Kann es sein, dass berühmte Investoren wie Warren Buffett, George Soros oder Ray Dalio gar nicht so gut sind? Bill Gross, selber einer der Grossen, äussert in diesem Text ernsthafte Zweifel. Er stellt fest: Wer Anlage-Erfolg hat, verdankt dies seiner Zeit.

Bill_Gross_AufmacherBin ich ein grossartiger Investor? Um Ernest Hemingway in «Fiesta» zu zitieren: «Ganz schön, sich das auszumalen, nicht wahr?» Leider ist diese Überzeugung häufig meilenweit von der Wirklichkeit entfernt.

Beim Blick in den Spiegel bewertet sich der Durchschnittsmensch auf einer Skala von eins bis zehn in der Regel mit einer Sechs plus oder einer Sieben. Dabei werden die grosse Nase oder das schwach ausgeprägte Kinn durch die leuchtenden Augen oder die nahezu perfekten Zähne aufgewogen. Dies trifft ebenfalls auf die Vermögensverwalter zu, sowie vermutlich auf jede andere Berufsgruppe, die im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht. Die eigene mentale und physische Punkteliste wird von Komplimenten dominiert. Das ist es, neben der Hoffnung, was uns von Tag zu Tag am Leben hält.

Wir betrachten unser Spiegelbild und sehen ein Profil, das derart weit von der Realität entfernt ist, als blickte man in einen verzerrten Spiegel auf einem Jahrmarkt.

Dennoch wird den Akteuren im Wealth-Management-Business eine gewisse Gnade zuteil: Wir verfügen über Zahlen. Neben subjektiven Wahrnehmungen können wir uns auf Gesamtertrags- und Alpha-Historien berufen, die belegen, wie viel besser ein Investor oder ein Unternehmen im Vergleich zur Konkurrenz abgeschnitten hat; und falls dies nicht zutrifft, dann zumindest, welch exzellenter Ertrag gegenüber der Inflation generiert wurde; und falls dies ebenfalls nicht zutrifft, dann welch umfangreicher Mehrwert gegenüber Barmitteln erzielt wurde…

Es scheint endlos viele Vergleiche zu geben, deren Schlussfolgerungen nahezu immer positiv sind: Jeder entspricht seiner eigenen Meinung nach mindestens einer Sechs plus oder einer Sieben, und wenn nicht im vergangenen Jahr, dann zumindest in Bezug auf die vergangenen drei, fünf oder zehn Jahre. Investoren sind von diesen Zahlen abhängig und interpretieren sie bei der Betrachtung ihres Spiegelbilds stets zu ihren Gunsten.


Kann es Zufall sein, dass einer 13 Jahre lang den Index schlägt? 


Das Anlegerpublikum unterliegt häufig einer ähnlichen Täuschung. Denn während die Berater davor warnen, mit dem Strom zu schwimmen und die Auswahl eines Unternehmens oder eines Investments auf Basis der jüngsten Erfahrungen zu treffen, sieht die Realität meist anders aus. Landet eine Münze bei drei aufeinanderfolgenden Würfen stets auf Kopf, rechnet die Allgemeinheit trotz der offensichtlichen 50/50-Wahrscheinlichkeit beim nächsten Münzwurf erneut mit einem Kopf; das Gleiche gilt für 13 aufeinanderfolgende Jahre einer Outperformance gegenüber dem S&P 500, gefolgt von ...

Nun, Sie wissen, worauf ich hinaus möchte.

Zurückgreifend auf meine einleitende Frage, ob ich ein grossartiger Investor bin, liegt die Überlegung nahe, ob sich dies auch in Bezug auf andere, ähnlich bekannte Ikonen behaupten lässt.

Der ehemalige Investmentfondsmanager von Fidelity, Peter Lynch, war in einem Aspekt sicherlich brillant: Er wusste auszusteigen, wenn es sich am meisten lohnte. Wie seine «Kaufe, was Du am besten kennst»-Philosophie allerdings die Dotcom-Blase oder die Lehman-/Subprime-Krise überstanden hätte, steht auf einem anderen Blatt.

Aus diesem Grund gilt es, bei der objektiven Bestätigung der «Grossartigkeit» eines Vermögensverwalters stets den Zeitpunkt und die Dauer seines Erfolgs kritisch zu betrachten. Zehn Jahre, 20 Jahre, 30 Jahre? Wie viele Münzen müssen geworfen werden, bevor die Anreihung aus Köpfen darauf schliessen lässt, dass es sich um eine Münze mit zwei Köpfen handeln muss, belegt mit einem Vorurteil, das die langfristige Wahrscheinlichkeit deutlich zugunsten eines bestimmten Unternehmens oder einer Einzelperson auslegt?

Ich muss Ihnen ehrlich sagen, dass ich mir nach 40 recht erfolgreichen Jahren immer noch nicht sicher bin, ob ich oder Pimco zu den «Großartigen» zählen.

Auch weiss ich nicht, ob sich dies in Bezug auf irgendjemanden behaupten lässt, auch nicht in Bezug auf Warren Buffett, und zwar aus folgendem Grund:

Die Vermögensanlage und ihr Erfolg werden vorwiegend auf zyklischer oder sogar auf langfristiger Basis beurteilt. Ganz gleich, ob es sich um einen Top-Down- oder einen Bottom-Up-orientierten Anleger handelt, der in Anleihen, Aktien oder Private Equity investiert: Bei der gängigen Analyse wird ein Anleger danach beurteilt, wie er sich während der Bullen- und Bärenzyklen verhielt. Schichtete er zum richtigen Zeitpunkt auf Barmittel um? Kaufte er Wachstumsaktien, deren Bewertungen niedrig waren? Verlängerte er die Laufzeit, als die Renditen auf ihrem Hochpunkt angelangt waren? Erwarb er Value-Aktien zum richtigen Preis?


«Es weilt kein Bond-König oder Investment-Souverän unter uns»


Wie dem auch sei: Solange die Zahlen auf ein recht konstantes Alpha mit unterdurchschnittlichen Risiken und attraktivem Informationsstand hindeuteten, konnte es bis in die Hall of Fame der Anleger nicht mehr weit sein. War die Fähigkeit eines Investors, sich an die Jahreszeiten des Marktes anzupassen, nicht Beweis genug, dass es sich dabei nicht nur um reines Glück gehandelt haben kann?

Und wenn sich diese vier Jahreszeiten über eine Reihe von Bullen- und Bärenzyklen oder sogar über mehrere Jahrzehnte erstreckten, sollte kurz darauf eine Bestätigung oder eine Krönung erfolgt sein: vom Marktkenner zum Magier und schliesslich zum König. Oh, wie schön es doch wäre, König zu sein.

Lassen Sie mich jedoch eines anmerken: Es weilt kein Bond-König, Aktien-König oder Investment-Souverän unter uns, der Anspruch auf einen Thron hätte.

Denn jeder von uns, selbst alte Hasen wie Warren Buffett, George Soros, Dan Fuss, und ja, auch ich, hat seine Laufbahn im vielleicht vorteilhaftesten Zeitraum begonnen, im attraktivsten Zeitalter, das Anleger erfahren durften.

Seit den frühen 1970er-Jahren, als der US-Dollar vom Gold entkoppelt wurde und das Kreditwesen sich auf seine unglaubliche, Liquidität schaffende Total-Return-Reise bis hin zur Gegenwart begab, war es Anlegern, die nur geringe Risiken eingingen und bequem vor den periodischen Wellen des Schuldenabbaus beziehungsweise der Mittelabflüsse geschützt waren, möglich, die Krone der Grossartigkeit zu erhalten. Möglicherweise war dies jedoch eher auf das Zeitalter zurückzuführen als auf die Anleger selbst.

Auch ich gehörte stets zu jenen, die geringe oder, wie ich sie bezeichnen würde, moderate Risiken eingingen. Sicherlich war ich auch nicht schlecht im Umgang mit Zinsoptionen und vielleicht sogar noch besser darin, diesen Eindruck zu fördern; dennoch nahm ich lediglich moderate Risiken in Kauf.


«Pimco, Berkshire Hathaway und Peter Lynch erlebten ihre Glanzzeiten allesamt in Epochen der Kreditausweitung»


Für einige Monate im Jahr 2011 mag dies nicht allzu gut gelaufen sein, ebenso wenig wie in einzelnen Jahren während der vergangenen vier Jahrzehnte. Da die Kreditausweitung jedoch nahezu ununterbrochen voranschritt und die damit einhergehende erhöhte Risikobereitschaft so gut wie immer von Vorteil für den Kapitalismus war, konnte auch Pimco davon profitieren. Aus einer eher technischen Perspektive wurde der Ansatz unserer Firma, Volatilität zu verkaufen und auf unterschiedliche Arten «Carry» zu generieren – auf direktem Wege durch Optionen und Futures, am Hypothekenmarkt anhand des Vorauszahlungsrisikos oder auf der Zinskurve anhand von Bullet-Strukturen und Roll-Down anstelle von Barbell-Strukturen und unterdurchschnittlichen Mehrerträgen –, über die Jahre hinweg stets belohnt.

In Phasen deutlich erhöhter Volatilität (1979–1981, 1998, 2008) waren wir glücklicherweise in der Lage, künftige Entwicklungen vor ihrem Eintreten zu antizipieren, oder hatten uns in Bezug auf den «Carry» so positioniert, dass unsere Kunden nur geringe Verluste erfuhren und den Rückschlag somit überstehen konnten, was anderen Unternehmen nicht gelang.

Dabei will ich auf Folgendes hinaus: Pimco, Berkshire Hathaway und Peter Lynch erlebten ihre Glanzzeiten allesamt in Epochen der Kreditausweitung – in denen Akteure, die nach Carry strebten, Volatilität verkauften, auf höhere Renditen abzielten und grössere Ausfallrisiken in Kauf nahmen und entweder strukturell oder durch ihren Ruf vor Mittelabflüssen und dem Schuldenabbau geschützt waren, die einige Wettbewerber genau zum falschen Zeitpunkt trafen – all jene Epochen waren vielleicht nichts anderes als das – Epochen.

Was geschieht jedoch, wenn sich ein Zeitalter verändert? Was geschieht, wenn die fortlaufende Kreditausweitung und ihre unterstützende Wirkung auf die Anleihenkurse und Erträge an ihr Ende gelangen oder beträchtliche Veränderungen erfahren?


«Was, wenn die quantitative Lockerung schliesslich in sich zusammenbricht, anstatt die Vermögenspreise anzuheben?»


Was, wenn die Niedrigzinsen das Ende eines Total-Return-Zeitalters einleiten, das in den 1970er- Jahren begann, sich 1981 beschleunigte und 2012/2013 in eine mathematische Sackgasse für Anleihen münden wird, ebenso wie für ähnliche Anlageklassen?

Was, wenn eine künftige Epoche überwiegend mit Erträgen einhergeht, die hinter den Indexerträgen zurückbleiben, oder von andauernden Wellen Lehman'scher Volatilität ähnlich der von 2008 gekennzeichnet ist, oder aber eine Phase globaler geopolitischer Konfrontationen mit sich bringt, hervorgerufen durch die Suche nach knappen und immer knapper werdenden Ressourcen, wie Öl, Wasser oder auch Nahrungsmittel, wie Jeremy Grantham es nahelegt?

Was, wenn die Auswirkungen des globalen Klimawandels beträchtliche Veränderungen des recht vorteilhaften Umfelds für eine Expansion und Befürwortung des Kapitalismus hervorrufen?

Was, wenn die quantitativen Lockerungsmassnahmen schliesslich in sich zusammenbrechen, anstatt die Vermögenspreise anzuheben?

Was, wenn die Zukunft einem Anleger – einem scheinbar grossartigen Anleger – eine Änderung seines Kurses oder zumindest das Erlernen neuer Tricks abverlangt?


«Ein Zeitalter kann 40 bis 50 Jahre dauern»


Dies würde die Grossartigkeit eines Anlegers wahrlich unter Beweis stellen: seine Fähigkeit, sich an ein neues Zeitalter anzupassen. Das Problem der Buffetts, Fusses, Granthams, Dalios, Gabellis und Grosses der Welt ist jedoch, dass sie das Ergebnis vermutlich nie erfahren werden. Denn sie können und werden diese Zeitalter vermutlich nicht überdauern. Indes weiss man nie, was die Zeit für jeden von uns mit sich bringt oder wie wir uns in Zukunft verhalten werden.

Und dennoch ist mir klar, dass ich – wie Michael Jackson in seiner brillanten, viel zu kurzen Lebenszeit sang – sowohl jetzt als auch in Zukunft stets den Mann im Spiegel betrachten werde: The Man in the Mirror. Pimco, Gross, El-Erian? Wir sehen ganz passabel aus – zumindest in der gegenwärtigen Epoche. Für den Fall, dass ein neues Zeitalter anbricht, sollten wir uns allerdings besser an die Worte Jacksons halten: If you wanna make the world a better place, take a look at yourself, and then make a Chaaaaaaaange.....

Resümee:

• Investoren sollten nach ihrer Fähigkeit beurteilt werden, sich an unterschiedliche Zeitalter und nicht an Zyklen anzupassen. Ein Zeitalter kann 40 bis 50 Jahre andauern.

• Bill Miller mag ein grossartiger Investor sein; um dies zu bestätigen, bedarf er in einer künftigen Epoche dennoch weiterer fünf oder sechs aufeinanderfolgender «Köpfe». Peter Lynch ist ein «Langweiler». Warren Buffett ist das Orakel, doch ob er und andere sich noch anpassen werden, wenn wir in ein neues Zeitalter eintreten?

• Ganz gleich, für wie selbstgefällig Sie diesen Text halten mögen: Ich habe mich eben im Spiegel betrachtet und mindestens eine Sieben gesehen!

 


Bill Gross ist Managing Director und Co-Chief Investment Officer von Pimco. Er gründete den Finanzkonzern 1971 mit.