Wegen der Fiscal Cliff spreche niemand von der Schuldenobergrenze, dabei sei diese bald wieder erreicht, warnt Bruno Gisler, Chefökonom der Aquila Group.
Von Bruno Gisler ist Chefökonom der Zürcher Aquila Group
Wenn der Kongress bis Jahresende nicht handelt, treten in den USA im nächsten Jahr massive Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen im Ausmass von rund 4 Prozent des Bruttoinlandprodukts in Kraft.
Die fiskalische Klippe hat somit das Potential, die USA nächstes Jahr in eine Rezession zu stürzen. Der amerikanische Kongress steht dementsprechend unter Druck.
Die Verhandlungspositionen wurden bezogen. Präsident Barack Obama markierte seine Ausgangslage mit Steuererhöhungen von 1'600 Milliarden Dollar und der Bereitschaft, über Einsparungen von 400 Milliarden Dollar bei den Sozialwerken zu sprechen.
Eine lange Geschichte
Die Republikaner konterten mit Mehreinnahmen von 800 Milliarden Franken und ebenso hohen Einsparungen bei Medicare und anderen sozialen Einrichtungen. Die Parteien befinden sich momentan noch auf Kollisionskurs.
Schon ein kurzfristiger fiskalpolitischer Ausblick zeigt, dass neben der fiskalischen Klippe demnächst die Erhöhung der amerikanischen Schuldenobergrenze ansteht. Diese hat eine lange Geschichte.
Neuverschuldung: 100 Milliarden pro Monat
Seit März 1962 wurde sie schon 75 Mal erhöht, das letzte Mal im August 2011. Der Kongress hob die Grenze um 2'100 Milliarden Dollar auf 16'395 Milliarden Dollar an. Anfang Dezember 2012 kumulierten sich die amerikanischen Schulden auf über 16'300 Milliarden Dollar.
Bei einer Neuverschuldung von rund 100 Milliarden Dollar pro Monat dürfte die Obergrenze Ende Jahr erreicht sein. Interessanterweise geniesst dieses Thema noch keine Aufmerksamkeit. Das dürfte damit zu tun haben, dass die fiskalische Klippe momentan die Schlagzeilen beherrscht.
Gnädige Reaktion
Zudem hat das amerikanische Schatzamt verschiedene Möglichkeiten, das Erreichen der Obergrenze um Wochen bis Monate hinauszuschieben. Allein aber die Tatsache, dass in der gegenwärtig schwierigen politischen Lage die Erhöhung der Obergrenze ansteht, weckt ungute Erinnerungen an die Jahreswende 1995/1996, als der amerikanische Finanzminister die Ausgabe von Treasuries suspendierte oder an den Sommer 2011, als die Politiker den Staat an den Rand der Zahlungsunfähigkeit trieben.
Vor 17 Jahren verweigerte der Kongress der Administration während mehreren Monaten die Erhöhung der Schuldenobergrenze, bis sie dann im März 1996 auf 5'500 Milliarden Dollar angehoben wurde. Anno dazumal reagierten die Finanzmärkte gnädig. Der S&P 500 mündete für ein paar Monate in eine Seitwärtsbewegung, und die Zinsen für 10-jährige Treasuries stiegen von 5,65 Prozent auf 6,4 Prozent.
Flucht in sichere Häfen
Im Sommer 2011 stellte sich die Situation anders dar. Der S&P 500 sank von Anfang Juli bis Anfang August um gut 15 Prozent. Dabei ist allerdings zu erwähnen, dass neben dem Schuldenstreit auch noch andere Faktoren auf den Märkten lasteten, die unter anderem zu einer Flucht in vermeintlich sichere Häfen führte.
Das dürfte auch die Erklärung dafür sein, dass die Rendite der 10-jährigen Treasuries in dieser Zeit markant zurück ging, anstatt zu steigen. Beiden Ereignissen ist gemein, dass die Märkte die Kreditwürdigkeit der USA nicht grundsätzlich in Frage stellten.
Poker um fiskalische Klippe
In der Vergangenheit hat man die Verschuldungsprobleme immer wieder vor sich her geschoben und so auf Kosten der Zukunft gelebt. Das rächt sich einmal mehr. Die Schwierigkeiten kumulieren sich. Die fiskalische Klippe, die Schuldenobergrenze und eine nachhaltige Haushaltsanierung harren fast gleichzeitig einer Lösung.
Da die Republikaner beim Poker um die fiskalische Klippe aus verschiedenen Gründen die schlechteren Karten haben, könnten sie versucht sein, die «Fiscal Cliff» mit den Verhandlungen um die Erhöhung der Schuldenobergrenze zu verbinden. Eine solche Verknüpfung würde die Situation erschweren.
Erhöhung nicht selbstverständlich
Meines Erachtens ist ein reibungsloser Ablauf der Erhöhung der amerikanischen Schuldenobergrenze nicht selbstverständlich. Es besteht zumindest die Gefahr, dass sich die unrühmlichen Ereignisse vom Sommer 2011 wiederholen.
Ich teile die Meinung des Marktes, dass die fiskalische Klippe mehr oder weniger umschifft wird. Allfällige negative Auswirkungen aus dem politischen Tauziehen um die Schuldenobergrenze auf das Vertrauen in die staatlichen Institutionen der USA und auf die Konjunktur sind in den Preisen der Finanzaktiva aber nicht enthalten.
Aus dieser Warte besteht ein gewisses Enttäuschungspotential, das unsere neutrale Aktienquote jedoch nicht in Frage stellt.