Keine Region hat dieses Jahr an der Börse schlechter abgeschnitten als Russland. Warum Investoren vom Schlage Jim Rogers oder Grossbanken wie J.P. Morgan gerade jetzt dort zukaufen.
Jetzt ist es amtlich: Russland droht die Rezession. Der stellvertretende Wirtschaftsminister Alexej Wedew warnte kürzlich höchstpersönlich davor, dass die Wirtschaft des Flächenstaats 2015 schrumpfen werde. Schuld daran seien der sinkende Ölpreis und die Sanktionen des Westens, wie der Minister betonte.
Doch die Krise in Russland ist komplexer. Zu den Folgen der Ukraine-Krise und dem Preissturz im Erdöl gesellen sich auch noch eine rasante Entwertung des Rubels (36 Prozent gegenüber dem Dollar in diesem Jahr), die um sich greifende Teuerung sowie die Kapitalflucht ins Ausland.
Panik im Finanzsystem
Sergei Dubinin, der Ende der 1990er-Jahre Russlands Zentralbank leitete und nun im Verwaltungsrat der russischen Bank VTB sitzt, sprach gegenüber der Agentur «Bloomberg» gar von einer «aufkommenden Panik im Finanzsystem».
Ein giftiger Mix also, von dem sich Investoren nach Kräften fern halten: Dieses Jahr stürzte der russische Leitindex RTS um mehr als 30 Prozent.
Stunde der Contrarians
Alle Investoren? Inmitten der grossen Kapitalflucht aus dem einst begehrten Schwellenland werden einzelne Stimmen laut, die genau das Gegenteil vorschlagen: Sie sehen jetzt den idealen Zeitpunkt gekommen, um wieder zuzukaufen.
Eine dieser «Contrarians» ist Andrew Goldberg (Bild links), seines Zeichens Marktstratege im Asset Management von J.P.Morgan. Sein Wort hat Gewicht, steht doch hinter ihm die geballte Fonds-Maschinerie der amerikanischen Grossbank. Auch Goldberg räumte zwar an einer Konferenz in Zürich heute Mittwoch ein, dass Russland «eine absolutes Desaster» sei. Noch mehr: Die wirtschaftliche Lage des riesigen Staates werde sich sogar noch verschlechtern, weil beim Ölpreis keinerlei Entspannung in Sicht sei.
Diese Szenario sei aber mit dem Kurszerfall der russischen Aktien bereits weitgehend eingepreist. Anders gesagt: Viel weiter stürzen kann die russische Börse nicht mehr. «Unsere Fondsmanager haben deshalb begonnen, in ausgewählten russischen Titeln Positionen aufzubauen», berichtet der J.P.-Morgan-Stratege.
Erstmals seit 46 Jahren nicht skeptisch
Auch der bekannte Rohstoff-Experte und Börsenguru Jim Rogers (Bild links) hat seine Meinung gegenüber Russland kürzlich geändert – seit er vor 46 Jahren das letzte Mal dorthin gereist war, war er dem Land gegenüber kritisch eingestellt gewesen. Jetzt nicht mehr, wie Rogers gegenüber dem britischen Blatt «Financial Times» ausführte. Nun ist es aber überzeugt, dass ausländische Investoren dort gut behandelt würden. Für ihn sei daher die Gelegenheit gekommen, in den Markt zu investieren, «solange die Wirtschaft unter Druck» sei. Das tat der Börsenguru seither.
Zu Rogers russischen Investments gehören etwa der Düngemittel-Hersteller Phosagro oder die Airline Aeroflot.
Kompletter Bumerang
Rogers hatte gegenüber der «Financial Times» auch einige spitze Kommentar übrig für die westlichen Sanktionen gegen Russland. «Die Massnahmen könnten einst auf die USA zurückfallen» warnte der Profi-Investor. Die Sanktionen liessen Russland nämlich näher zu Asien und insbesondere China rücken. Das käme auch den russischen Ambitionen zugute, zum führenden Finanzzentrum in der Region aufzusteigen.
Trifft dieses Szenario ein, hätten sich die gegenwärtigen Sanktionen insbesondere gegen Russlands Banken als kompletter Bumerang erwiesen.