Merlot ist mit Abstand die meistangebaute Rebsorte im Tessin und entsprechend beliebt beim Publikum. Aus der Traube können exzellente Weine entstehen, die über ein sehr gutes Alterungspotenzial verfügen. Dies beweisen die fünf ausgewählten Beispiele von finews.ch-Redaktor Peter Keller.
Wer önologisch ans Tessin denkt, verbindet das südliche Anbaugebiet der Schweiz gleich mit Merlot. Die ursprünglich aus dem Bordeaux stammende Sorte hat sich erfolgreich etabliert, stellt oft sein Potenzial unter Beweis und hat schon die grossen Vorbilder aus der berühmten Weinregion Frankreichs in Vergleichen geschlagen.
Im Tessin sind rund vier Fünftel der Rebfläche von rund 1'000 Hektaren mit Merlot bestockt. Obwohl stets neue Varietäten angepflanzt werden, wird er nicht zu verdrängen sein.
Komplexität und Ausdruckskraft
Schweizer Weine werden in der Regel zu früh getrunken. Die besten Crus haben nämlich ein Alterungspotenzial von zehn und mehr Jahren. Das haben zahlreiche Degustationen bewiesen, die ich in letzter Zeit durchgeführt habe. Dabei hat sich namentlich der Tessiner Merlot hervorragend geschlagen.
Dies zeigen die fünf ausgewählten Spitzenweine. Vier Beispiele sind in der Vereinigung des Mémoire des Vins Suisses vertreten. Die Vereinigung von rund 60 Produzenten aus allen sechs Anbaugebieten des Landes will nicht nur das Ansehen der einheimischen Tropfen fördern, sondern auch aufzeigen, dass ein Wein über längere Zeit reifen und an Komplexität und Ausdruckskraft gewinnen kann. Hier sind meine Favoriten:
1. Tracce di Sassi, Cantine Stucky-Hügin
(Bild: Stucky-Hügin)
Werner Stucky hat mit dem Tracce di Sassi einen Vorzeige-Merlot par excellence geschaffen. Seit einiger Zeit spannt der Winzer mit Jürg Hügin zusammen. Aber am Weinstil ändert sich nichts.
Es ist ein eleganter Rotwein mit gut integrierten Gerbstoffen, ohne dass die Holztöne des Barriques dominieren. Tracce di Sassi – der einzige der fünf Weine, der nicht im Mémoire vertreten ist – reift sehr gut, wie ein kürzlich verkosteter 2015er gezeigt hat. Auf dem Markt ist derzeit der Jahrgang 2020 erhältlich (Preis: 40 Franken).
2. Balin, Cantina Kopp von der Crone Visini
(Familie Kopp: Stefano, Rossana, Paolo, Anna Barbara, Luca (von links, Bild Kopp von der Crone)
Der Balin ist einer der grossen Autorenweine des Tessins, also kein Wein mit einer genau definierten Herkunft. Die Merlot-Trauben für das Spitzengewächs kommen nämlich aus Lagen im Sopra- und Sottoceneri.
Der Ausbau erfolgt in neuen und gebrauchten Barriques. Glänzend präsentierte sich kürzlich der kraftvolle, komplexe 2017er mit reifen Tanninen und guter Säure. Er wirkt noch jugendlich und besitzt ein sehr gutes Alterungspotenzial. Es lohnt sich also, den Wein einzukellern, etwa den aktuellen Jahrgang 2020 (Preis: 49 Franken).
3. Sassi Grossi, Gialdi Vini
(Bild: Cantina Gialdi)
Einer der bekanntesten und beliebtesten Tessiner Merlots ist der Sassi Grossi. Der Rotwein reift während 15 Monaten im kleinen Eichenholzfass, wobei je nach Jahrgang 70 bis 90 Prozent neu sind. Sassi Grossi vereint Kraft mit Eleganz.
In der Jugend sind die Tannine noch präsent. Man ist gut beraten, Sassi Grossi etwas auf die Seite zu legen oder zu dekantieren, wenn man sich beispielsweise für den gut gelungenen und immer noch erhältlichen Jahrgang 2019 entscheidet und ihn jung geniessen möchte (Preis: 54 Franken).
4. Montagna Magica, Huber Vini
(Bild: Huber)
Finessen und Eleganz sind die Markenzeichen dieses Merlots, dessen Etikette jedes Jahr von einem anderen Künstler gestaltet wird. Durchwegs gelungen präsentierten sich vier verschiedene, kürzlich verkostete Jahrgänge des Montagna Magica.
Der noch jugendliche 2016er, der 2011er, der die erste Trinkreife erreicht hat und weiteres Potenzial besitzt, der feine, seidige 2005er sowie der schön gereifte 2001er. Zu haben ist derzeit der Jahrgang 2020 (Preis: 52 Franken).
5. Orizzonte, Azienda Agricola Zündel
(Bild: Zündel)
Seit mehr als 20 Jahren setzt dieses Weingut auf die Biodynamik – aus Überzeugung. Das Resultat sind spannungsreiche, geradlinige Weine mit dem Orizzonte als Aushängeschild. Verwendet werden in erster Linie gebrauchte Barriques, denn Holztöne sind bei diesem Familienbetrieb verpönt.
Wer seidige, elegante, nicht überextrahierte Crus liebt, kommt mit diesem Merlot voll auf seine Rechnung. Von den älteren Jahrgängen wusste der 2002er zu gefallen, während man dem etwas strengen 2003er den heissen Sommer anmerkt. Aus einem wechselvollen, eher kühlen Jahr stammt dagegen der Jahrgang 2021, der in Kürze lanciert wird (Preis: 48 Franken).