Agil sein – das fordern die Chefs auch in der Finanzbranche von ihren Mitarbeitenden. Doch die Forderungen scheitert gerade am Management, kritisiert der Personalexperte Günther Wagner.
Neo-Zwitscherer Sergio Ermotti verlinkte den Artikel auf seinem Twitter-Profil: «Agiles Lernen, um die Welt zu verändern», fasste der UBS-Chef seinen Eindruck über die Verleihung des Nationalen Bildungspreises zusammen, den er Ende 2018 für die Grossbank entgegennahm.
Agil machen sich auch die Kader beim grössten Schweizer Sachversicherer Axa, wo mit «Axelerate» extra ein Programm für Führungsleute ins Leben gerufen wurde, um sich die gefragte Eigenschaft anzueignen. Kurz, Agilität ist derzeit in aller Munde, und auch in der Schweizer Finanzbranche geht kaum ein Manager vom Podium, ohne das «Buzzword» von sich gegeben zu haben.
Von Druck geprägt
Dabei sind gerade die Manager die Ursache, dass Agilität bei Grossunternehmen nicht klappt: Das ist jedenfalls die These von Günther Wagner, selbsternannter HR-Influencer und einer der meist beachteten Experten fürs Personalwesen im deutschsprachigen Raum. In einem Meinungsstück auf seinem Blog kommt er zum Schluss, dass sich die Führungskräfte von Unternehmen nicht wirklich nach Agilitäts-Grundsätzen richten.
«Man will, dass die Arbeitsprinzipien der Mitarbeitenden agil werden. Jedoch arbeitet die Organisation mit ihrem Management weiterhin nach den Prinzipien von Frederick Taylor», hält der in Salzburg domizilierte Wagner fest. «Diese sind geprägt durch Druck-Ausübung als Steuerungsmechanismus, unter anderem mittels fixer Zielvorgaben und Deadlines.
Individuen stehen über Prozessen
Das hat mit Agilität, wie es 2001 von einer Gruppe von 17 IT-Koryphäen im «Agile Manifesto» festgehalten wurde, tatsächlich wenig zu tun. Das Manifest, dass sich ursprünglich auf die Entwicklung von Software bezieht, formuliert vier Grundregeln. Erstens, Individuen und Interaktionen stehen über Prozessen und Werkzeugen.
Des Weiteren: Funktionierende Software steht über einer umfassenden Dokumentation, ebenso wie die Zusammenarbeit mit Kunden über den Vertragsverhandlungen steht. Und schliesslich: Reagieren auf Veränderung steht über dem Befolgen eines Plans.
Längst gelten diese Grundsätze auch in anderen Industrien als zwingend, um den digitalen Wandel nicht zu verpassen. Kaum ein Finanzunternehmen, das nicht wenigstens in abgesteckten Sandkästen die Management-Methode «Scrum» testet, die von Jeff Sutherland und Ken Schwaber, zwei Mitunterzeichnern des Manifests, erfunden wurde.
Berechtigte Ängste
Der Mensch in den Fokus zu stellen und über Formalitäten hinwegzusehen: Das beisst sich jedoch mit der Hierarchie, die gerade auch in Schweizer Finanzunternehmen teils noch von militärischer Härte ist. «Unternehmen und deren Führungskräfte wollen Neues fördern, aber nur, wenn das Management selbst so weitermachen kann wie bisher, mit den bisher gültigen Annehmlichkeiten», kritisiert Wagner. In der Folge würden agile Prinzipien meist nur auf Teamlevel angesetzt. Das hat Folgen. Bis zu 85 Prozent der Versuche, agiles Projektmanagement einzuführen, würden scheitern, zitiert der Experte aus Quellen.
Gleichzeitig zeigt er gewisses Verständnis für die Unternehmensführung. «Die Angst vor Kontrollverlust ist berechtigt», findet Wagner. Nur stehe sie gleichzeitig den Veränderungsprozessen im Weg.
Alle Ebenen gefordert
Laut Wagner steht fest, dass die Digitalisierung der Arbeits- und Produktwelt nach sozialen Innovationen verlangt. Und das nicht allein auf der Ebene der Mitarbeitenden, sondern eben auch im Management.
In einem ersten Schritt empfiehlt der Personalexperte deshalb, achtsamer mit hierarchischen Führungsinstrumenten und der damit verbundenen Macht umzugehen. Dazu gehöre die Frage: «Können Sie sich persönlich vorstellen, Ihren Führungsstil zu ändern, Kontrolle abzugeben, Ihren Mitarbeitenden mehr Macht zuzugestehen? Würde Sie das verunsichern?»