Bei der Luxusmode steht die Begierde im Zentrum – mystische Anziehungskraft von Handwerkskunst und kreativer Vision. Doch das Geschäft dreht sich zunehmend um Quartalszahlen, Preiserhöhungen und Marktexpansion. In dieser Revolution stehen zwei grosse Namen der Branche – Gucci und Chanel – an einer Weggabelung.
Die jüngsten Turbulenzen bei Gucci und Chanel sind nicht nur ein Zeichen eines schwierigen wirtschaftlichen Umfelds, sondern deuten auf eine tiefere Krise hin: eine Identitätskrise in einer Branche, die einen Weg abseits der etablierten Ursprünge sucht.
Kaum jemand untersucht diesen Wandel genauer als Pierre-Olivier Essig, Head of Research bei AIR Capital, einer in London ansässigen Investment-Beratungsfirma mit Spezialisierung auf europäische Aktien. In seiner neuesten Analyse seziert er die Transformation der Luxusmode von einer Kunstform zu einer eher geschäftsorientierten Maschinerie. «Luxusmode wird in den Geschäftsmodellen der grossen Player zunehmend zur Nebensache, kreative Designer sind nicht mehr nötig,» beobachtet Essig. «Designstudios ersetzen sie mühelos und vermeiden so den Kultstatus und die damit verbundenen Burnouts der Star-Designer.»
Gucci: 16 Prozent im Minus
Gucci, einst das Kronjuwel des Luxus-Konglomerats Kering, kämpft mit einem Umsatzrückgang von 25 Prozent im dritten Quartal 2024, was die Gesamteinnahmen des Mutterkonzerns um 16 Prozent nach unten zog. Die Zahlen sind alarmierend, doch sie erzählen nur die halbe Geschichte. Der wahre Einschnitt findet hinter den Kulissen statt, wo sich Gucci nach nicht einmal zwei Jahren abrupt von Kreativdirektor Sabato De Sarno trennte.
Sein Abgang wurde als einvernehmliche Entscheidung dargestellt, war in Wirklichkeit aber ein Eingeständnis des Scheiterns. De Sarnos minimalistischer Stil – eingeführt als Korrektur der Extravaganzen von Alessandro Michele – konnte bei den Konsumenten keine Begeisterung entfachen. Seine «Ancora»-Kollektion setzte stark auf Oxblood-Rot – doch eine Farbe allein macht weder eine Kollektion noch eine Vision aus.
Luxus braucht Geheimnisse
Die Probleme von Gucci gehen jedoch über kreative Fehltritte hinaus. Die Marke hat sich durch unzählige Kollaborationen und omnipräsente Logoprints selbst entwertet. «Gucci war überall – zu viele Kooperationen, zu viele Kollektionen, zu viel Branding. Luxus braucht Geheimnisse, und Gucci hat sie verloren», stellt Essig fest. Die kommende Herbst/Winter-Kollektion 2025 wird nicht mehr das Werk eines einzelnen kreativen Kopfes sein, sondern das eines Gucci Design Studios. Eine bewusste Strategie – oder schlicht die Erkenntnis, dass das alte Modell nicht mehr funktioniert?
Chanel befindet sich in einer weniger dramatischen, aber ebenso aufschlussreichen Krise. Das Modehaus, lange Zeit eine Bastion traditioneller Luxuswerte, beginnt zu straucheln. Der operative Gewinn sank um 34 Prozent. Schuld daran ist eine Mischung aus stetigen Preiserhöhungen, veränderten Konsumgewohnheiten und einer wenig inspirierenden kreativen Führung unter der ehemaligen Kreativdirektorin Virginie Viard, ehemalige rechte Hand von Mode-Doyen Karl Lagerfeld.
Studios statt Stars
Viards Amtszeit, geprägt von sicheren, aber eintönigen Kollektionen, endete leise im Jahr 2023. Doch seitdem scheint sich etwas geändert zu haben. «Letzte Woche war die Chanel Design Studio Spring/Summer 2025-Kollektion leicht, farbenfroh, weit aufregender als die uninspirierten Kollektionen von Virginie Viard, als sie die Chanel-Modenschauen leitete,» bemerkt Essig. Die Botschaft ist klar: Vielleicht findet Chanel – wie Gucci – ohne die Last eines Stardesigners zu neuer Stärke.
Der Niedergang dieser Giganten spiegelt eine tiefere Tendenz in der Branche wider. Luxusmarken existieren heute in einer Ära, in der Generation Z die Markttrends bestimmt, doch diese Zielgruppe verhält sich anders als ihre Vorgänger. «Generation Z schaut keine Werbung. Sie ist chronisch online und langweilt sich sehr schnell. Um Wirkung zu erzielen, müssen Luxusmarken ihr Spiel auf ein neues Level heben – mit Inhalten, die originell, aufregend und überraschend sind, aber gleichzeitig zur Markenidentität passen,» schreibt Essig.
Authentizität, Exklusivität, Erlebnis
Die alten Erfolgsformeln – Status-getriebene Werbung und plakative Logos – verlieren an Wirkung. Stattdessen treten Authentizität, Exklusivität und Erlebnis in den Vordergrund.
Doch ein Paradoxon bleibt: Die Marken, die einst durch kreatives Genie einzelner Köpfe aufblühten, scheinen nun entschlossen, dieses zu eliminieren. Die Ära des Stardesigners – die Gallianos, McQueens und Lagerfelds – verblasst zunehmend.
Hermès und Brunello Cucinelli als Vorbilder
Ihre Nachfolger werden, wenn überhaupt, oft nur als Übergangsfiguren betrachtet – mehr als Manager denn als visionäre Gestalter. «Brunello Cucinelli und Hermès hatten nie Kreativdirektoren, und beide gehören wahrscheinlich zu den erfolgreichsten und widerstandsfähigsten Namen der Luxusbranche,» hält Essig fest. Die Lektion? Vielleicht brauchte Luxusmode ihre exzentrischen Genies nie wirklich.
Und doch gibt es trotz aller Kommerzialisierung noch Zeichen von Kreativität. «Die Mode lebt noch, man muss nur unter die grossen Namen blicken. Schiaparellis Haute Couture Spring/Summer 2025 war ein Meisterwerk,» schreibt Essig. In kleinen, mutigen Ecken der Branche blüht die Avantgarde weiter.