In der quirligen Szene hiesiger Weinkenner und -händler ist er ein Gigant. Als erster Schweizer überhaupt absolvierte er das anspruchsvolle Ausbildungsprogramm zum «Master of Wine». Die öffentliche Debatte befeuert er immer wieder mit pointierten Gedanken. Im Interview mit finews.ch spricht Philipp Schwander über Preis und Qualität beim Wein, über fallende Bordeaux-Preise, grassierende Genuss-Feindschaft und sein Barock-Schlösslein am Bodensee. Sowie über die Faszination Kupferstich und seine ambivalente Sicht auf die Finanzindustrie.


Herr Schwander, was ist ein guter Wein?

Er ist nicht einfach ein Getränk, sondern bietet ein faszinierendes Erlebnis. Er ist nuanciert, voller Finesse und lässt einen immer wieder neue Facetten entdecken. Das Gegenteil davon ist ein simpler Wein; er schmeckt immer gleich und langweilt schnell.

Muss man sich mit dem Produzenten und seiner Philosophie auseinandersetzen, um einen guten Wein zu würdigen?

Beim Verständnis des Produktes hilft es, die Anbau-Gegenden zu bereisen. Insbesondere als Weinhändler muss man zwingend wissen, wie ein Produzent tickt. Schon nur als Sicherungssystem, wenn es zum Beispiel zu personellen Wechseln im Weinbaubetrieb kommt, der Sohn übernimmt oder Ähnliches. In meinem Fall gilt das besonders, weil ich mit diversen Produzenten eigene Spezialfüllungen für die Selection Schwander mache.

Sie sind mit Ihrem Mercedes-Maybach ständig bei den Produzenten und investieren viel Aufwand darin, diese Erlebnisse mit Ihren Kunden zu teilen: Newsletter, Instagram, Postversände…

Unsere Kunden schätzen es, wenn sie an den Einkaufsreisen gewissermassen teilnehmen können. Das erhöht das Verständnis für den Wein und kann zum Erlebnis werden.

«Da ist eine philisterhafte, besserwisserische Art von Mensch am Werk, die keine Freude am Leben hat»

Bei der «Selection Schwander» ist der Name Programm. «Selection»: Auswahl. «Schwander»: Sie…

Richtig. Die Auswahl ist der Schlüssel. Wir haben viele exzellente Weinhändler in der Schweiz. Aber es gibt auch solche, die ihren Kunden ein riesiges Spektrum hinlegen und dann schauen, was sich verkauft. Bei uns steht die Auswahl am Anfang. Wir sind überzeugt von jedem unserer Produkte und möchten dem Kunden die Arbeit der Auswahl erleichtern.

Ihr Beuteschema dabei sind unbekannte Weine zwischen 11 und 25 Franken von exzellenter Güte.

Wir sprechen den wahren Weinliebhaber an, der nicht Unsummen für Wein ausgeben möchte. Wer Renommierweine sucht, ist bei uns am falschen Ort.

Was haben Sie gegen die Lafite Rothschilds, Cheval Blancs, Harlans und so weiter?

Gar nichts! Viele berühmte Weine sind fantastisch und aus gutem Grund sehr gefragt. Aber sie kosten dann auch entsprechend. Das ist nicht unser Feld. Ich suche die Van Goghs, die gute Produkte machen, aber sich nicht so geschickt vermarkten und dadurch zu sehr attraktiven Preise verkaufen.

Sammeln Sie privat auch Spitzenerzeugnisse?

Selber besitze ich nicht allzu viele grosse Namen im Weinkeller. Glücklicherweise habe ich viele Freunde, die mich immer wieder zu solch tollen Flaschen einladen. Ich schätze diese Weine über alle Massen. Aber es ist schade, dass manche so teuer geworden sind, dass sie sich ausserhalb der Reichweite eines Weinfreunds mit normalem Verdienst bewegen.

«2023 ist im Bordeaux ein sehr ordentlicher Jahrgang»

Wie verhält sich der Preis zur Qualität eines Weines?

In den letzten dreissig Jahren ist im Wein-Markt etwas ähnliches passiert wie in der Kunst: Der Preis alleine sagt nicht zwangsläufig etwas über die Qualität aus. Gerade bei den Burgundern mit ihrer kleinen Produktion stiegen die Preise zusammen mit der riesigen Nachfrage ins Astronomische. Dann hat man auch den Snob-Effekt, dass die Leute es nur kaufen, weil es so teuer ist. Und solche, die nur als Investment kaufen. Da entkoppelt sich die Qualität vom Preis.

schwander1 500x300
Erster Schweizer «Master of Wine». (Bild: zVg)

Ist es eine gute Strategie, grosse Wein-Namen als Wertanlage zu kaufen?

Das ist sehr riskant. Man muss genau wissen, was man kauft und welche Jahrgänge. Zudem ist Wein ja ein verderbliches Produkt. Er kann seinen Zenit aus Altersgründen überschreiten oder bei schlechter Lagerung kaputtgehen. Einen Goldbarren hingegen können Sie auch auf dem Estrich aufbewahren. Wer selber keine Freude an Wein hat, sollte keinesfalls in Wein investieren. Wer Wein liebt und etwas davon versteht, kann es sich zur Diversifizierung in kleineren Mengen überlegen. Empfehlen kann ich es aber nicht. Zum Thema des Investierens in Wein habe ich kürzlich einen Fachbeitrag geschrieben (PDF, Artikel in Englisch).

Beim Vorabverkauf (Subskription) des Bordeaux-Jahrgangs 2023 haben die Preise auch bei Top-Häusern teilweise um 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr nachgegeben. Ist das ein schlechter Jahrgang oder steckt etwas anderes dahinter?

Der 23er ist ein sehr ordentlicher Jahrgang. Leider ist die Nachfrage eingebrochen. Es gibt noch massenweise unverkaufte 2021er und 2022er. Der 2022er ist besser als der 2023. Ich fürchte, der Preisnachlass war zu gering, denn die 23er liegen wie Blei im Gestell, respektive im Fass.

«Wir leben nicht gerade in einer Zeit, in der die Leute sagen: ‹Heissa, jetzt fülle ich mir den Weinkeller!›»

Also: Finger weg?

Ja, den 23er würde ich auf keinen Fall subskribieren. Solche Jahrgänge erhält man häufig später zu tieferen Preisen. Grundsätzlich lagen die Primeur-Preise, also im Vorverkauf, in den letzten 30 Jahren zu hoch. Vor 1995 konnte man davon ausgehen, dass die Weine, wenn sie dann in die Händlerregale kamen, 30 Prozent über dem Subskriptions-Preis liegen. Heute sind sie nachher oft sogar noch günstiger. Das haben die Leute mittlerweile gemerkt.

Warum ist denn die Nachfrage derart eingebrochen?

Eine Weile lang bestellten die Chinesen extrem viel. Bis zu 80 Prozent landeten teilweise in China. Der Höhepunkt diesbezüglich war im Jahr 2010. Seither springen sie sukzessive ab. Auch andere Länder haben wirtschaftliche Probleme und kaufen deutlich weniger. Und man muss auch sagen, dass wir nicht gerade in einer Zeit leben, in der die Leute sagen: «Heissa, jetzt fülle ich mir den Weinkeller!»