Wie entstehen neue Zigarren-Blends? Der in Singapur wohnhafte Experte Didier Houvenaghel, Schöpfer von Boutique-Marken wie «Nicarao», «Furia» und «La Ley», steht finews.ch Red' und Antwort. Und er erklärt, warum die Dominanz der kubanischen Marken zu Ende geht. 

Wo immer Didier Houvenaghel auf der Welt auftritt, ist ihm grosse Aufmerksamkeit der Zigarren-Freunde gewiss. So auch am vergangenen Mittwoch, als er im «Manuel's» auf Einladung von Inhaber Manuel Fröhlich eine Masterclass zum Thema der Reifelagerung von Zigarren gab.

Dem Mann eilt ein Ruf voraus: Als einer von ganz wenigen Europäern hat er zu Beginn der 2000er-Jahre an der Universität von Pinar del Rio Agronomie studiert. Dort wird der Tabak für die kubanischen Premium-Marken wie Cohiba, Montecristo und Partagas angebaut.

Autor eines Standardwerks

Und Houvenaghel ist Autor des Standardwerks «The Cigar. From Soil to Soul», in dem in 11 Kapiteln auf 318 Seiten alle relevanten Themen der Zigarren-Wissenschaft abgehandelt werden.

In Zusammenarbeit mit dem Produzenten A.J. Fernández aus Nicaragua hat er vier bei Kennern sehr geschätzte Boutique-Marken entwickelt: «Nicarao», «Furia», «La Preferida» und «La Ley». Mit dabei an der Masterclass war auch Claude Guggenheim, der mit seiner «Compania de Tabacos» in Zürich die Zigarren von Didier Houvenaghel importiert.

Fünf Tabakblätter aus fünf Ländern

Auf die Frage, wie er seinen Beruf nennen würde, sagt Houvenaghel spontan: «Cigar Passionate». Vergleichbar ist seine Tätigkeit mit jener eines Kellermeisters im Champagner- oder Spirituosenfach: Er schaut, welche Tabake in welcher Qualität, mit welchen aromatischen und physikalischen (Brenn-)Eigenschaften vorhanden sind.

Dann macht er sich daran, aus in der Regel fünf unterschiedlichen Blättern einen Blend zu kreieren. Häufig würden dabei Blätter aus Anbaugebieten und Ländern gemischt. «Es ist nicht unüblich, dass wir fünf Blättern aus vier oder gar fünf unterschiedlichen Ländern zusammenrollen.»

Verwandt mit Cognac und Champagner

Im Unterschied zum Wein seien zudem Zigarren aus einem einzigen Tabak-Jahrgang sehr selten, präzisiert Houvenaghel. Insofern liege die Kreation von Zigarren nahe bei Champagner oder Cognac, wo mit Cuvées aus unterschiedlichen Jahren gearbeitet werde.

Zur Illustration hat er seine «La Ley Reserva 2016» mitgebracht. Die Altersangabe 2016 bedeute nicht, dass darin nur Tabake aus dem Jahr 2016 verarbeitet seien. «Es ist der Zeitpunkt, zu dem ich aus den dann verfügbaren Tabaken den Blend finalisiert habe.»

Aging bringt Finesse

Tabake, erklärt der Zigarren-Mann, unterscheiden sich in ihrem Geschmack erheblich, je nach Sorte, Anbaugebiet und Verarbeitung. Bevor daran zu denken ist, sie zu einer Zigarre zu rollen, durchlaufen die Blätter eine Fermentation und eine Reifelagerung. «Gerollt werden können sie frühestens nach 15 Monaten.» Oder auch Jahre später. «Je länger der Tabak reift, desto mehr Finesse entwickelt er bis zu einem bestimmten Punkt.»

Auch nach dem Rollen reife die Zigarre weiter, verändere sich geschmacklich. «Allerdings viel, viel langsamer als während der ersten Reifelagerung in schweren Blätter-Bündeln.» Wie jeder Wein, habe auch jede Zigarre eine typische Alterungskurve. Manche erreichen ihren Höhepunkt erst nach fünf oder zehn Jahren, andere rauche man am besten direkt ab Verkaufsregal.

Die Kuba-Frage

Von Didier Houvenaghel möchten wir wissen, warum er nach seinem Studium in Kuba der dortigen Zigarren-Industrie nicht die Treue gehalten habe. Schliesslich sind die Kubaner, und mit ihnen ein grosser Teil der Zigarren-Community, überzeugt, dass der kubanische Tabak unverwechselbar und der beste der Welt sei.

Unverwechselbar sei er zwar, antwortet Houvenaghel. «Die Erde in der Gegend von Pinar del Rio ist perfekt für Zigarren. Tabake von dort haben einzigartige, charakteristische Eigenschaften. Gleich wie ein Pinot Noir aus dem Burgund sich von einem Pinot Noir aus der Schweiz oder aus Deutschland unterscheidet.»

Ihren Weltruhm verdanken die Havanna-Zigarren «allerdings auch der Tatsache, dass sie während Jahrhunderten auf dem Weltmarkt praktisch alleine waren». Schon zu Kolonialzeiten habe sich Kuba Dank der zuverlässigen Produktion in grossen Mengen als wichtigstes Exportland für Zigarren profiliert. «Dies, obwohl in der Dominikanischen Republik wohl schon früher Tabak angebaut wurde.»

«Snobistischer Hintergrund»

Seit der Kubanischen Revolution von 1959, spätestens aber seit den 1980er-Jahren, beschleunigt seit dem Jahr 2000, holen die übrigen Länder auf: Dominikanische Republik, Nicaragua, Honduras.

«Mit dem Spruch, man rauche nur Havannas, kann ich nichts anfangen, wenn er einen nationalistischen oder snobistischen Hintergrund hat», sagt Didier Houvenaghel. Von den besten Zigarren, die er in seinem Leben geraucht habe, stammten durchaus einige aus Kuba, aber auch aus anderen Ländern. «Wenn jemand sich durch alles durchprobiert hat und dann zum Ergebnis kommt, die kubanischen Zigarren seien die besten, dann finde ich es hingegen OK.»

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«Je länger der Tabak reift, desto mehr Finesse entwickelt er.» (Bild: Manuel's)

Nach seiner Überzeugung werden die kubanischen Zigarren ihre dominante Position im Premium-Segment verschiedener Gegenden nicht behaupten: «Vor fünfzig Jahren hiess es ja auch, sogar von Experten, man könne eigentlich nur französische Weine trinken. Heute würde man über diese Aussage lachen. In der Zwischenzeit kamen die anderen Länder mit fantastischen Produkten auf den Weltmarkt. Die Geniesserinnen und Geniesser haben mehr Neugier entwickelt. In Sachen Zigarren hinken wir bei dieser Entwicklung hinterher, aber sie ist im Gang.»

Entschluss, ein Buch zu schreiben

Nachdem Houvenaghel sein Agronomie-Studium auf Kuba abgeschlossen hatte, kehrte der gebürtige Belgier nach Europa zurück, arbeitete zeitweise für die Europäische Kommission. Doch das Zigarren-Thema liess ihm keine Ruhe. Während seines Studiums war er mit dem eigentlichen Endprodukt zu wenig vertraut geworden.

Er machte sich auf die Suche nach Fachliteratur und merkte schnell, dass es wenig Brauchbares gab. Also entschloss er sich, sein eigenes Buch zu schreiben. Bei seinen Recherche-Reisen in die wichtigen Produktionsländer der Karibik kreierte er 2001 seine eigene Marke «Nicarao». 

Später lernte er den Produzenten A.J. Fernández kennen, mit dem er seit 2006 exklusiv zusammenarbeitet. «Wir sind sehr, sehr unterschiedliche Typen. Neben einer Freundschaft verbindet uns auch die Passion für Zigarren und ein hohes Qualitätsbewusstsein. Diesbezüglich tolerieren wir beide nicht die geringsten Abweichungen.»

Seit 17 Jahren in Singapur

Seit 17 Jahren lebt Didier Houvenaghel in Singapur, wo seine Zigarren durch einen Importeur vertrieben werden. Seine Frau arbeitet in dem Stadtstaat seit langem im Private Banking bei Schweizer Häusern.

Wie ist eigentlich das Leben als «Cigar Passionate» in Singapur mit seinen strengen Anti-Rauchergesetzen? Es gebe zwar in der Öffentlichkeit kaum Raum für den Zigarrengenuss, «aber wenn man das Land kennt, gibt es durchaus Optionen». Das Wetter sei ja zum Glück meist sehr freundlich, sodass man im Freien rauchen könne, und es hätten sich auch einige private Zigarren-Lounges etabliert.