Die Zahl der Marken, unter denen Hotelkonzerne ihre Häuser der verschiedenen Kategorien anbieten, wächst unablässig. Die Branche riskiert, dass der Gast dabei die Übersicht verliert.
«Wir haben zu viele Marken heute», zitierte die deutsche Tageszeitung «Die Welt» den bekannten, vielfach preisgekrönten Schweizer Hotelier Kurt Ritter: «Wie soll der Gast das noch verstehen?» Der Artikel erschien vor 15 Jahren. Er ist allerdings aktueller denn je. Denn die Zahl der Hotel-Marken ist in den vergangenen Jahren ins fast Unermessliche gestiegen.
Nicht zuletzt hat der Arbeitgeber, für den der heute 75-jährige Berner Oberländer Ritter jahrzehntelang tätig war, für Verwirrung gesorgt: Ritter startete 1976 bei der Hotelgruppe der Skandinavian Airlines SAS. Im Jahr 1989 wurde er Präsident und CEO der SAS International Hotels.
Unter chinesischer Staatskontrolle
Diese wurden nach mehreren Fusionen in Rezidor SAS Hospitality umgetauft, später in The Rezidor Hotel Group, dann in Carlson Rezidor Group und schliesslich in Radisson Hotel Group (RHG). Die Gruppe gehört inzwischen dem zweitgrössten Hotel-Anbieter der Welt, Jinjiang, einem chinesischen Staatskonzern mit Sitz in Shanghai.
Neben den bekannten Marken wie Radisson Blu, Radisson Red oder Park Inn by Radisson hat die Gruppe im Oktober 2020 Radisson Individuals (Bild oben, in Madrid) eingeführt. Mit ihr will man laut Daniel Twerenbold, dem regionalen Direktor der RHG für die Schweiz, Italien, Österreich und Südosteuropa, «auf die Nachfrage von unabhängigen Hotels und lokalen oder regionalen Ketten reagieren, die Teil der globalen RHG-Plattform werden. Sie sollen von der internationalen Bekanntheit und Erfahrung der Gruppe profitieren und gleichzeitig die Freiheit behalten, ihre Einzigartigkeit und Identität zu wahren.»
Designbasierte Hotelgruppe
Bereits seien weltweit 59 Hotels unter dieser Marke in Betrieb oder in der Entwicklung. Radisson Individuals Hotels bieten, wie einige andere Häuser der Gruppe auch, ihren Businesskunden modernste Technologie für dezentrale Meetings mit Video- und Audioübertragung an. Auch professionell durchgeführte Broadcasting-Events für Live-Streaming oder Aufzeichnungen sind möglich.
Relativ neu im Radisson-Portfolio befindet sich die zugekaufte Prizeotel-Gruppe (Bild oben, in Bonn), 2009 vom Deutschen Marco Nussbaum als designbasierte Hotelgruppe gegründet. Unter der Woche werden vor allem Business-Gäste erwartet, an Wochenenden Ferienreisende. Für Radisson ist Prizeotel laut Twerenbold eine «hochwertige, designorientierte Hotelmarke für technikaffine, vernetzte Reisende in pulsierenden, urbanen Standorten». Bisher sind 19 Hotels in Deutschland, Belgien, Österreich und in der Schweiz in Betrieb oder in Entwicklung. Eine Erweiterung um 45 Häuser in EU-Ländern und Grossbritannien ist geplant.
Marken-Offensive total
Die InterContinental Hotels Group IHG mit Sitz in der englischen Grafschaft Buckinghamshire betreibt rund 6'000 Hotels mit mehr als 885'000 Zimmern in mehr als 100 Ländern und gehört zu den grössten Hospitality-Konzernen. Momentan besitzt die IHG 17 Marken, darunter neben den InterContinental Hotels selber die Premium-Häuser von Crowne Plaza, aber auch die populären Holiday Inn.
In jüngster Zeit hat die IHG eine Reihe von Marken neu ins Portfolio integriert: Drei wurden akquiriert, nämlich Six Senses und die ebenfalls im obersten Segment angesiedelten Regent Hotels and Resorts sowie die Boutiquehotel-Kette Kimpton. Diese wurde vor mehr als drei Jahrzehnten in San Francisco gegründet und will für Feriengäste wie Geschäftsreisende ein Ort sein, «wo man sich eher wie in einem schönen, wohnlichen und stilvollen Zuhause fühlt als in einem grossen, unpersönlichen Hotel». Neu geschaffen hat IHG Hotel die Vignette Collection.
Von unten bis ganz oben
«Unsere neue Vignette Collection ermöglicht es der IHG, unabhängige Weltklassehotels in ihre Markenfamilie aufzunehmen und dabei die unverwechselbare Identität jedes einzelnen Hauses mit der Stärke unserer globalen Skala zu kombinieren», erklärt Keith Barr, CEO von IHG Hotels and Resorts. Zwei Häuser in Australien und Thailand sind bereits zu Vignette gestossen; sechs weitere sind in Vorbereitung. Innert zehn Jahren soll die Kollektion auf 100 Hotels anwachsen.
Die französische Hotelkette Accor betreibt weit mehr als 5'000 Hotels in über 100 Ländern und spricht mit mehr als 40 Markennamen beinahe jeden möglichen Gast an: Von Budget-Hotels, wie Ibis, reicht das Angebot über die Mittelklasse wie Mercure, Novotel oder Mama Shelter und den Premium-Bereich, wie Swissôtel, Mövenpick und Pullman, bis ins Luxussegment mit Marken wie Fairmont oder Raffels.
Vollmundige Expansionspläne
Unlängst präsentierte Accor neue Marken sowohl weit unten wie ganz oben auf der Preisskala: Jo&Joe (Bild oben, in Paris-Gentilly) springt auf den Trend der hippen Lifestyle-Hotels auf, die auch für jüngere oder preissensible Businessgäste interessant sein können. Jo&Joe-Häuser gibt es in Hossegor nördlich von Biarritz, in Wien und zwei Mal in Paris. Über die Expansionspläne äussert man sich vollmundig: «Das ist aber nur der Anfang. Im Zentrum der grössten Städte oder im Paradies auf Erden – wir schaffen einen Platz für die besten Reisen rund um den Globus.»
Die neue Marke von Accor für unabhängige Boutiquehotels und Luxusresorts, die sich unter den Schirm einer grossen Hotelkette begeben wollen, heisst Emblems Collection. Ende 2022 soll das erste Haus eröffnet werden, das monumentale, spätbarocke Guiyang Art Centre Hotel in der chinesischen Provinz Guizhou.
Wirtschaftliche Unwägbarkeiten
Bis 2030 plant Accor mehr als 60 Emblems-Hotels weltweit. Als potenzielle Städte-Destinationen für Emblems-Hotels, welche eine anspruchsvolle und kaufstarke Business-Klientel ansprechen sollen, nennt Accor Paris und Prag, New York und Sydney, London, Amsterdam, Berlin, Madrid, Marrakech und Havanna.
«Ist es in den heutigen Zeiten voller wirtschaftlicher Unwägbarkeiten tatsächlich sinnvoll, eine neue Hotelkette im Luxussegment aufzubauen?», fragt der Hotelier und Publizist Carsten Rath und gibt auch gleich die Antwort: «Die Nischenpositionierung soll schliesslich einen Mehrwert für den Gast bieten, Mitarbeiter anziehen und sich auch langfristig etablieren.»
Kleine brauchen viel Mut
Die grossen Hotelgruppen böten immer mehr spannende Sub-Marken an. «Ich denke hier an Fairmont und Raffles by Accor oder St. Regis by Marriott», sagt Rath. Für kleinere Unternehmen brauche es Mut, sich ebenfalls in dieses Segment zu wagen.
Rath nennt als Beispiel die neue Hommage Luxury Hotels Collection, eine Marke der Dorint-Gruppe. Diese sitzt in Köln und betreibt rund 60 Hotels vorwiegend in Deutschland, der Schweiz und Österreich. Bisher war sie im Drei-Sterne-Segment mit Essentials by Dorint und im Viersterne-Markt mit den klassischen Dorint Hotels präsent.
Digitale Kompetenz
Mit Hommage (Bild oben, in Düsseldorf) kommen jetzt Luxusetablissements hinzu. Einige der Hommage Hotels sind bereits bekannt: Eher auf Urlaubsgäste setzen der Söl’ring Hof auf Sylt, die Maison Messmer in Baden-Baden und das Grand Tirolia in Kitzbühel.
Das Parkhotel Bremen, der Nassauer Hof in Wiesbaden und das Kö59 in Düsseldorf hingegen sind auch für Businessgäste interessant. Diesen stehen in den Hommage-Hotels Partner mit digitaler Kompetenz für Meetings und sichere Räume für die Arbeit zur Verfügung.
Warten auf die Gäste
Mit all den neuen Hotels und Hotelmarken wird das Betten-Angebot laufend vergrössert. Ob die Zahl der Geschäftsreisenden mitwächst, die während der Corona-Pandemie massiv eingebrochen ist, wird sich erst noch zeigen müssen.