Über den 2023er Bordeaux haben wir gesprochen. Wie sieht dieser Jahrgang in anderen Regionen aus?

Das ist teilweise sehr unterschiedlich. Insgesamt ist es noch zu früh für ein Urteil.

Was ist die interessanteste Neuentdeckung der Selection Schwander in jüngerer Zeit?

Der 2022er «Hattenheimer Nussbrunnen», ein Riesling aus dem Rheingau. Ein unbekannter Produzent hat eine berühmte Lage gepachtet, von der wir schon vorher Weine bezogen haben. Dieser Wein ist erstklassig. Ich habe ihn kürzlich blind neben einem «Grossen Gewächs» serviert, das 70 Franken kostet. Unserer kostet rund 14 Franken und hält gut mit. Leider konnte ich nur 10’000 Flaschen davon kaufen; ich hätte gerne auch 20’000 genommen.

Blinddegustationen sind ein Steckenpferd von Ihnen.

Ja. Es ist lustig, den Leuten, vor allem den Etikettentrinkern, zu zeigen, dass man nicht unbedingt eine Hypothek aufs Haus aufnehmen muss, wenn man einen ausgezeichneten Wein erwerben will.

Wir haben den Eindruck, dass die reinen Prestige- und Etikettentrinker zahlenmässig im Rückgang begriffen sind.

Da wäre ich mir nicht so sicher. Gerade bei einer jüngeren Kundschaft, die Wein unregelmässig trinkt und wenig Erfahrung hat… Da muss es oftmals, wenn man einmal einen Wein trinkt, unbedingt ein berühmter Name sein, die Qualität ist eigentlich zweitrangig. Zudem verstehen diese Leute meist auch wenig von Wein, was für unsere Branche gefährlich ist.

Welche Restaurant-Weinkarte finden Sie in Zürich spannend?

Ich bin da nicht ganz «à jour». Die Weinkarten der «Segmüller Collection» sind sehr gut. Auch «Bü», der gerade hier in der Nähe aufgemacht hat. Oder die «Mövenpick Weinbar» macht es auch sehr gut. Da war ich kürzlich mit Gernot Haack.

«Obwohl nur eine verschwindend kleine Minderheit sich vegan ernährt, sind die Zeitungen voll von dieser unnatürlichen Ernährungsweise»

Für mich ist es sympathisch, wenn nicht stur mit einem Multiplikator gearbeitet wird, sondern ein fixer Betrag auf jede Flasche draufgeschlagen wird. Dann wird es auch interessant, sich teure Weine im Restaurant zu leisten.

Sprechen wir über das allgemeine gesellschaftliche Umfeld. Ihre Branche steht unter politischer Beobachtung. Der Weinkonsum geht zurück.

Der Zeitgeist ist merkwürdig. Wir haben immer mehr Pseudo-Gutmenschen, die uns vorschreiben wollen, wie wir zu leben haben. Gerade Alkohol ist vielen ein Dorn im Auge. Angefangen bei der Weltgesundheitsorganisation WHO, die mit sehr fragwürdigen Studien operiert. Dafür werden aber brandgefährliche Drogen teilweise verharmlost.

«Schwarzweiss und kleinformatig – das pure Gegenteil der heutigen Mode, die das Plakative und Farbige bevorzugt»

Der Zeitgeist will uns unterschwellig suggerieren, dass nur Gemüse und Früchte gesund sind und dass wir eigentlich schlechte Menschen sind, wenn wir Fleisch essen. Da ist eine philisterhafte, besserwisserische Art von Mensch am Werk, die keine Freude am Leben hat und eine solche auch ihren Mitmenschen missgönnt. Es ist ein bisschen wie beim Essen: Obwohl nur eine verschwindend kleine Minderheit sich vegan ernährt, sind die Zeitungen voll von dieser unnatürlichen Ernährungsweise.

Was halten Sie von alkoholfreien Weinen?

Beim Bier funktioniert das relativ gut, weil es ein Getränk mit wenig Alkohol ist. Das heisst, man kann die fehlende Komponente durch eine stärkere Hopfung überspielen. Beim Wein ist es anders. Da ist der Alkoholgehalt höher. Eliminiert man diesen, entsteht eine Art Loch. Ich habe noch keinen alkoholfreien Wein gefunden, den ich reinen Gewissens empfehlen könnte. Es ist wie beim Fleischersatz: Wenn man schon kein Fleisch essen möchte, dann soll man doch Gemüse essen. Wer keinen Wein trinkt, der kann auf frischen, gespritzten Apfelsaft ausweichen. Der schmeckt hervorragend und ist erst noch viel günstiger.

Kommen wir zu Ihren Leidenschaften abseits des Weines. Sie sammeln Kupferstiche.

Ja, Kupferstiche, Radierungen und Lithographien. Von den Anfängen um 1450 bis ins 20. Jahrhundert, also relativ breit. Die meisten Werke sind schwarzweiss und kleinformatig – das pure Gegenteil der heutigen Mode, die das Plakative und Farbige bevorzugt.

Wie sind Sie darauf gekommen?

Ich habe für meine Wohnung zwei Kupferstiche erstanden und mich dann damit intensiv befasst. Dadurch wuchs mein Interesse. Während der Covid-Pandemie hatte sich mein Interesse stark vergrössert. Einer meiner Freunde, der ehemalige «NZZ»-Feuilletonchef Martin Meyer, der diesem Hobby schon lange frönt, hat mich diesbezüglich noch viel mehr ins Verderben gezogen (lacht). Es ist eine faszinierende Welt, aber man braucht viel Zeit, um einen Zugang zu finden.

«Dann hat man auch den Snob-Effekt, dass die Leute es nur kaufen, weil es so teuer ist»

Bei Radierungen und Kupferstichen gibt es ja verschiedene Druckzustände. Qualitativ unterscheiden sich die früheren von den späteren erheblich. Man muss also aufpassen, dass man kein völlig ausgelutschtes Exemplar erwirbt. Kürzlich wurde in New York Albrecht Dürers berühmter Kupferstich «Adam und Eva» für einen stolzen Preis versteigert. Dieses Exemplar ist aber eigentlich wertlos, weil es von einer völlig abgenutzten Kupferplatte stammt.

Also wie beim Wein: Wer es als Wertanlage ansieht, muss sich intensiv damit befassen?

Unbedingt. Man kann viel Geld verlieren, wenn man falsch einkauft. Ich sehe meine Sammlung zwar überhaupt nicht als Wertanlage, kaufe aber so ein, als wäre es eine. Es ist allerdings gut möglich, dass die Preise noch weiter sinken. Verglichen mit der modernen Kunst erhält man sensationelle Werke zu sehr tiefen Preisen.

Eine weitere Leidenschaft gilt Ihrem Barock-Schlösschen «Freudental» am Bodensee, in dem Sie auch einen Hotel- und Veranstaltungsbetrieb unterhalten. Ist das ein gutes Geschäft?

Definitiv nicht. Es gibt ja den Spruch: «Wen der Herr bestrafen möchte, dem schenkt er ein Schloss.» Ich habe es nicht einmal geschenkt bekommen, sondern gekauft und sehr teuer restauriert. Wir sind im Moment noch nicht kostendeckend. Eigentlich betreiben wir ein Hotel in einem Museum, was sehr aufwändig ist. Ein Barock-Schlösslein ist ja nicht jedermanns Sache. Auch haben wir sehr wenige Hotelzimmer, was auf die Rentabilität schlägt.

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Gekauft und teuer restauriert: Eingedeckter Speisesaal in Schwanders «Freudental». (Bild: zVg)

Ich habe zwar eine Super Crew vor Ort, die alles gibt, aber selbst (noch) zu wenig Zeit, um mich um das Marketing zu kümmern. Mein Ziel ist, dass Freudental kostendeckend wird. Viele Leute, die dort einmal zu Gast waren, buchen es für Feierlichkeiten. Es ist ein spezieller Rückzugsort mit einer grandiosen Sicht auf den Alpstein und die österreichischen Berge.

Vermieten Sie es auch für Firmenanlässe?

Für Geschäfts-Meetings im kleineren Rahmen, bis etwa 15 Personen, ist es hervorragend geeignet, weil man das gesamte Anwesen mit 2 Hektaren Garten für sich hat. Bei KMUs ist es mittlerweile beliebt. Und preislich ist es sehr human. Wir haben inzwischen etwa gleich viele Schweizer und Deutsche als Kunden, obwohl das Schlösschen ja auf der deutschen Seite unweit von Konstanz liegt.

Wie ist Ihr Blick auf die Finanzindustrie?

Ich bin nicht besonders berufen, etwas dazu zu sagen. Die Lohnexzesse im obersten Management sind sicherlich ein Problem. Sie provozieren viel Kritik am liberalen Wirtschaftssystem, obwohl dieses eigentlich das Beste ist.

Haben Sie als Weinhändler Kunden, die im Finanzwesen arbeiten?

Ja, sogar recht viele, wobei wir glücklicherweise nicht einseitig fokussiert sind sondern insgesamt 90‘000 Kunden aus sehr verschiedenen Bereichen haben.


Philipp Schwander stammt ursprünglich aus der Ostschweiz. Seiner Wein-Leidenschaft frönt er seit dem 16. Lebensjahr. Nach einer kaufmännischen Grundausbildung war er über zehn Jahre lang für den Einkauf der St. Galler Weinhandlung «Martel» verantwortlich. Im Anschluss leitete er während vier Jahren die Zürcher Weinhandlung «Albert Reichmuth», bis er sich 2003 mit seiner «Selection Schwander» selbständig machte. 1996 bestand er als bisher einziger Schweizer die strengste Weinprüfung der Welt, den Master of Wine. Schwander ist Ehrenmitglied der «Weinakademie Österreich».