ETF oder aktive Fonds? In einer indirekten Debatte mit Vanguard-Gründer Jack Bogle bietet Pimco-Gründer Bill Gross eine philosophische Antwort auf die grosse Frage.


Bill-Gross-200Bill Gross gründete 1971 die Anlagegesellschaft Pimco. Heute ist er Managing Director des Unternehmens, das zum Allianz-Konzern gehört, und verwaltet den zweitgrössten Fonds der Welt, den Pimco Total Return Fund.


Jack Bogle war mir schon immer sympathisch, auch wenn ich ihm nie begegnet bin. Er hat Herz. Doch wie er wohl bereits an die tausend Mal scherzte, ist es nicht seines: Vielmehr handelt es sich dabei um eine Transplantation aus dem Jahr 1996 – eine Erklärung, die gewöhnlich für lautes Gelächter sorgt.

Darüber hinaus verfügt er über einen gesunden Menschenverstand, wenn es um Investments geht. Bereits vor Jahrzehnten erkannte er, dass eine gemeinsame Outperformance sämtlicher Vermögensverwalter gegenüber dem Markt nicht möglich war; vielmehr wäre ihr Alpha nach Abzug der Gebühren und Transaktionskosten negativ.

Besser als nahezu alle aktiven Manager

Sein frühes Geschäftsmodell beim US-Vermögensverwalter Vanguard, das auf Indexfonds setzte, war mir jedoch zumindest während meiner ersten Jahre bei Pimco ein Rätsel. Warum, fragte ich mich, sollten sich die meisten Anleger mit einer nur durchschnittlichen Wertentwicklung zufriedengeben? Inzwischen liegt die Antwort natürlich nahe: Ein Anleger sollte die beste Performance mit dem geringsten Risiko anstreben, und in nahezu allen messbaren Asset-Klassen schnitten Indexfonds und zahlreiche ETFs besser ab als nahezu alle aktiven Manager – was primär auf die geringeren Gebühren zurückzuführen war.

Das «nahezu alle» ist der Grund, aus dem ich so frei über Vanguard schreiben kann. Schliesslich managt unsere Pimco zwei Billionen Dollar aktiv und kann eine langfristige, kontinuierliche Historie der Alpha-Generierung vorweisen. Was Jack in Erstaunen versetzt, ist das, was er kürzlich in einem Interview als «Pimco-Effekt» bezeichnete: Zusammengefasst erläuterte er darin, dass Indexfonds-Manager stets eine bessere Wertentwicklung erzielten als nahezu alle aktiven Manager, doch «dann gab es da noch den Pimco-Effekt».

«Danke gleichfalls, Jack!»

Wir von Pimco revanchieren uns mit einem «Danke gleichfalls, Jack!». Heute, im Zeitalter der Hochfinanz, besteht nämlich ausreichend Platz für unsere beiden Unternehmen und Anlagephilosophien. Während Bogles Indexierungskonzept metaphorisch der Entdeckung eines Heilmittels gegen die hohen Gebühren im Fondsgeschäft entspricht, entspricht der Ansatz von Pimco vielleicht der Entschlüsselung des Investment-Genoms und dessen Anwendung, um kontinuierlich langfristiges Alpha zu erzielen.

Beide Investment-Laboratorien haben also ihren Platz.

Ferner muss ich zugeben, dass es noch weitere aktive Management-Labors gibt, die nicht nur Anerkennung verdienen, sondern auch Anlegervertrauen und Dollars. Ray Dalio von Bridgewater und Jeremy Grantham von GMO kann ich nur in den höchsten Tönen loben. Ihre umfangreichen Ansichten nehmen einen besonderen Platz in der Bibliothek auf meinem Schreibtisch ein.

Alle kriegen den Schnupfen

Jeder von ihnen wendet einen ganz unterschiedlichen Ansatz des aktiven Managements an: Während Dalio einem Muster von Schuldenaufnahme und -abbau folgt, rechnet Grantham in den meisten Vermögensklassen mit einer historischen Rückkehr zum Mittelwert.

Allerdings waren weder Vanguard noch Pimco, Bridgewater oder GMO in der Lage, ein Heilmittel gegen eine gewöhnliche Erkältung zu entdecken. Unsere Performance bereitet uns regelmässig und zuweilen auch über frustrierend lange Zeiträume Kopfweh oder eine verstopfte Nase, sodass wir uns fragen, warum wir beim Händewaschen in der Grippesaison nicht vorsichtiger waren.

Wo könnten unsere künftigen Fehler lauern?

Unsere Unternehmen machen Fehler, selbst wenn diese wie im Fall von Vanguard darin bestehen, dem Indexierungs-Mantra gemäss vollständig in einen überbewerteten Markt investiert zu sein.

Wo könnten unsere künftigen Fehler lauern? Was raubt uns des Nachts den Schlaf? Ich kann nicht für andere sprechen, und doch werde ich ein paar Gedanken mit Ihnen teilen, was meinen Co-CIO Mohamed El-Erian und mich nachts wach hält. Mohamed, der den Begriff der «Neuen Normalität» für unsere Weltwirtschaft nach Lehman prägte, befasst sich derzeit mit der Möglichkeit, dass die Zukunft der
Vermögensanlage einer «T-Kreuzung» gleicht: In dieser Zukunft gelangen die Märkte an einen Wendepunkt, an dem sie entweder nach rechts in Richtung Vermögensblasen abbiegen können oder nach links, um die Blasen in Anbetracht der negativen Aspekte von Fiskal- und Geldpolitik in einer hoch verschuldeten Welt zum Platzen zu bringen.

Hier T, da Adlerschwingen

Was das gefährliche Potenzial der künftigen Marktbewegungen angeht, sind wir uns beide einig. Das T von Mohamed ist nach meiner Auffassung jedoch eher bildlich als wörtlich zu verstehen, ein Konzept – ebenso wie das «New Normal» –, das im Laufe der bevorstehenden Monate oder Jahre vermutlich an Akzeptanz gewinnen wird. Im Gegensatz zu einer finanziellen Atombombe à la Lehman Brothers dürfte sich unser Szenario langsamer entfalten, während die privaten Märkte realisieren, dass die Könige und Königinnen der Politik keine Kleider tragen und die Anleger den historischen Vermögensklassen nach und nach den Rücken kehren, da ihnen die Erträge keine ausreichende Kompensation für das zunehmende Risiko mehr bieten.

Das eigentliche T könnte in Wirklichkeit aussehen wie ein Adler, der mit seinen Schwingen für ein sachteres Abbiegen nach links oder rechts steht.

Die Taper-Rede der US-Notenbank vom April dieses Jahres ist vermutlich ein gutes Beispiel für die künftige Ertragsentwicklung. Zugegebenermassen war die Reaktion der Anleihenmärkte recht plötzlich, was sich nicht nur in einer Desillusionierung der Anleiheninhaber niederschlug, sondern auch in einem Anstieg der Rückkäufe bei Publikumsfonds. Anschliessend wurde sich die Federal Reserve jedoch der negativen Aspekte der «Finanzlage» bewusst und schob die Drosselung ihrer Anleihenkäufe auf, wodurch die Zinsen auf ihre vorherigen Niveaus zurückkehrten. Derzeit warten die Anleger gespannt auf Neuigkeiten in Bezug auf die Realwirtschaft sowie auf die Medizin, mit der Janet Yellen sie zu behandeln gedenkt.

Selbstverständlich wird ihre Medizin auf negative Realzinsen zurückgreifen: Diese werden Anleihen- und Aktieninvestoren zu gegebener Zeit eines Besseren belehren, was das unveränderte Potenzial der klassischen, primär auf Kapitalgewinnen beruhenden Gesamtertragsstrategien angeht. Besitzer von Anleihen mussten diese Lektion bereits im Mai, Juni und Juli lernen, als zehnjährige US-Staatsanleihen ihre Talsohle bei 1,65 Prozent erreichten.

Das neue Mantra der Aktieninvestoren

Besitzer von Aktien wurden hingegen nur leicht entmutigt und setzten ihre auf dem Glauben basierenden, von Kapitalgewinnen abhängigen Investitionen fort – trotz der im Grunde eindeutigen Schlussfolgerung, dass die Geldschwemme der Notenbanken und die niedrigen Zinsen für ihre Märkte ebenso bedeutend waren wie für Anleihen.

«Was bleibt uns schon anderes übrig?», ist das neue Mantra der Aktieninvestoren aus aller Welt, was eher von Verzweiflung zeugt als von logischem Denken.

Nun, das ist genau das, was ich mit einer allmählichen im Gegenteil zu einer plötzlichen Desillusionierung der weltweiten Anleger meine.

Das «Drei Musketiere»-Standardrezept für Kleinanleger lautete stets: 1.) Investment-Grade-Anleihen, 2.) Hochzinspapiere und 3.) Aktien. Institutionelle Anleger tendierten in den vergangenen Jahren zu 4.) alternativen Anlagen, 5.) Hedgefonds und 6.) Benchmark-unabhängigen Investments. Für sie scheint es also eine zunehmende Vielfalt an ertragsstärkeren Alternativen zu geben.

Überall künstliche Preise

Trotz allem enthalten alle der oben genannten Bereiche Anlageinstrumente mit künstlichen Preisen, die auf den künstlich niedrigen Zinsen basieren. Einige Vermögenswerte sind nicht gehebelt, wie beispielsweise US-Staatsanleihen, dennoch aber zu teuer bewertet, da die Federal Reserve ein Umschwenken auf risikoreichere Anleihen und/oder Anlageklassen begünstigen möchte. Andere Vermögenswerte, etwa zahlreiche alternative Anlagen, hängen hingegen von der Hebelung des
Portfolios ab: Mittels Overnight-Repo-Geschäften nehmen sie Kredite zu 10 bis 50 Basispunkten auf, um sie in Papiere mit höheren Renditen zu investieren, obwohl das Renditeniveau künstlicher Natur ist.

Die Anleger spielen alle dasselbe gefährliche Spiel, das auf eine nahezu immerwährende Politik des günstigen Geldes und der künstlich niedrigen Zinsen aufbaut – in einem verzweifelten Versuch, das Wachstum zu fördern. Die Fed, die Bank of Japan (selbstverständlich), die EZB und die Bank of England setzen den globalen Märkten ein Zeichen und teilen den Anlegern im Wesentlichen mit, dass es keine Alternative zu Anlagen in risikoreichere Vermögenswerte oder einer Hebelung hochwertiger Papiere gibt.

«Ihr habt keine andere Wahl», suggeriert ihre Politik. «Gewöhnt euch an die negativen Realzinsen, wagt euch aus dem Risikospektrum hinaus und verhelft der Realwirtschaft auf diesem Wege zur Heilung», scheinen sie zu gebieten.

Man sucht neue Weidegründe

Doch diese nun knapp fünf Jahre andauernde Migration durch das Land der globalen Vermögenswerte auf der Suche nach höherem Gras und tieferem Wasser hatte ihre Grenzen – sowohl in Bezug auf die Kurse als auch auf das Realwachstum. Wenn die geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen nicht in der Lage sind, das in den Märkten eingepreiste Realwachstum herbeizuführen (was sie nicht waren), werden bestimmte Anleger – scharfsinnige, aktive Anleger wie Pimco, Bridgewater und GMO – die Vorzüge einer weniger an den Risiken orientierten Migration zu schätzen lernen.

Wenn sie in der Ferne nicht den Geruch von Wasser wahrnehmen und kein Gebiet mit höherem Savannengras ausmachen können, werden sich clevere Anleger von den traditionellen Risiken – wie dem Durationsrisiko – wohl eher entfernen, als sich ihnen anzunähern. Die Analystenteams müssen tief im Inneren der Zentralbanken eine unbesiegbare Angst einpflanzen, dass niedrige Zinsen, die einen Stand des Dow Jones bei 16'000 Zählern stützen, allmählich an Kraft verlieren werden, wenn es der Realwirtschaft trotz Nullzinsen und quantitativer Lockerungsmassnahmen nicht gelingt, auf die gewünschte Umlaufbahn zu gelangen.