Die Auslöser von Burnouts sind bekannt, die persönlichen Kosten für die Betroffenen hoch. Warum dennoch viele Menschen sehenden Auges in ein Burnout steuern, erklärt der Arzt Dieter Kissling im Gespräch mit finews.life.
«Die Neurose ist die Triebfeder des Erfolgs», sagt Dieter Kissling. Doch der Preis des Erfolgs ist oftmals hoch.
«Ein Burnout ist eine schwere Erkrankung. Das macht jahrelang krank», warnt der Allgemein- und Arbeitsmediziner im Gespräch mit finews.life. «Es dauert Jahre, bis man ganz unten ist und ebenso lange, um sich wieder heraus zu kämpfen. Die Karriere kann man dann vergessen.»
«Interessierte Selbstgefährder» nennt Kissling diese Menschen, die im Beruf an ihre eigenen Grenzen gehen. Doch der Preis des Erfolgs, den diese Leute aufgrund ihrer Persönlichkeit oft haben, ist, dass sie in die Risikogruppe für ein Burnout fallen.
In der Falle
Denn wenn die Anforderungen der Arbeit die eigene Leistungsfähigkeit übersteigen, geht mit der Zeit die Energie aus. Wie lange das dauert, ist von der sogenannten Resilienz abhängig.
Laut Kissling (Bild oben) ist diese Widerstandskraft von Erlebnissen in der frühen Kindheit, der Genetik abhängig und davon, ob die Mutter während der Schwangerschaft gestresst war. Sind die eigenen Reserven allerdings ausgereizt, geraten gerade ehrgeizige Menschen schnell in eine Falle: «Chronischer Stress führt dazu, dass man noch mehr arbeiten muss, um die Leistung zu halten, wodurch ein Teufelskreis entsteht», so der Arzt. «Die Persönlichkeit ist der Stressverschärfer im Kopf.»
Körperliche Folgen
Ist das Burnout einmal Tatsache, hat dieses jedoch auch körperliche Folgen, die sich in Form von Nervenschäden nachweisen lassen. Ein weiterer Indikator ist die sogenannte Herzratenvariabilität, welche Kissling für seine Diagnose herbeizieht.
Von etwa 6'000 Patienten, die er auf physische Burnout-Symptome getestet hat, waren 5 Prozent bereits so tief in ein Burnout gerutscht, dass es für Präventivmassnahmen zu spät war. Doch das Viertel der Getesteten, welche bereits akut gefährdet waren, kann sich noch helfen.
Schlaf und Bewegung
«Jeder kann seine eigene Resilienz verbessern», erklärt der Arzt mit Praxis im aargauischen Baden. «Dazu braucht es guten Schlaf, Bewegung und die richtigen Denkansätze.»
Zur Vermeidung einer Erkrankung müssen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ihren Teil beitragen. Tiefer Schlaf, Sport und Mindfulness nützen wenig, wenn schon der blosse Gedanke ans Büro zu Schweissausbrüchen führt.
Lieber ein Karriereknick
«Bei der Organisation spielen Kultur, Führungsstil und das soziale Klima im Unternehmen eine Rolle», erklärt Kissling.
Sollte es aber nicht möglich sein, die intriganten Kollegen oder den cholerischen Chef loszuwerden, wiegen auch die besten Karriereaussichten das Risiko eines persönlichen Totalschadens nicht auf. Man muss in diesem Fall das Problem entweder ansprechen oder – sollte das nichts nutzen – einen allfälligen Karriereknick in Kauf nehmen.
Denn mit dem Aufgeben zu hoch gesteckter Ambitionen bezahlt man den tieferen Preis als mit einem Burnout, welches für jede Laufbahn das Ende bedeuten kann.