Schnee – das ist Schnee von gestern. Die Zukunft gehört der Kultur. Davon sind viele im Oberengadin überzeugt. Ein Bummel durch Ausstellungen und Galerien, mit Übernachtungen in Kunst-affinen Hotels von Mäzenen wie Beat Curti und Ruedi Bechtler, verschafft einen Eindruck.
Von Artur K. Vogel, freier Autor
Er ist Sänger, Kulturproduzent und Gründer des Jazz-Festivals St. Moritz. Und in ebendieser weltberühmten Gemeinde im Oberengadin ist der 42-jährige Zürcher Christian Jott Jenny seit Anfang 2019 Gemeindepräsident.
Von Unterländern wird das Engadin als erstrangige Wintersport-Destination und im Sommer als alpines Wander- und Bergsteigerparadies geschätzt. Auch wer es luxuriös, ja geradezu mondän mag, kommt dort oben voll auf die Rechnung.
Doch Jenny sieht noch einen anderen Schwerpunkt für die reizvolle alpine Landschaft: «Ich glaube, dass Kunst und Kultur der Schnee der Zukunft ist in Bergregionen wie unserer», sagte er kürzlich in einem Interview.
Mit einem Augenzwinkern
(Hotel Drama von Guillaume Pilet, im Hintergrund Hotel Walther, Pontresina)
Tatsächlich hat einheimische wie zugezogene Kunst im Engadin längst Einzug gehalten: Künstlerdynastien wie die Segantini, Giacometti oder Pedretti geniessen weltweites Renommee. Und ein Spaziergang durch die Hauptstrasse Pontresinas, des relaxten Nachbardorfs von St. Moritz, birgt zwei Dutzend Überraschungen: Bis 15. Oktober erregen hier im Rahmen der «Kunstwerge/Vias d’art Pontresina» Werke von Bündner und Westschweizer Künstlerinnen und Künstlern die Sinne (Bild oben).
Zum Teil beziehen sie den Ort augenzwinkernd mit ein: Aus dem Original-Logo des soeben abgerissenen Hotels «Post» hat der französische, in Genf lebende Künstler Gaël Grivet flugs das Wortspiel «lost Poet» geformt, das jetzt den Vordergrund der Baustelle bildet, auf der ein neues Hotel errichtet wird.
Heruntergekommenes Gebäude
Oder der Churer Chris Hunter lenkt die Aufmerksamkeit auf ein heruntergekommenes Gebäude, indem er es mit farbenfrohen Fensterläden verziert hat. Dass Künstler aus der Suisse Romande eingeladen worden sind, ist kein Zufall.
Jan Steiner, einst Tourismusdirektor von Pontresina, heute in der Tourismusorganisation Engadin St. Moritz für die Marke Engadin verantwortlich, möchte vermehrt Westschweizer ins Engadin locken. Im Sommer 2019 machten sie etwa fünf Prozent der Hotelgäste aus; da liegt Steigerungspotenzial drin, vor allem in Zeiten, da Auslandreisen eher verpönt sind.
Bars von grossen Künstlern
Im Viersterne-Hotel Saratz in Pontresina ist eine kolossale Ausstellung der in Zürich geborenen, in Berlin lebenden Künstlerin Bignia Corradini im Gang. Die rund hundert ausgestellten Werke, teils fast monochrom, teils sehr farbenfroh, sind harmonisch in die Räume des weitverzweigten, aus mehreren Epochen stammenden Hotels eingefügt.
In dessen riesigem, 35’000 Quadratmeter grossen Park sind zudem diverse Skulpturen zu besichtigen. Besonders eindrücklich ist allerdings die Bar im ältesten Teil des Hauses: Sie besteht aus einer massiven Eisenplastik, die zwei Söhne des berühmten Berners Bernhard Luginbühl gebaut haben.
Eine Künstler-Bar findet sich auch im Hotel «Castell» in Zuoz (Bild oben): Sie hat die Form eines Fragezeichens und wurde von Pipilotti Rist und der Architektin Gabrielle Hächler entworfen. In die Flaschen im Wandregal werden Videos von Pipilotti Rist projiziert.
Beat Curti als Hotelier
In La Punt wiederum hat der Unternehmer und ehemalige Verleger Beat Curti das 450 Jahre alte «Hotel Gasthaus Krone» gekauft und zu einem Bijou umgebaut. Bilder des bekanntesten zeitgenössischen Bündner Künstlers Not Vital zieren die Wände; dem Foto-Pionier Albert Steiner, 1877 in Frutigen im Berner Oberland geboren, der ab 1909 im Engadin lebte, ist eine eigene Stube gewidmet.
In den vergangenen rund fünfzig Jahren haben sich ebenso viele Galerien im Oberengadin niedergelassen, oft Zweigstellen von Kunsthandlungen aus dem Unterland. Mindestens zwei davon sind besonders besuchenswert; beide befinden sich in uralten Bündner Häusern; beide wurden vom Architekten Hans-Jörg Ruch geschickt und mit sorgfältigem Einbezug der alten Bausubstanz umgebaut.
Durch die Galerie von Bartha in S-Chanf führt Julia Paas (Bild oben, vor Werken von Landon Metz) während sich Miklos von Bartha, der seine erste Galerie vor fünfzig Jahren in Basel gründete, diskret im Hintergrund hält. Ausgestellt werden Werke von Anna Dickinson, Barry Flanagan, Imi Knoebel, Landon Metz, Francisco Sierra und Beat Zoderer; die Preise bewegen sich im fünf- und sechsstelligen Bereich. Die Galerie Monica de Cadenas in Zuoz, deren Hauptsitz sich in Mailand befindet, zeigt Werke des 93-jährigen Amerikaners Alex Katz.
Und noch ein Zürcher Mäzen
Kunst im Überschwang findet sich schliesslich im Hotel «Castell» in Zuoz, wie finews.ch schon früher berichtete. Kein Wunder: Sein Eigentümer seit 1996 ist Ruedi Bechtler, sowohl Unternehmer als auch Künstler. Im mehr als hundert Jahre alten Schlosshotel sind (neben der roten Bar von Pipilotti Rist von 1998) unzählige Werke aus Bechtlers Privatsammlung ausgestellt.
Irene Müller, die das Hotel zusammen mit ihrem Mann Martin Müller leitet, führt kenntnisreich durch die Sammlung mit Werken unter anderem von Roman Signer, Fischli und Weiss, Thomas Hirschhorn, Martin Kippenberger und Chantal Michel.
Holzterrasse und Rundbau
Zwei Werke stechen durch ihre schiere Grösse hervor: die Holzterrasse des Japaners Tadashi Kawamata, auf der man sich an Sommertagen besonders gern aufhält. Und der «Skyspace» des Amerikaners James Turrell, ein markanter steinerner Rundbau oberhalb des Hotels, dessen runde Dachöffnung eine ständig ändernde Sicht auf den Himmel, seine Licht-, Wolken- und Farbspiele ermöglicht. (TC)
- Diese Reportage wurde von ESTM und Pontresina Tourismus unterstützt.