Die Aktienmärkte erreichen laufend neue Höchststände. Trotzdem seien manche Qualitätstitel im Finanzsektor immer noch attraktiv bewertet, findet der Anlageexperte Thomas Steinemann.
Von Thomas Steinemann, Chief Investment Officer, Privatbank Bellerive
Bereits gehört das erste Halbjahr 2014 der Vergangenheit an. Im Grossen und Ganzen verlief es den Erwartungen entsprechend. Die Aktienmärkte entwickelten sich positiv aber deutlich moderater als im letzten Jahr.
Der SMI legte rund 4 Prozent zu, der DAX 1,5 Prozent, der Dow Jones 3 Prozent und der S&P500 immerhin 8 Prozent. Ein Blick auf die Branchen (S&P500) offenbart Interessantes: Der Gesundheitsbereich hat die Nase knapp vorn vor den noch bis vor kurzem verschmähten Branchen Energie und Versorger.
Kein einheitliches Bild
Auch der Technologiesektor legte deutlich zu. Am unteren Ende der Skala rangieren Industriewerte, Telekom- und zyklische Konsumtitel.
Es ergibt sich ein insgesamt kein einheitliches Bild: Im Plusbereich die eher defensiven Branchen Gesundheit, Energie und Versorger, aber auch der zyklische Technologiebereich, am unteren Ende der Performanceskala befinden sich ebenfalls defensive Branchen wie Telekom aber auch zyklische Branchen wie Industrie und Konsum.
Der Markt hat also weder einen Wirtschaftsboom noch eine Rezession vorweggenommen.
Bevorstehende Korrektur?
Viele Investoren sind dennoch enttäuscht mit der bisherigen Jahresperformance. Das hängt auch mit den neuen Rekordständen an den Aktienmärkten zusammen. Der DAX überschritt vorübergehend die 10'000er-Marke und der S&P kratzt zum ersten Mal an der 2000er-Marke.
Index-Rekordstände signalisieren hohe Performance – was ja nicht der Fall war – und überbewertete Märkte und demzufolge bevorstehende Korrekturen. Ist dem tatsächlich so?
Gewinne abgekoppelt
Seit gut einem Jahr haben sich die Indexstände tatsächlich von der Gewinnentwicklung losgelöst. War die Erholung an den Aktienmärkten 2009 bis 2013 vor allem durch eine entsprechende Gewinnentwicklung getrieben, so ist dies nun nicht mehr der Fall. Die Kurse haben sich von den Gewinnen abgekoppelt.
Das bedeutet, dass die Kursfortschritte seit gut einem Jahr durch eine Kurs-/Gewinn-Ausdehnung erfolgten. Heisst das nun, dass die Märkte überbewertet sind und deshalb korrigieren werden?
Strukturelle Verzerrungen
Antwort: Nein, nicht automatisch. Ich erwarte in den kommenden Jahren nicht nur eine moderate, sondern eine massive Überbewertung an den Aktienmärkten, und zwar über das Ausmass des Jahres 2000 hinaus.
Begründung: Das 0-Prozent-Zinsumfeld muss zu massiven, strukturellen Verzerrungen an den Finanzmärkten führen; wenn nicht in einem 0-Prozent-Zinsumfeld, wann dann?
Argentinien ein serieller Missetäter
Das bedeutet natürlich nicht, dass die Aktienmärkte in einer Einbahnstrasse nach oben gehen. Wie immer gibt es Wolken am Horizont. Auf der politischen Ebene belasten die wachsenden Konflikte im Gazastreifen, in Syrien und im Irak (interessanterweise fällt aber der Ölpreis).
Argentinien – ein serieller Missetäter – wundert sich, von internationalen Gerichten zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Frankreich und Italien verbünden sich gegen eine Austeritätspolitik, und in China hat das Schattenbankensystem gigantische Dimensionen erreicht.
Auf der anderen Seite müssen die Index-Rekordstände auch relativiert werden. Aktienmärkte haben einen langfristen Aufwärtstrend und zwar im Umfang des Gewinns und des Dividendenwachstums. So gesehen liegen neue Rekordstände in der Natur der Sache.
Fazit für die Investoren
Aktien, insbesondere hochqualitative Titel mit einer stabilen Dividendenpolitik, sind mittlerweile nicht mehr günstig sondern überbewertet. Gemäss dem Hauptszenario der Privatbank Bellerive wird sich die Überbewertung in den kommenden zwei bis drei Jahren aber noch deutlich ausweiten.
Qualitätstitel, die noch günstig bewertet sind, sind Versicherungswerte wie Allianz, Swiss Life, Helvetia, Zurich oder Swiss Re. Dann Energietitel wie Chevron, EXXON oder Statoil und im Schweizer Small Cap Bereich Titel wie Bucher Industries, Metall Zug oder die Technologiefirma LEM Holding.