Die europäische Währungsunion zeigt sich trotz glanzloser Wachstumsprognose resilient. Europäische Festzinsanlagen bleiben aus zwei Gründen attraktiv: Erstens bieten Sie kurzfritsig attraktive Renditen, und zweitens haben sie das Potenzial für Kursgewinne, sollte sich die gesamtwirtschaftliche Lage verschlechtern.
Seit Pandemieausbruch im Jahr 2020 wuchs der Euroraum nur mässig. Der Abschwung war stärker und die Erholung schleppender als in den meisten anderen Industrieländern.
Steigende Energiepreise bedingt durch die Nähe zu Russland und der Ukraine sorgten für mehr Anfälligkeit des Währungsraumes und die Konjunkturprogramme fielen weniger grosszügig aus als in den USA. Auf den ersten Blick sind nun aber viele destabilisierende Effekte der Pandemie verblasst.
Auf dem Weg der Normalisierung
Die Eurozone erscheint «normaler» als zu jedem anderen Zeitpunkt seit Pandemiebeginn. Die Gesamtinflation ist zur Zielmarke der europäischen Notenbanker zurückgekehrt, und das reale Wirtschaftswachstum entsprach in der ersten Jahreshälfte 2024 dem Trend. Die Geldpolitik ist auf dem Weg der Normalisierung und es sind bereits mehrere Zinssenkungen vorgenommen worden.
Jedoch bleiben die Aussichten ungewiss: die Konjunktur insbesondere in Deutschland leidet unter der Schwäche Chinas und des weltweiten Fertigungssektors. Die Sparüberschüsse der privaten Haushalte sind erschöpft. Das Produktivitätswachstum ist nach wie vor dürftig, und im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern gingen die Investitionsausgaben im Euroraum in der vergangenen zwei Jahren zurück.
Folglich erwarten wir, dass das Wachstum inEuropa spärlich bleibt und sich bei rund einem Prozent, also nahe der langfristigen Wachstumsrate, bewegt. Auch wenn wir nicht unmittelbar mit einer Rezession rechnen, bleibt das Risiko erhöht, nicht zuletzt wegen der ungewissen Aussichten für den Welthandel.
Stabilität inmitten der Unsicherheit
Trotz der ungewissen Wachstumsaussichten stimmt uns ein entscheidender Aspekt optimistisch: Die Euro-Wirtschaft dürfte nicht zu ihrem instabilen Zustand vor einem Jahrzeht zurückkehren. Denn die Politik hat sich als wirksamer erwiesen als in der Vergangenheit. In der Pandemie agierte die Eurpäische Zentralbank (EZB) als zuverlässiger Kreditgeber der letzten Instanz und setzte Massnahmen ein, um die Instabilität der Märkte zu verringern.
Die Finanzpolitik zeigte sich proaktiver und führte mit dem EU-Wiederaufbaufonds einen grenzüberschreitenden Finanzausgleich ein, der einen Präzedenzfall für künftige Abschwünge schaffte. Die politischen Rahmenbedingungen scheinen weniger destabilisierend, da die Unterstützung für einen Austritt aus der Währungsunion in den meisten Ländern schwindet. Ausserdem gibt es in der Region weniger wirtschaftliche Schieflagen.
Gewisse Extremrisiken
Viele der aussenwirtschaftlichen Ungleichgewichte, die vor der Finanzkrise bestanden, haben sich inzwischen zurückgebildet. Nach einem Jahrzehnt der Leistungsbilanz-Überschüsse tritt der Euroraum nunmehr als Nettokreditgeber für die übrige Welt auf, wobei der Umfang der internationalen Forderungen jenen der Verbindlichkeiten übersteigt. Auch unter den Mitgliedsstaaten haben sich die Wachstumszahlen angenähert: So stellen Länder, die bislang hinterherhinkten – insbesondere in der Peripherie –, die Kernländer und insbesondere Deutschland seit Beginn der Pandemie in den Schatten.
Allgemeiner betrachtet zeugt das Ausbleiben erheblicher finanzieller Belastungen in den vergangenen Jahren von Resilienz. Zwar liess das Wachstum zu wünschen übrig; dennoch blieben die Staatsanleihen-Renditen gemeinhin stabil, und das trotz zahlreicher Herausforderungen.
Es ist wohl kaum möglich, sich negativere Schocks auszumalen, um die Widerstandskraft des Euroraums auf die Probe zu stellen, als jene, denen die Währungsunion in den veergangenen Jahren ausgesetzt war. In Ermangelung einer vollständigen Fiskal- und Finanzunion bleiben gewisse Extremrisiken bestehen. Jedoch schein die Region stabiler als noch vor einem Jahrzehnt.
Geldpolitik zurück zur Neutralität
Die pandemiebedingten Einflüsse dürften weiter nachlassen und die Kerninflation 2025 zu ihrer Zielmarke zurückkehren, was die Zentralbanker befähigen dürfte, weitere Zinsschritte vorzunehmen. Wir gehen davon aus, dass die Leitzinsen auf ein neutraleres Niveau zurückkehren werden. Die Langfrist-Aussichten sind dagegen ungewisser: Wo liegt der neutrale Leitzins respektive «r-star»?
Trotz der hohen Unsicherheit erwarten wir nicht, dass die Zinssätze auf das Niveau vor der Pandemie zurückkehren. Die Inflationserwartungen haben sich auf höherem Niveau verankert, und die Inflationsrisiken scheinen ausgewogener um das Zwei-Prozent-Ziel zu sein als vor der Pandemie. Staatsanleihen werden aktuell mit engeren Spreads gehandelt, was teilweise auf die stabileren institutionellen Rahmenbedingungen zurückzuführen ist.
Das bedeutet, dass die EZB, um unter dem Strich die gleichen Kapitalaufnahmekosten zu erreichen, ihren Leitzins auf höherem Niveau als zuvor belassen kann. Wenn sich keine Rezession einstellt, dürfte sich dieser unseres Erachtens in der Spanne von 1,5 bis 2,0 Prozent einpendeln. Eine Rezession könnte zwar weiter auf die Zinssätze drücken; aus unserer Sicht dürfte die Schwelle für die Notenbanker aber extrem hoch sein, um abermals auf Negativzinsen zurückzugreifen.
Anlageimplikationen
Europäische Festzinsanlagen bleiben aus unserer Sicht attraktiv. Die kurzfristigen Zinssätze dürften im Grossen und Ganzen angemessen eingepreist sein und die Renditekurve dürfte sich im Zuge der geldpolitischen Normalisierung weiter versteilern. Folglich dürften die langfristigen Zinssätze steigen. Die Schwierigkeit anhand von Renditeaufschlägen zwischen Kern- und Peripherieländern zu differenzieren dürfte andauern.
Wegen der jüngsten politischen Volatilität in Frankreich sind die dortigen Kreditkosten mit jenen Spaniens vergleichbar, was auch gerechtfertigt erscheint. Die Spreads italienischer Staatsanleihen dürften dank verbesserter institutioneller Rahmenbedingungen stabiler bleiben und Diversifikationsvorteile für Anlageportfolios bieten.
Nicola Mai, Portfoliomanager und Makroexperte Europa (Bild: zvg)
Peder Beck-Friis, Makroexperte Europa (Bild: zvg)