dank), erscheint diese Entwicklung logisch.
In einem Teufelskreis
Und so befindet sich Frankreich heute in einem Teufelskreis: Geringe Profitabilität für zu geringe Innovation, was den Druck auf die Wettbewerbsfähigkeit weiter erhöht – und wieder auf die Profitabilität zurückschlägt.
Die Hartz-Reformen in Deutschland werden in allen Analysen der Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich häufig zitiert. Aber das volle Ausmass der Folgen ist erst heute ersichtlich.
Problematisches Steuersystem
Wo in Deutschland zwar durch die Reformen eine grosse Schicht von gering bezahlten Teilzeitstellen geschaffen wurden, so ermöglichen sie doch einer grossen Zahl von Arbeitnehmern die Teilnahme am Arbeitsmarkt. In Frankreich hingegen ist die strukturelle Arbeitslosigkeit heute mit 9 Prozent sehr hoch.
Zu den schon genannten Gründen gesellen sich hier: Ein die Arbeit stark benachteiligendes Steuersystem, der Schutz der Festangestellten, ein hohes Minimumsalär und grosszügige Arbeitslosenentschädigungen über lange Fristen. Die Behäbigkeit dieses Systems hat zwar zur Folge, dass die Arbeitslosigkeit sich in der letzten Zeit nicht mehr stark weiter verschlechtert hat.
Grundsätzliche Entscheidung nötig
Aber mit 22 Prozent der Arbeitslosen, die es schon seit mehr als zwei Jahren sind, und 22 Prozent von über 50-Jährigen Arbeitslosen, besteht nur geringe Aussicht für eine Resorption. Dementsprechend wenig rosig sind die Aussichten. Wir schätzen das zukünftige potenzielle Wachstum für Frankreich auf nur noch circa 1,5 Prozent ein.
Neben dem Bedarf an augenfälligen Reformen muss Frankreich heute auch eine grundsätzliche Entscheidung treffen: In den vergangenen 20 Jahren hat es eine gewisse Neuorientierung Frankreichs weg von der Industrie, hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft gegeben.
Nicht weit genug gegangen
Aber Frankreich ist diesen Schritt nicht weit genug gegangen: Um den grossen Beispielen USA und Vereinigtes Königreich zu folgen, wäre eine vollkommen andere Politik von Nöten: Der industrielle Niedergang müsste akzeptiert werden, und man müsste auf Innovation fokussieren.
Das heisst, den Transfer von Intelligenz aus der Industrie hin in die Dienstleistungen akzeptieren, den Wettbewerb innerhalb der Serviceindustrie fördern, das Gesundheits- und Ausbildungssystem reformieren und das Verwaltungssystem so gestalten, dass dynamische urbane Zentren gefördert werden, in denen eine innovative Gesellschaft prosperieren kann.
Christina Böck bildete sich an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster zur Diplom-Kauffrau aus, bevor sie einen Master in Management an der H.E.C. in Paris erlangte. Nach verschiedenen Praktika war sie ab 1994 bei der Dresdner RCM Gestion in Paris tätig. Später wechselte sie zur Allianz-Pimco-Gruppe. Zu Axa Investment Managers in Paris stiess sie im April 2001. Seit März 2007 arbeitet Christina Böck in Zürich, heute als ‹CIO Switzerland & Head Solution Strategists Central Europe›.