Im Jahr 2011 kaufte der Unternehmer Oliver Ebstein die Firma Chronoswiss. Es ist die einzige Schweizer Uhrenmarke, die auf dem Höhepunkt der Uhrenkrise gegründet wurde – ein mechanisches Erbe, das bis heute gepflegt wird. Anlässlich der Uhrenmesse «Geneva Watch Days» hat finews.ch den Boutique-Hersteller getroffen. Er spricht über neue Technologien, die Lage der Branche und über seine Hausbank.

Herr Ebstein, Sie sind im Kanton Zürich aufgewachsen und leben seit Jahrzehnten in der Zentralschweiz. Chronoswiss befindet sich in Luzern, weit weg vom Hotspot der übrigen Uhrenindustrie.

Täuschen Sie sich nicht… Luzern hat eine grosse Uhrmacher-Geschichte. Bis vor einigen Jahren war es neben Paris und Hongkong eine der drei wichtigsten Städte in Sachen Uhrenverkauf. Und es gab hier auch immer Juweliere, die selbst Uhren hergestellt haben. Bucherer natürlich, oder Jörg Spöring, der die bekannte Türler-Uhr konstruiert hat. Wir arbeiten heute mit seinem Sohn zusammen.

Und darum haben Sie die Manufaktur nach der Übernahme der Marke nach Luzern gezügelt?

Zusätzlich war ein wichtiger Grund, dass wir im Luxusbereich sind: Für mich persönlich ist es der grösste Luxus, wenn ich wohnen und arbeiten kann, wo ich mich zuhause fühle.

Worin wurzelt Ihr Interesse für mechanische Uhren?

Ich war von Kindesbeinen an ein Uhrenfan. Bereits als Sieben- oder Achtjähriger besuchte ich mit meinen Eltern die damalige Basler Schmuckmesse. Die riesigen Stände, teilweise zwei- und dreistöckig, beeindruckten mich ungemein. Meine Eltern hatten ein Import-Export-Business für Accessoires und Schmuck. Während sie an der Messe mit Lieferanten und Kunden zusammensassen, ging ich Kataloge sammeln. Damals gab es ja noch Kataloge (lacht).

«Für mich persönlich ist es der grösste Luxus, wenn ich wohnen und arbeiten kann, wo ich mich zuhause fühle.»

Also suchten Sie Jahrzehnte später – Sie hatten in der Zwischenzeit eine Management-Karriere in der Finanz- und Pharmaindustrie absolviert – nach einer Uhrenmarke zum Kauf?

Nein, es war Zufall! Ein Arbeitskollege ist auf mich zugekommen. Er wusste, dass Gerd-Rüdiger Lang (1943-2023), der Gründer von Chronoswiss, nach einer Nachfolgeregelung suchte: «Du kennst doch Chronoswiss und besitzt selber einen ‹Regulator› – soll ich den Kontakt zu Herrn Lang herstellen?» Das war 2011. Also bin ich nach München gefahren und habe Herrn Lang kennengelernt. Da haben wir stundenlang über Gott und die Uhren gesprochen.

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Kunst der modernen Mechanik: Chronoswiss-Uhrwerk. (Bild: zVg)

Leider hatte ihm seine Tochter – eine Meisteruhrmacherin, die dreissig Jahre lang im Unternehmen gross geworden war – kurz vor der Übertragung der Firma abgesagt. Lang wollte sein Lebenswerk keinesfalls an eine grosse Firma verkaufen, die nur am Namen interessiert ist, das Produkt dreimal umdreht und am Schluss existiert gar nichts mehr. Herr Lang war noch mit einem zweiten Interessenten im Gespräch. Also musste alles recht schnell gehen. Es war eine kurzfristige, spontane Geschichte.

Wie ging es dann weiter?

Innerhalb von zwei Wochen musste ich mich entscheiden: Will ich meine Leidenschaft, mein Hobby, wirklich zum Beruf machen? Es folgten dann noch ein paar Wochen «Due Diligence» und an der Basler Uhrenmesse wurde der Verkauf kommuniziert.

Was hat Sie an Chronoswiss fasziniert?

Es ist die einzige Uhrenfirma, die während der Quarzkrise gegründet wurde: Ende der 1970er, Anfang der 1980er-Jahre überschwemmten die Japaner die Märkte mit batteriebetriebenen Uhrwerken.

Zuerst dachten die Schweizer, der Spuk gehe rasch vorbei, aber so war es dann nicht. 50 bis 60 Prozent der Uhrenindustrie war bankrott. Auch Gerd-Rüdiger Langs damaliger Arbeitgeber, die Uhrenfirma Heuer, konnte die Löhne nicht mehr zahlen. Man sagte zu ihm: «Wir haben dich gerne, aber du musst gehen. Hier hast du noch eine Box mit alten Werken und Ersatzteilen.» Das war sein letztes Salär und der Grundstock für Chronoswiss, die er gemeinsam mit seiner Frau in einer Garage ins Leben gerufen hat.

«Chronoswiss-Uhren sahen komplett anders aus als alles, was man bis dahin gesehen hatte.»

Er hat immer gesagt: «Ich gehe doch nicht batteriebetriebene Uhren reparieren!» Neben Nicolas G. Hayek und Jean-Claude Biver war Lang wohl der einzige, der damals noch an die Zukunft der mechanischen Uhr glaubte. Chronoswiss wurde dann auch eine im technischen Bereich besonders innovative Marke.

Inwiefern?

Chronoswiss-Uhren sahen komplett anders aus als alles, was man bis dahin gesehen hatte. Die «Regulator» hatte ein Zifferblatt, das man bis dahin nur von Wanduhren kannte, nicht aber von Armbanduhren. Zudem war es der erste Hersteller, der die Rückwand aufgemacht und eine Glaswand hineingesetzt hat, sodass man auf das Werk sieht. Bis heute machen wir keine einzige Uhr mit geschlossenem Boden. Für mich steht Chronoswiss für die Renaissance der Mechanik.

Man liest immer, Sie hätten nach dem Kauf die Produktion von Deutschland in die Schweiz repatriiert.

Das stimmt so nicht ganz. Chronoswiss hatte immer eine Firma in der Schweiz, die für die Uhrwerke und den Einkauf zuständig war. Die deutsche Gesellschaft stellte damals den einfacheren Zugang zum EU-Markt sicher. Wir haben dann die damalige Schweizer Firma Chronosa in Chronoswiss umbenannt und das Ganze nach Luzern gezügelt.

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Handwerkliche Tradition: Emaillieren. (Bild: Chronoswiss, zVg)

In der Deutschschweiz sind Sie eine von ganz wenigen Manufakturen, die man sogar besuchen kann. Bewährt sich das?

Immer mehr. Es hat sich mittlerweile herumgesprochen und wir sind in gewissen touristischen Katalogen vertreten. Für die grossen Touristenbusse interessieren wir uns nicht, aber für historisch und technisch interessierte Uhrenliebhaber. Und da sind wir mittlerweile in Luzern sehr zufrieden: Es gibt viel amerikanische Kundschaft, die uns kennt, und auch viele aus dem Mittleren Osten.

«In der Schweiz machen wir rund acht Prozent unseres Umsatzes.»

Kaufen diese Besucher auch direkt Uhren bei Ihnen?

Ja. Jeder Zweite findet etwas und kauft es dann direkt. Das Schöne ist, dass er die Menschen kennenlernt, die seine Uhr gemacht haben: den Uhrmacher und denjenigen, der das Zifferblatt guillochiert hat, jenen, der das Emaille aufgetragen hat. Das gibt der Uhr einen familiären, persönlichen Touch.

Vor fünf Jahren haben Sie der Zeitschrift «Bilanz» gesagt, dass sie jährlich rund 1’500 Uhren verkaufen. Ist das noch aktuell?

Plusminus, ja. Wir sind in etwas kompliziertere Modellwelten vorgestossen, machen jetzt etwas teurere Uhren mit mehr Handwerkskunst, mehr Emaille. Damit wachsen wir jedes Jahr ein bisschen. Als Familienfirma ist es mir aber wichtig, dass wir stetig und gesund wachsen. Kurzlebige Trends versuche ich zu umschiffen. Es gab ja in den letzten Jahren einen riesigen Run auf bestimmte Uhren. Der kühlt sich jetzt ab, besonders in China.

Sie wachsen also vor allem durch Höherpositionierung?

Ja. Ein weiterer Hebel ist, dass wir versuchen, die Juweliere, die Chronoswiss im Sortiment haben, näher an die Marke heranzuführen und ihnen im Rahmen von Besichtigungen, Events und Schulungen unsere Philosophie näherbringen. Dafür muss man sie einmal in die Manufaktur bringen.

Welchen Anteil Ihrer Uhren verkaufen Sie in der Schweiz?

Rund acht Prozent.

Wo verfügen Sie über das beste Partnernetz an Juwelieren und Händler?

Der grösste Markt für uns ist die DACH-Region, wo wir am längsten tätig sind. Danach kommen die USA, wo wir recht gut gewachsen sind, und Middle East mit Dubai, Abu Dhabi und Kuwait. Der dritte grosse Markt für uns ist Japan.

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Firma im Jahr 2011 gekauft: Ehepaar Oliver und Eva-Maria Ebstein. (Bild: Chronoswiss, zVg)

Was möchten Sie mit den Chronoswiss-Uhren verkörpern?

Wir haben uns stets um einen roten Faden bemüht: dass man eine Chronoswiss von 1980 mit einem heutigen Modell verbindet. Aus diesem Grund haben wir zum Beispiel die Zwiebelkrone beibehalten. Aber natürlich setzen wir auch moderne Akzente. Die Verbindung aus Tradition und Innovation heisst bei uns «Modern Mechanical». Einerseits arbeiten wir mit Handwerkskünsten wie Emaille und mit alten, über hundertjährigen Maschinen. Gleichzeitig verwenden wir innovative neue Materialien und Techniken.

«Das Gehäuse kommt in ein Bad und ist dann, wie von Honig überzogen, mit einer durchsichtigen, farbigen Schicht.»

Im Oktober werden wir beispielsweise ein Sondermodell der «Delphis» vorstellen, dessen Gehäuse aus ITR2 gefertigt wird, einem Nanotube-Kohlenstoff, der aussieht wie Kristall, sich aber im Gegensatz zu diesem bohren lässt. Das ergibt sehr spannende Möglichkeiten im Design. Das Gehäuse kommt in ein Bad und ist dann, wie von Honig überzogen, mit einer durchsichtigen, farbigen Schicht - es wird ein echtes «Unicorn» in unserer Kollektion!

Bei den Farben sind Sie äusserst modern und mutig unterwegs.

Ja, das Leben ist farbig. Aber ich versuche Farben zu wählen, die man auch in 20 oder 30 Jahren noch tragen kann. Nicht Farbe um der Farbe willen – sie muss auch eine Geschichte verkörpern. Eines unserer Modelle ist eine Hommage an Paraiba, den grünen brasilianischen Edelstein. Dann gibt es blaue, sehr auffällige Uhren, mit einem speziellen Coating.

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Mit Zwiebelkrone: Modell «StrikeTwo». (Bild: Chronoswiss, zVg)

Dieses Jahr präsentieren wir mit der neuen «Strike»-Familie auch wieder klassische Farben: Anthrazit, Gold, ein Modell in Dunkelblau mit Silber. Wir arbeiten gerne mit speziellen Techniken wie Plasma oder Vakuum-Coating. Einer unserer Partner bei den Farben arbeitet hauptsächlich für die Medtech-Industrie. Das verkörpert dann sicher die technologisch-innovative Seite von Chronoswiss.

Mit welcher Hauptneuheit warten Sie diesen Herbst auf?

Mit unserem «Psycho»-Tourbillon präsentieren wir einen der kompliziertesten und in dieser Farbkombination gewagtesten Zeitmesser der gesamten Kollektion. Das fliegende Tourbillon bei 6 Uhr, kombiniert mit einem von Hand guillochierten Zifferblatt, das durch die einzigartige chemische Beschichtung seine Farbe wechseln kann, zeigt, wie wir den Spagat zwischen traditionellem Handwerk, höchster Uhrmacherkunst und modernem Design meistern. Auf nur 15 Stück limitiert, ist diese Uhr bereits jetzt fast ausverkauft.

«Wir haben, trotz der angespannten Marktlage, allen Grund zum Optimismus.» 

Was bringen Ihnen Messen wie die Geneva Watch Days?

Als kleines Unternehmen muss man immer schauen, was möglich ist, was das Budget hergibt. Für die Beziehungspflege mit bestehenden Kunden oder Neukontakte sind solche Anlässe wichtig. Die Grossen haben die Mittel und das Geld, um eigene Anlässe zu machen und all ihre Partner einzufliegen. Für uns ist es hingegen praktisch, wenn alle gleichzeitig an einem Ort sind. Auch für die Juweliere ist es besser. Sonst sind sie irgendwann vier Monate pro Jahr nur auf Reisen.

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Neuheit: «Psycho»-Tourbillon. (Bild: Chronoswiss, zVg)

Viele in der Branche beklagen sich über eine schwierige Marktlage. Wie sieht es bei Ihnen aus?

Wir haben, trotz der angespannten Marktlage, allen Grund zum Optimismus. Zwar gibt es manche Länder, hauptsächlich China, die derzeit nicht laufen - auch bei uns. Aber andere sind auf Vorjahresniveau oder sogar besser. Wir haben den Vorteil, dass wir limitierte 50er-Serien machen für einen spezifischen Kundenkreis, manchmal 100er-Serien. Es ist etwas anderes, wenn man zehntausende Uhren herstellt und die dann verkaufen muss.

Pflegen Sie Kontakte zur Finanzindustrie, zum Beispiel im Rahmen Ihrer Manufaktur-Besichtigungen?

Wir haben es auch schon gemacht, aber noch nicht genügend (lacht). Als Firma arbeiten wir mit der Luzerner Kantonalbank als Hausbank zusammen. Aber auch darüber hinaus finde ich Banking und Finanzwesen sehr interessant. Das tägliche Geschäft nimmt allerdings so viel Zeit in Anspruch, dass ich mich nicht darum kümmern kann. Wir waren die ersten, die im Jahr 2016 Kryptowährungen akzeptiert haben.

Das war sehr früh und, in Anbetracht des Zentralschweizer «Crypto Valley», sicherlich auch förderlich für die Verkäufe?

Ja. Es war eine neue Kundengruppe, eine neue Generation. Viele Leute hat es interessiert, warum wir da so offen sind. Als kleiner Hersteller muss man mit solchen Dingen spielen und schauen, dass man irgendwie hervorstechen kann.


Mit Chronoswiss erfüllt sich Oliver Ebstein im Jahr 2012 den Traum der eigenen Uhrenmarke. Zuvor war der gelernte Betriebsökonom in der pharmazeutischen Industrie tätig, wo er Contract-Manufacturing-Projekte in der Schweiz und in Rumänien betreute. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter.