Die Angestellten haben im Home Office die Freiheit geschnuppert. Die werden sie sich nicht wieder nehmen lassen. Chefs sollten sich vorsehen.
Anders als die Wall Street geht der hiesige Finanzplatz die Rückkehr ins Büro mit Fingerspitzengefühl an. Wie eine Umfrage von finews.ch bei führenden Schweizer Banken und Versicherern jüngst zeigte, hat keines dieser Unternehmen spezielle Massnahmen ergriffen, um die Mitarbeitenden wieder an ihre Pulte zu holen.
Dennoch ist klar, dass die Vorarbeiten zu einem «New Normal» am Arbeitsplatz beginnen müssen – gerade auch aus Sicht der Chefs. Schon jetzt zeichnet sich ein Wetteifern mit flexiblen Arbeitsmodelle ab: Die UBS hat angekündigt, jeweils einen Drittel der Belegschaft «remote» arbeiten zu lassen. Der Versicherer Axa zahlt mit dem Programm «Smart Working» sogar an die Einrichtung des Home-Office, und die Credit Suisse will ebenfalls die Lehren der Pandemie in eine neues Arbeitsmodell umgiessen.
Das Gebot der Stunde
Entsprechend ist eine Rückkehr zu den Gewohnheiten von vor der Pandemie gar nicht mehr möglich. Weit weniger klar ist hingegen, wie denn unter den neuen Vorzeichen geführt wird. Althergebrachte, auf Kontrolle ausgerichtete Management-Stile dürften es schwer haben, wenn ein bedeutender Teil der Angestellten von ausserhalb arbeitet. «Management by objective», also die auf individuelle Ziele ausgerichtete Führung, heisst stattdessen das Gebot der Stunde.
Doch der damit verbundene Freiraum birgt Fallstricke, und auch die im Shutdown so nützlichen digitalen Hilfsmittel erweisen sich als tückisch. Die amerikanische Zeitung «Wall Street Journal» hat eine Liste von Tipps zusammengetragen, die Kader und Manager nun beherzigen sollten. Das sind sie:
1. Vorsicht vor Videokonferenzen
Zoom, Teams und Konsorten haben sich als Retter in der Coronakrise erwiesen. Doch ausserhalb des Shutdown gilt es, die neuen Instrumente nur noch sparsam und mit Verstand einzusetzen. Videokonferenzen funktionieren dort gut, wo Intimität in der Kommunikation gefragt ist. Hingegen führen sie schnell zu Ermüdungserscheinungen. E-Mails wiederum eignen sich für formelle Durchsagen, während Chat-Formate gut für schnelle Durchsagen sind.
Und das persönliche Gespräch von Angesicht zu Angesicht ist wohl durch nichts zu ersetzen.
2. Der Wall zur Privatsphäre ist gefallen
Wer hat es im Shutdown nicht erlebt – der Hund, der mit seinem Gebell jegliche Konversation über Video übertönt, Partner, die verschlafen im Pyjama durchs Bild schlurfen, Kleinkinder, die sich auf den Schoss drängen. Geärgert hat man sich darüber selten, denn: der Blick ins Heim und damit in die Privatsphäre der Arbeitskolleginnen und Kollegen hat und diese nahbar und sympathischer gemacht. Dem «Journal» zufolge ist es nun aber nicht mehr möglich, zur Förmlichkeit von einst zurückzukehren.
Der Umgang am Arbeitsplatz muss stattdessen kollegialer und menschlicher werden. Hingegen gibt es auch künftig Grenzen zur Intimität, die nicht überschritten werden dürfen.
3. Vertrauen statt Kontrolle
Im Finanzwesen ist der Glaube verbreitet, das viel auch viel hilft. Das gilt auch für die Arbeitsweise. «Overnighter», bei denen gerade junge Mitarbeitende sich für die Bank die Nacht um die Ohren schlagen, wurden bis vor kurzem gern gesehen und galten als Zeichen von Einsatz. Ob diese Praxis auch produktiv ist, steht auf einem ganz anderen Blatt. Das wird mit flexiblen Arbeitsmodellen nun plötzlich relevant: Lange Bürozeiten taugen nicht als Leistungsbarometer, wenn kaum noch jemand im Büro ist. Und die alte Kontrolltätigkeit der Chefs erübrigt sich.
Letztere müssen stattdessen die Rolle als «Enabler» üben, welche den Unterstellten helfen, ihre Ziele zu erreichen. Gefragt ist dabei auch eine grosse Portion Vertrauen.
4. Freude am Experiment
Chefs bringen meist eine (über)grosse Portion Selbstvertrauen mit. Wie sonst hätten sie sich die Karriereleiter so weit hinauf getraut? Nach anderthalb Jahren forciertem Home-Office anzunehmen, man wisse alles übers neue Arbeitsweisen, ist allerdings ein verhängnisvoller Fehler. Denn wenn die Coronakrise uns etwa gelehrt hat, dann dies – wie weit man es mit Offenheit gegenüber Experimenten bringen kann.